Kapitel 3

Kapitel 3

Glaube und Ueberzeugungen – Die Welt nach John Milton

In den letzten zwei Kapiteln dieses Blogprojekts habe ich euch eine Menge über das turbulente 17. Jahrhundert in England und John Miltons Leben erzählt. Bevor wir endlich zu „Das verlorene Paradies“ übergehen, möchte ich in diesem dritten Kapitel allerdings noch einmal für euch zusammenfassen, woran John Milton laut den Quellen glaubte, sowohl in religiöser als auch in politischer wie gesellschaftlicher Hinsicht. Dieser komprimierte Überblick ist meiner Ansicht nach notwendig, weil seine Glaubenssätze für das Entstehen seines Epos entscheidend waren. Wir beginnen mit seinen religiösen Ansichten, denn diese bilden auch die Basis für seine politisch-gesellschaftlichen Überzeugungen.

Bevor wir loslegen, noch ein Hinweis: Ich bin nicht gläubig und wurde nicht christlich erzogen. Alle Informationen, dass ich in diesem Kapitel über theologische Theorien und Grundsätze des christlichen Glaubens bereitstelle, habe ich mir selbst erarbeitet und gebe sie nach meinem Verständnis wieder. Jegliche Fehler und Missverständnisse, die dabei entstanden sein könnten, bitte ich zu entschuldigen. Sollte euch auffallen, dass ich irgendetwas inkorrekt beschreibe, weist mich bitte daraufhin, damit ich diese Passage korrigieren kann.

In den letzten zwei Kapiteln dieses Blogprojekts habe ich euch eine Menge über das turbulente 17. Jahrhundert in England und John Miltons Leben erzählt. Bevor wir endlich zu „Das verlorene Paradies“ übergehen, möchte ich in diesem dritten Kapitel allerdings noch einmal für euch zusammenfassen, woran John Milton laut den Quellen glaubte, sowohl in religiöser als auch in politischer wie gesellschaftlicher Hinsicht. Dieser komprimierte Überblick ist meiner Ansicht nach notwendig, weil seine Glaubenssätze für das Entstehen seines Epos entscheidend waren. Wir beginnen mit seinen religiösen Ansichten, denn diese bilden auch die Basis für seine politisch-gesellschaftlichen Überzeugungen.

Bevor wir loslegen, noch ein Hinweis: Ich bin nicht gläubig und wurde nicht christlich erzogen. Alle Informationen, dass ich in diesem Kapitel über theologische Theorien und Grundsätze des christlichen Glaubens bereitstelle, habe ich mir selbst erarbeitet und gebe sie nach meinem Verständnis wieder. Jegliche Fehler und Missverständnisse, die dabei entstanden sein könnten, bitte ich zu entschuldigen. Sollte euch auffallen, dass ich irgendetwas inkorrekt beschreibe, weist mich bitte daraufhin, damit ich diese Passage korrigieren kann.

Welcher religiöse Glaube leitete John Milton?

Auf den ersten Blick wirkt John Miltons Glaubenszugehörigkeit offensichtlich: Er war ein reformierter Christ, also ein Protestant, der daran glaubte, dass die Bibel im Mittelpunkt stehen sollte und den Prunk sowie die strengen Hierarchien anderer Konfessionen, zum Beispiel des Katholizismus, ablehnte. Kurz gesagt war er überzeugt, dass gute Christ_innen für die Ausübung ihres Glaubens nur die Bibel brauchen. Wie wir aber gelernt haben, ist Protestantismus nicht gleich Protestantismus. Verschiedene protestantische Konfessionen unterscheiden sich in den Details ihres Glaubens stark. Genau diese Details machen eine präzise Zuordnung von John Milton zu einer Konfession schwierig.

Expert_innen streiten seit langer Zeit darüber, wie Miltons religiöse Ansichten einzuordnen sind. Das liegt einerseits daran, dass er sich offenbar nie öffentlich zu einer bestimmten Konfession bekannte, andererseits spricht auch sein Werk keine eindeutige Sprache. In seinen Schriften und Aussagen finden sich Einflüsse diverser verwandter Konfessionen. Zum Teil vertrat er heterodoxe, zum Teil orthodoxe Prinzipien und bewegte sich irgendwo auf dem Spektrum zwischen Calvinismus, Puritanismus, Arianismus und Sozinianismus. Erneut würde es hier zu weit führen, all diese Konfessionen aufzudröseln und miteinander zu vergleichen. Wer sich dafür interessiert, ist herzlich eingeladen, selbstständig in dieses Kaninchenloch zu springen.

Die vier Soli

Trotz der daraus resultierenden Ungewissheit hinsichtlich seiner Konfession gibt es jedoch ein paar Grundsätze, für die es (relativ) viele Belege gibt, die nahelegen, dass Milton an sie glaubte. Aus seiner Biografie wissen wir, dass er Katholizismus und Episkopat ablehnte. Seine Abneigung geht auf seinen Glauben an die vier Soli zurück, die die Basis vieler reformierter Kirchen darstellen. Ich zähle sie für euch auf und erkläre sie kurz in meinen eigenen Worten, wie ich sie verstanden habe.

„Allein Christus“

Jesus Christus ist der alleinige Heilsmittler. Nur durch ihn ist Gott eindeutig zu finden. Nur er, nicht die Kirche, hat Autorität über christliche Gläubige.

„Allein durch die Schrift“

Nur die Bibel ist Grundlage des christlichen Glaubens. Kirchliche Überlieferungen und Traditionen sind für die Glaubensausübung unnötig und überflüssig.

„Allein durch die Gnade“

Nur die Gnade Gottes schenkt dem Menschen ewiges Leben. Menschen können sich das Heil nicht durch ihr Verhalten verdienen. Es gibt keine Aufrechnung „guter“ und „schlechter“ Taten.

„Allein durch Glauben“

Der einzige Weg des Menschen, die Gnade Gottes zu empfangen, ist der Glaube an Jesus Christus.

Schematische Darstellung von Luthers Rechtfertigungslehre, modifiziert nach Peter Blickle (1992)

Luthers Rechtfertigungslehre, modifiziert nach Peter Blickle (1992)

Zusasa, Luthers Rechtfertigungslehre n. P. Blickle, CC BY-SA 4.0

Ich habe mich bemüht, die vier Soli so knapp wie möglich zu beschreiben und mich auf ihre Kernaussagen zu beschränken. Ich möchte aber betonen, dass es sich dabei um ein äußerst komplexes Thema der christlichen Theologie handelt. Wenn man nicht aufpasst, landet man mir nichts, dir nichts bei Luther. Da wir hier jedoch keine theologische Analyse vornehmen und auch nicht über höchst abstrakte Konzepte wie Versöhnung und freier Wille sprechen wollen, habe ich bewusst darauf verzichtet, die gesamte Argumentation wiederzugeben, die den Soli zugrunde liegt. In diesem Sinne: zurück zu John Milton.

Mit seinem Glauben an die vier Soli bewegte sich John Milton bequem im religiösen Mainstream des 17. Jahrhunderts. Wie erwähnt sind sie weit verbreitet und werden von vielen protestantischen Konfessionen als unstrittig akzeptiert. Andere Aspekte seines religiösen Weltbildes waren deutlich kontroverser.

Antitrinitarier

Schematische Darstellung der Trinität

Schematische Darstellung der Trinität

Francis McLloyd, AnonMoos, Schild-Dreieinheit-Scutum-Fidei-Deutsch, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

John Milton hinterfragte die Dreifaltigkeit, also die Überzeugung, dass Gott gleichzeitig Vater, Sohn und Heiliger Geist ist. Ihr wisst schon, „im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen“. Es gibt überraschend viele Strömungen, die verschiedene Facetten der Trinität kritisch sehen; Milton zweifelte vor allem daran, dass Jesus Gott als dessen Sohn gleichgestellt und ebenbürtig ist. Er glaubte, dass Gott den Sohn, der später als Jesus Mensch wurde, geschaffen hatte und nicht, dass der Sohn als eine Personifizierung Gottes immer existiert hatte.

Abermals haben wir es hier mit einer komplizierten theologischen Streitfrage zu tun, die ich nicht im Detail erörtern möchte oder kann. Für unsere Zwecke könnt ihr euch merken, dass John Milton Gottes Sohn als Gott untergeordnet betrachtete und damit dem vorherrschenden christlichen Konsens widersprach.

Mortalismus

Möglicherweise noch umstrittener war jedoch John Miltons Glaube an den Mortalismus. Dabei handelt es sich um ein Prinzip, das beschreibt, was mit der Seele eines Menschen nach dem Tod geschieht. Es wird – häufig abschätzig – auch „Seelenschlaf“ genannt. Die allermeisten christlichen Konfessionen nehmen an, dass die Seelen Verstorbener direkt nach dem Tod in den Himmel, die Hölle oder das Fegefeuer transportiert werden. Dort verbringen sie die Zeit bis zur Auferstehung und dem Letzten Gericht. Implizit wird damit postuliert, dass die Seele unsterblich ist.

Der Mortalismus predigt hingegen, dass die Seele nach dem Tod in eine Art Zwischenzustand verfällt und bis zur Auferstehung und dem Letzten Gericht „schläft“. Grundlage der Argumentation von Mortalist_innen sind meist Bibelstellen, in denen beschrieben wird, dass allein Gott unsterblich ist und Menschen sich die Unsterblichkeit verdienen müssen. Mit dieser Ansicht war John Milton ein religiöser Außenseiter. Selbst Johannes Calvin, der Begründer des Calvinismus, von dem viele reformierte Konfessionen abstammen, bestritt die Möglichkeit des Seelenschlafs vehement.

Millenarismus

Miltons religiöse Ansichten waren nicht statisch, sondern veränderten sich mit zunehmendem Alter und seinen Erfahrungen. Zu Zeiten der englischen Republik, als er als „Secretary of Foreign Tongues“ dem Parlament diente, verfasste er viele Schriften, die darauf hindeuten, dass er ein Vertreter des Millenarismus war. Millenarismus bezeichnet den weitverbreiteten christlichen Glauben an die Rückkehr Jesus Christus‘ und die Erschaffung seines Tausendjährigen Reiches (nicht zu verwechseln mit der gleichen Bezeichnung für das Dritte Reich der Nazis), das noch vor dem Jüngsten Gericht ein goldenes Zeitalter und das Paradies auf Erden einläuten wird.

Es gibt verschiedene Ausprägungen des Millenarismus – da Milton in seinen Traktaten England oft als auserwählte Nation beschrieb, ähnlich dem alttestamentarischen Israel, und Oliver Cromwell großzügig als einen modernen Moses darstellte, gehe ich davon aus, dass er damals ein Anhänger des Amillennialismus war. Das heißt, er glaubte, dass das goldene Zeitalter bereits angebrochen und England das versprochene Paradies war. Später, nach dem Fall der Republik, distanzierte er sich allerdings vom Millenarismus und vertrat eher orthodoxe Prinzipien.

Religiöse Toleranz

Angesichts dessen, dass John Milton sich scheinbar nie auf eine Konfession festlegte und die Grundsätze verschiedener christlicher Glaubensströmungen unterstützte, ist es nicht überraschend, dass er für religiöse Toleranz eintrat. Er verstand darunter allerdings etwas anderes als wir heute. Seine Auslegung von „Toleranz“ bezog sich nicht auf generelle Religionsfreiheit, er wollte lediglich die Freiheit genießen, über die unterschiedlichen, teils widersprüchlichen christlich-protestantischen Konfessionen ohne Dogma diskutieren zu können.

Ich schätze, der Gedanke, dass jemand nicht christlich sein könnte, kam ihm gar nicht, weil der christliche Glaube trotz der zahlreichen inneren Konflikte der Kirche im England des 17. Jahrhunderts einfach Standard war. Außerdem war er trotz heterodoxer Tendenzen ein tiefgläubiger Christ. Für ihn war es vermutlich unvorstellbar, dass jemand einen anderen Glauben haben könnte.

Dennoch nahm er sehr bewusst wahr, dass die verschiedenen Konfessionen zum Teil gegensätzliche Theorien vertraten, und wollte die Möglichkeit haben, frei über die Legitimität konkreter christlicher Prinzipien nachdenken und sprechen zu können. Er wollte nicht diktiert bekommen, was er zu glauben hatte, er lehnte Tabus ab und setzte sich deshalb für eine konsequente Trennung von Kirche und Staat ein. Seiner Meinung nach sollte niemand, auch keine Regierung, dem Volk den Glauben vorschreiben, sondern auf das Gewissen jedes_jeder Einzelnen und die Macht des Evangeliums vertrauen.

Ich lese heraus, dass er den Glauben eines Individuums als Privatsache betrachtete. Ähnlich argumentierte er auch in seinen Schriften zum Thema Scheidung: weder Staat noch Kirche hätten sich einzumischen.

Auf mich wirkt John Milton aufgrund dieser unkonventionellen Mischung aus Glaubensprinzipien wie ein sehr selbstbestimmter Mann, der ungern in religiösen Schubladen dachte und sich dagegen wehrte, selbst in eine gesteckt zu werden. Er schuf sich sein eigenes christliches Weltbild, das er regelmäßig anpasste und änderte, wenn das Leben ihn neue Lektionen lehrte. Dadurch geriet er natürlich immer wieder in Konflikt mit der anglikanischen Kirche, den dominanten Konfessionen seiner Zeit und dementsprechend auch mit der Politik, denn wie wir bereits gelernt haben, bestimmten protestantische und vor allem puritanische Grundsätze damals viele politische Entscheidungen.

Welche politischen Ansichten vertrat John Milton?

Politik und Religion waren im 17. Jahrhundert schwer voneinander zu trennen. Meiner Einschätzung nach vertrat John Milton jedoch auch in politischer Hinsicht eine ungewöhnlich unabhängige Position. Er war Humanist, heute würde man ihn wahrscheinlich als liberal bezeichnen, und ließ sich weniger von seinem Glauben an Gott lenken, sondern eher von seinem Glauben an die Republik als Staatsform, die den Menschen seiner Meinung nach die größten Freiheiten ermöglichte. Diese Überzeugung wurde vermutlich maßgeblich von seinen Besuchen in Venedig und Genf geprägt.

Vielleicht waren es auch die Erfahrungen in diesen beiden Städten, die dazu führten, dass ihm die Realpolitik des Parlaments eigentlich nicht weit genug ging. Seiner Ansicht nach war die englische Republik noch keine „richtige“ Republik. Ich habe in meinen Recherchen den Eindruck gewonnen, dass er im Kontext der Verhältnisse seiner historischen Epoche beinahe ein Demokrat war. Er träumte von einer freien Gesellschaft ohne repressive Gesetze, ohne Gesetze, die sich an Glaubensdoktrinen orientierten. Er scheint großes Vertrauen in das individuelle Verantwortungsbewusstsein der Bürger_innen gehabt und immer daran geglaubt zu haben, dass es strenge rechtliche Vorgaben wie zum Beispiel die Zensur nicht brauchte.

Sein Feldzug gegen Zensur und Lizensierung lässt erkennen, dass John Milton seine politischen Ideale nicht an Parteien oder Fraktionen ausrichtete. Er war auch diesbezüglich unabhängig und ließ sich nicht von „Parteipolitik“ (Parteien im modernen Sinne gab es damals natürlich noch nicht) beeinflussen. Deshalb scheute er sich nicht, dem Parlament, dessen Interessen er generell teilte, in einzelnen Punkten zu widersprechen, wenn er anderer Meinung war. Überhaupt hatte er wenig Bedenken, sich öffentlich zu unpopulären, radikalen und umstrittenen Ansichten zu bekennen. Sein Maßstab war sein eigenes Gewissen; Sorgen um sein öffentliches Ansehen und die privaten wie beruflichen Konsequenzen seiner Positionen scheint er nicht gekannt zu haben.

Ausblick

Vielleicht konnte nur ein eigensinniger Mann wie John Milton, mit seinem fluiden christlichen Glauben und seiner liberal-politischen Standhaftigkeit, vor dem historischen Hintergrund des 17. Jahrhunderts ein religiöses Epos verfassen, das ein völlig neues Licht auf eine biblische Geschichte warf. „Das verlorene Paradies“ wurde erst sieben Jahre vor Miltons Tod veröffentlicht, es gibt jedoch Quellen, die annehmen, dass er bereits deutlich eher begann, daran zu arbeiten. Wie das Gedicht in über 10.000 Blankversen entstand und was den Dichter dazu bewog, werden wir im nächsten Kapitel herausfinden. Schaut wieder vorbei, wenn wir die Entstehungsgeschichte seines Meisterwerks beleuchten!

Bildquellen

  • Wenn nicht anders angegeben, befinden sich die Bildquellen in den Bildunterschriften.

  • Adam und Eva: patrimonio designs ltd./Shutterstock.com

  • Pergament-Textur: Bild von boggus auf Freepik

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