Montagsfrage: Kunstbeschreibungen?

Hallo ihr Lieben 😊

Meine Einleitung der Montagsfrage möchte ich heute nutzen, um euch ein kleines Update zu meinem Fortschritt mit „Das verlorene Paradies“ von John Milton zu geben. Zur Erinnerung: „Das verlorene Paradies“ ist ein 315 Seiten langes episches Gedicht in Blankversen von 1667. Es erzählt die Geschichte vom Fall Luzifers und der Verbannung der Menschheit aus dem Paradies. Für mich zählt es zu meinen Leselebenszielen, also den Büchern, die ich unbedingt lesen möchte, bevor ich sterbe. Meine ganze Historie mit dem Buch könnt ihr in der Montagsfrage vom 24. April nachlesen.

Ich befinde mich aktuell in der vierten Woche meiner Lektüre. Ich habe mir vorgenommen, pro Woche einen Gesang (ein Kapitel) zu lesen und mir dabei Notizen zu machen, um Miltons Epos wirklich zu durchdringen, ohne mich zu überfordern. Die letzten drei Wochen haben gezeigt, dass dieser Plan besser funktioniert, als ich erwartet habe. Bisher habe ich pro Woche nämlich nicht nur einen Gesang gelesen, sondern zwei. Stand jetzt habe ich dadurch bereits sechs Gesänge gelesen und damit etwas mehr als die Hälfte des Buches hinter mich gebracht. Ich werde voraussichtlich also doch nicht 12 Wochen brauchen, um „Das verlorene Paradies“ abzuschließen.

Es war tatsächlich so, dass mir ein Gesang, der ja immer nur ca. 30 Seiten umfasst, in meinen akuten Lesesituationen zu wenig erschien. Einerseits sind die einzelnen Gesänge zum Teil recht handlungsarm. Es passiert nicht in jedem Gesang viel, zum Beispiel nimmt die Lobpreisung Gottes und seiner Schöpfung häufig viel Raum ein. Hätte ich die Lektüre nach jeweils einem Gesang unterbrochen, hätte ich das Gefühl gehabt, keine Fortschritte in der Geschichte zu machen. Vielleicht gestaltete Milton seine Gesänge bewusst in Paaren, denn ich habe den Eindruck, dass je zwei Gesänge eine inhaltliche Einheit bilden, die zusammen je einen Handlungsabschnitt thematisieren.

Andererseits hatte ich bisher nach einem Gesang jedes Mal das Gefühl, noch mehr zu schaffen. Ich richte mich bei dieser Lektüre stark nach meinen mentalen Kapazitäten und bis jetzt war es immer so, dass ich mir zutraute, einen weiteren Gesang verarbeiten zu können. Die Notizen unterstützen mich dabei sehr, denn durch das sofortige Umreißen des Inhalts eines Gesangs und das Aufschreiben meiner Gedanken dazu kann ich den neuen Input unmittelbar verwerten. Deshalb wirken einzelne Gesänge nicht ewig nach, ich kann sie effektiv abschließen und nehme lediglich ein Resümee sowie meine wichtigsten Überlegungen dazu mit.

Außerdem habe ich festgestellt, dass es mir enorm hilft, wenn ich über die Gesänge sprechen kann. Der Lieblingsmensch erhält von so ziemlich jedem Gesang eine Zusammenfassung in meinen eigenen Worten und muss sich meine Fachsimpelei anhören. Diese Art der Reflexion ist überraschend produktiv.

Und wie gefällt es mir bis jetzt? Nun, es ist anstrengend. Nach zwei Gesängen brauche ich wirklich jedes Mal eine Pause, weil ich spüren kann, wie mein Gehirn arbeitet und sich meine mentalen Muskeln extrem anspannen, um die Geschichte zu verstehen. Das hatte ich allerdings erwartet. Eigentlich habe ich erwartet, dass es noch deutlich schlimmer sein würde und ich es kaum durch die knapp 30 Seiten eines Gesangs schaffe.

Ich habe das Gefühl, mittlerweile meinen Groove mit dem Gedicht gefunden zu haben. Ich habe begriffen, dass es nicht auf einzelne Verse ankommt. Ich versuche, „Das verlorene Paradies“ in thematischen Absätzen zu betrachten. Obwohl die Gesänge nicht in echte Absätze unterteilt sind, ist eine gewisse inhaltliche Segmentierung zu abzulesen, wie kleine Wegmarkierungen. So erkenne ich dann zum Beispiel, dass es in den nächsten 20 Versen um eine Beschreibung des Paradieses gehen wird oder die nächsten 100 Verse einen Dialog darstellen. Dadurch fällt es mir leichter, zum inhaltlichen Kern eines Absatzes vorzudringen.

Darunter leidet natürlich meine Wahrnehmung der Verse an sich. Damit habe ich mich allerdings schon innerhalb des ersten Gesangs abgefunden. Wenn ich „Das verlorene Paradies“ irgendwann ausgelesen habe und die Rezension schreibe, werde ich mich nicht zum Schreibstil äußern können. Ich werde die lyrische Eleganz und Schönheit des Gedichts nicht beurteilen können. Für mich ist das in Ordnung. Ich verfüge ohnehin nicht über das Fachwissen, um eine qualifizierte Meinung abgeben oder eine Analyse vornehmen zu können.

Mein Ziel bei dieser Lektüre besteht lediglich darin, den Inhalt zu verstehen und zu entschlüsseln, warum Miltons Werk so großen Einfluss auf popkulturelle Repräsentationen des Teufels hatte. Ich muss keine vollumfängliche Gedichtinterpretation anfertigen. Mit dieser Erwartungshaltung fühle ich mich wohl, denn ich denke, dass ich sie erfüllen kann. Die handwerkliche Analyse überlasse ich Menschen, die sich wirklich damit auskennen.

Zusammengefasst kann ich also berichten, dass es gut läuft zwischen mir und „Das verlorene Paradies“. Und da ich nun schon lang und breit ein Gedicht beschrieben habe, können wir auch gleich zur aktuellen Montagsfrage von Sophia von Wordworld übergehen, denn heute geht es um literarische Kunstbeschreibungen.

Wie viel könnt Ihr mit der Beschreibung von Kunst (Bilder, Musik, Gedichte etc.) in Büchern anfangen?

Ich glaube, heute kann ich meine Antwort ausnahmsweise tatsächlich mal relativ kurz halten. Sehr angenehm, nachdem die Montagsfrage letzte Woche so ausgeufert ist. Ich kann sehr viel mit Kunstbeschreibungen in Bücher anfangen, wenn sie richtig eingesetzt werden.

So aktiv meine Fantasie und stark meine Vorstellungskraft auch sein mögen, es bringt mir gar nichts, wenn mir Autor_innen seitenweise erklären, wie ein Gemälde aussieht, welche Tonfolge eine Melodie enthält oder welchem Versmaß ein Gedicht folgt. Bei solchen Kunstbeschreibungen stoße ich schnell an meine Grenzen, denn diese Transferleistung kann mein Gehirn einfach nicht erbringen. Ich kann diese Informationen nicht so zusammensetzen, dass ich das Bild detailliert vor mir sehe oder die Musik in meinem Kopf höre. Ich kann abstrakte, theoretische Kunstbeschreibungen nicht in konkrete, praktische Kunstwerke umwandeln. Vielleicht können das andere Leser_innen, aber ich nicht.

Mich erreichen literarische Kunstbeschreibungen, wenn sie in einer emotionalen Relation auftauchen. Im Grunde lässt sich hier einer der populärsten schriftstellerischen Ratschläge anwenden: Show, don’t tell. In dem Moment, in dem eine Kunstbeschreibung lediglich runtergerattert und ein Kunstwerk buchstäblich beschrieben wird, hat das auf mich keinen Effekt. Zeigen mir Autor_innen hingegen, wie das Kunstwerk auf die Figuren wirkt, was es bei ihnen auslöst und wie sie darauf reagieren, habe ich einen Hebel, an dem meine Fantasie ansetzen kann.

Emotionen überbrücken die Wahrnehmungsdiskrepanz zwischen Leser_in und Figuren. Wenn ich ein Buch lese, sehe ich das Gemälde ja nicht vor mir, ich höre die Musik nicht, ich beobachte keine Rezitation eines Gedichts. Die Figuren befinden sich mir gegenüber diesbezüglich im Vorteil. Diesen Vorteil kann ich nur ausgleichen, wenn ich die Option habe, das Kunstwerk selbst zu erfahren, zum Beispiel durch eine Bildersuche bei Google. Sobald es sich um fiktive Kunstwerke handelt, habe ich diese Möglichkeit allerdings nicht und stehe wieder vor dem Problem mit der Transferleistung. Ich kann mich hingegen sehr wohl mit den Gefühlen der Figuren identifizieren und mich in sie hineinversetzen.

Darüber hinaus stellt sich mir die Frage, welchen Mehrwert faktische Kunstbeschreibungen haben. Wenn sich in einem Kunstwerk nicht gerade irgendein Hinweis versteckt (Grüße an Dan Brown), proftiere ich als Leserin meiner Meinung nach nicht davon, zu wissen, wie genau es aufgebaut ist. Für mich geht es bei Kunstbeschreibungen deshalb nicht um Fakten. Es ist gar nicht wichtig, ob ich nun jeden Ton korrekt anordnen, jede Farbe korrekt platzieren oder jeden Vers korrekt analysieren kann.

Für mich zählt nur, dass ich verstehe, welchen Wert Gemälde, Musik, Gedicht, Tanz oder was auch immer für die Figuren hat – entweder in der aktuen Situation oder generell. Ich muss einordnen können, was sie durch und für das Kunstwerk fühlen. Und wenn sich doch mal ein Hinweis versteckt, reicht es mir persönlich völlig, wenn dieser Teilbereich des Kunstwerks etwas ausführlicher beschrieben wird.

Insofern erinnern mich literarische Kunstbeschreibungen durchaus an meine aktuelle Erfahrung mit „Das verlorene Paradies“: Auf den Vers kommt es nicht an.

Was haltet ihr von literarischen Kunstbeschreibungen?

Ich freue mich wie immer sehr auf eure Beiträge und Kommentare und wünsche euch allen einen kreativen Start in die neue Woche!
Alles Liebe,
Elli ❤️

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