Montagsfrage: Maerchenstunde?

Hallo ihr Lieben 😊

Ich hatte letzte Woche eine Erleuchtung. Wie ich Anfang des Jahres berichtete, habe ich die Strukturen meines Lese- und Rezensionsalltags deutlich gelockert. Einerseits darf ich meine gelesenen Bücher wild durcheinander rezensieren, wie es mir gerade passt. Andererseits verzichte ich 2023 auf Challenges, was dazu führt, dass ich auch ohne Vorgaben und Zwänge lesen kann, was mir gerade passt. Ziel beider Maßnahmen war, Druck rauszunehmen und auf meine akuten Bedürfnisse eingehen zu können. Das funktioniert ganz wunderbar, ich genieße diese Freiheit sehr und liebe es, dass ich meinen Bauch entscheiden lassen kann, was ich lese und rezensiere.

Ein weiterer Nebeneffekt dieser Entspannungstaktik war mir allerdings nicht klar: Da ich keiner chronologischen Reihenfolge beim Rezensieren mehr unterworfen bin und meine Lektüreauswahl nicht den Anforderungen einer Challenge anpassen muss, kann ich wieder Rezensionsexemplare annehmen.

In den letzten Jahren musste ich Rezensionsexemplare grundsätzlich ablehnen, weil ich nie wusste, wann ich dazu kommen würde, sie zu lesen und die Rezension, die ja die Gegenleistung für die kostenlose Bereitstellung darstellt, unter keinen Umständen zeitnah gewährleisten konnte. Zugegebenermaßen hätte ich die meisten Anfragen auch ohne diese Hürden abgelehnt, weil mich die angebotenen Bücher meistens nicht interessieren. Aber es hat mich schon gewurmt, dass ich selbst diejenigen, die meine Neugier weckten, nicht annehmen konnte.

Letzte Woche erreichte mich eine PR-Mail der Hobbit Presse, der Fantasy-Imprint von Klett-Cotta. Darin wurde mir der Roman „Dreizehnfurcht“ von Wieland Freund angeboten, der am 16. September erscheinen wird. Ich will jetzt noch nicht zu viel darüber verraten, worum es in diesem Buch geht, nur so viel: Im Mittelpunkt steht ein geheimer dreizehnter Bezirk meiner Heimatstadt Berlin, der offenbar im 19. Jahrhundert feststeckt. Ich war sofort Feuer und Flamme. Ich liebe Bücher, die in Berlin spielen und ich liebe Geschichten, die unsere Realität um ein magisches Geheimnis erweitern. Ich wollte das Buch haben.

Nur einen Wimpernschlag später fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Ich konnte die Anfrage annehmen! Es ist egal, wie viele unbearbeitete Rezensionen noch auf mich warten. Es ist auch egal, wie hoch mein SuB ist. Wenn ich möchte, kann ich das Buch sofort lesen und sofort rezensieren! Das war für mich wirklich ein schöner Moment, denn die Vorstellung von Rezensionsexemplaren ist ja ein wichtiger Bestandteil der Arbeit als Buchblogger_in und jetzt kann ich diesen wieder ausleben! Und das nur, weil ich endlich eingesehen habe, dass ich mir selbst mehr Freiraum zugestehen muss. Eine bessere Bestätigung meiner Entscheidungen gibt es nicht.

Natürlich habe ich der Dame geantwortet, dass ich „Dreizehnfurcht“ gern vorstellen würde und freue mich jetzt darauf, das Buch bald in den Händen halten zu können. Ich weiß noch nicht, ob Klett-Cotta es schon demnächst verschickt oder erst, wenn das Veröffentlichungsdatum näher rückt, aber das ist mir nicht so wichtig. Ich bin einfach glücklich, mal wieder ein Rezensionsexemplar lesen und besprechen zu können, da kann ich im Zweifelsfall auch noch etwas länger warten.

Mit diesem belebenden Gefühl im Bauch starte ich in die neue Woche und habe deshalb auch richtig Lust, die aktuelle Montagsfrage von Sophia von Wordworld zu beantworten!

Lest Ihr gerne Bücher über Märchen/Mythologie/Sagen und wenn ja, welche könnt Ihr empfehlen?

Hmm. Meint Sophia mit dieser Frage Fach- bzw. Sachliteratur, die sich mit Märchen, Mythologie oder Sagen befasst oder meint sie Unterhaltungsliteratur, die auf diesen Narrativen basiert? 🤔 Ich tippe mal auf Letzteres. Zur Alternative könnte ich auch keine Antwort geben. 😅

Ich lese gern Märchenadaptionen, Sageninterpretationen oder Bücher, die durch Mythologie(n) inspiriert sind. Mich erinnern diese Geschichten an meine Kindheit, in der mir vor allem meine Mama Unmengen Märchen, Sagen und Mythen erzählte oder vorlas. Da ich dementsprechend einen starken emotionalen Bezug dazu habe, bin ich allerdings immer recht vorsichtig bei der Auswahl, um meine nostalgischen Gefühle und Erinnerungen zu schützen.

In den letzten Jahren hat sich besonders um Märchenadaptionen ja ein gewisser Trend entwickelt, was natürlich dazu führt, dass sich auf dem Markt auch diverse schlechte Exemplare tummeln. Deshalb achte ich sehr genau auf mein Bauchgefühl, wenn mir eine neue Adaption begegnet. Es ist mir wichtig, dass die Geschichten meiner Kindheit respektvoll behandelt und nicht für eine Aneinanderreihung von Klischees missbraucht werden, aber auch keine reinen Nacherzählungen sind. Eine Adaption muss meiner Meinung nach einen Mehrwert bieten, zum Beispiel, indem die Kernmotive aus einer modernen Perspektive beleuchtet werden. Trotzdem sollten die Parallelen zum Original erkennbar bleiben. Es ist ein Drahtseilakt.

Ist eine Adaption eines Märchens, Mythos oder einer Sage gut gemacht, fasziniert mich daran intellektuell vor allem die Wandelbarkeit des Narrativs. Ich beschäftige mich seit einer Weile mit der Theorie, dass sich die Menschheit seit Urzeiten dieselben Geschichten in Variation erzählt. Folgen wir diesem Ansatz, gibt es lediglich eine Handvoll Geschichten-Archetypen, die wir seit Jahrtausenden immer wieder abwandeln, neu interpretieren, ergänzen und dem Zeitgeist anpassen. Das heißt, die Handlung jedes Buches (aber auch jedes Films, jeder Serie und aller anderen Unterhaltungsmedien) basiert am Ende auf einem dieser Archetypen. Manchmal muss man genauer hinsehen, um ihn zu erkennen, manchmal ist er offensichtlich.

Adaptionen von Märchen, Sagen und Mythen liefern ein besonders starkes Argument für diese Theorie, denn dabei geht es im Idealfall ja gezielt darum, eine alte Geschichte neu zu erzählen. Ich bin deshalb häufig sehr neugierig, wie Autor_innen diese Narrative für sich interpretieren, worauf sie den Fokus legen und was ihnen wichtig ist. Meiner Meinung nach sagt eine Adaption viel darüber aus, wie einzelne Personen das Original wahrnehmen. Vielleicht haben sie Aspekte entdeckt, die mir noch gar nicht aufgefallen sind. Ich finde es aufregend, wie unterschiedlich und vielfältig ein Archetyp wirken kann.

Die Mythologie bietet mir darüber hinaus noch den Bonus, dass Geschichten, die sich damit aus einer modernen Perspektive befassen, oft auch das Verhältnis zwischen Menschlichkeit und Göttlichkeit hinterfragen – ein weiteres Thema, das mich sehr interessiert. Besonders in der Urban Fantasy ist dieses Motiv regelmäßig vertreten, weshalb ich das Genre trotz viel Schund auf dem Markt noch immer gern lese.

So, nun aber genug von der Theorie, kommen wir zur Praxis und meinen konkreten Empfehlungen. Ich möchte euch heute sechs Einzelbände und Reihen vorstellen, die ihr euch meiner Meinung nach ansehen solltet, wenn ihr euch für Märchen, Mythen und Sagen interessiert. Vier behandeln Märchen, zwei befassen sich eher mit Mythologie und Sagen.

Cover des Buches "Hounded" von Kevin Hearne

„The Iron Druid Chronicles“ von Kevin Hearne

In den „Iron Druid Chronicles“ von Kevin Hearne spielen Mythologie und verschiedene Religionen eine große Rolle. Im Zentrum steht der 2.000 Jahre alte irische Druide Atticus O’Sullivan, der im Verlauf der neun Hauptbände der Reihe immer wieder mit göttlichen Entitäten und Sagengestalten in Konflikt gerät. Der Mehrteiler ist meiner Meinung nach ein guter Ausgangspunkt, wenn ihr euch mit der Thematik befassen wollt. Der Autor bietet seinen Leser_innen eine Art Crashkurs durch die Mythen unterschiedlicher Kulturen, wodurch ihr euch einfach herauspicken könnt, was euch interessiert und dazu dann weiter recherchieren könnt.

Die Reihe beginnt mit dem ersten Band „Hounded“. Nicht alle Bände sind gleichermaßen überzeugend, aber mir hat die Lektüre insgesamt viel Spaß gemacht, weil die Handlung spannend ist und ich Atticus als sympathischen, witzigen Protagonisten wahrnahm. Oh und er hat einen irischen Wolfshund namens Oberon, mit dem er sprechen kann – der heimliche Star der Reihe.

Cover des Buches "AERA: Die Rückkehr der Götter" von Markus Heitz

„AERA: Die Rückkehr der Götter“ von Markus Heitz

Wenn ihr vom Konzept der Göttlichkeit genauso fasziniert seid wie ich, kann ich euch „AERA: Die Rückkehr der Götter“ von Markus Heitz ans Herz legen. Heitz ist ja bekannt für seine düstere Urban Fantasy – in diesem Roman geht es aber nicht um Vampire oder Werwölfe (die ja irgendwie auch jeweils ein Mythos sind). Stattdessen untersucht der Autor eine höchst spannende Frage: Was wäre, wenn alle antiken Götter und Göttinnen mehr als Legenden wären und sich plötzlich in unserer modernen Welt manifestieren würden?

Um diese Frage zu beantworten, lässt er seine Leser_innen den Interpol-Ermittler Malleus Borreau begleiten, der international Verbrechen aufklärt, die (angeblich) mit den Göttlichen in Zusammenhang stehen. Ich mochte Malleus nicht, da er jedoch weiterhin Atheist ist, betrachtet er die göttliche Präsenz aus einer interessanten, kritischen Perspektive. Deshalb fand ich das Buch dennoch sehr anregend.

Cover des Buches "Alice" von Christina Henry

„Alice“ von Christina Henry

„Alice im Wunderland“ ist kein Märchen im klassischen Sinne, ich würde jedoch nicht zögern, diese Geschichte von Lewis Carroll trotzdem als Märchen zu bezeichnen. Christina Henry hat mit „Alice“ eine hervorragende Adaption geschrieben, die meiner Idealvorstellung dieser Gattung ziemlich nahe kommt. In ihrer Version ist die berühmte Protagonistin die Insassin einer Psychatrie, weil ihr niemand glaubte, als sie 10 Jahre zuvor blutüberströmt von einem Kaninchen und einer Tee-Party erzählte. Sie entkommt, als in der Anstalt ein Feuer ausbricht und begibt sich auf eine Reise, die ein hypnotisches Zerrspiegelbild des originalen Abenteuers darstellt.

Ich mochte Henrys verdrehte, finstere Variante des Kinderbuchklassikers sehr, weil ich das Gefühl hatte, dass die Autorin die inhärente Natur und Bedeutung des Originals zielsicher erfasst. Besonders das latente Gewaltpotenzial des Wunderlands arbeitet sie überzeugend heraus und brachte mich so dazu, mir Carrolls Geschichte noch einmal aus einer neuen Perspektive vor Augen zu führen. Wirklich eine fantastische Adaption, die ich begeistert empfehlen kann.

Cover des Buches "Die Fiese Meerjungfrau" von Jim C. Hines

„Die Todesengel“ von Jim C. Hines

Bei dieser Empfehlung dürfte es sich wahrscheinlich um die unbekannteste meiner Liste handeln. „Die Todesengel“ ist eine Tetralogie, die der Autor Jim C. Hines schrieb, um berühmten Märchenprinzessinnen die Kontrolle und Deutungshoheit über ihre Geschichten zurückzugeben. Er beleuchtet vor allem das, was nach „Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage“ passiert und porträtiert die formalen Fräulein in Nöten als starke, selbstbewusste und selbstbestimmte Frauen, die keine Männer brauchen, um Abenteuer zu bestehen und für ihre Ideale einzutreten.

Deshalb fand ich die Reihe ganz wunderbar, obwohl sie schriftstellerisch sicher nicht perfekt ist. Die Idee, Märchenprinzessinnen zu empowern, die traditionellen Klischees auf den Kopf zu stellen und die alten Geschichten aus einer neuen Perspektive zu beleuchten, begeisterte mich so sehr, dass ich über Mängel hinwegsehen konnte. Die Reihe startet mit „Drei Engel für Armand“, da ich diesen Band allerdings gelesen habe, bevor es meinen Blog gab, habe ich ihn nicht rezensiert. Meine Rezensionen des zweiten Bandes „Die Fiese Meerjungfrau“ und der zwei Folgebände sollten euch aber einen zuverlässigen Eindruck davon verschaffen, wie Hines seine Adaptionen gestaltet.

Cover des Buches "Cinder" von Marissa Meyer

„The Lunar Chronicles“ von Marissa Meyer

Okay, diese Reihe kennt ihr bestimmt. In ihren „Lunar Chronicles“ verfolgt Marissa Meyer ein ähnliches Konzept wie Jim C. Hines: Im Fokus stehen Märchenheldinnen, denen sie die Möglichkeit schenkt, ihre Geschichten selbst zu schreiben. Im Gegensatz zu Hines‘ Reihe spielt diese jedoch nicht in einem fantastischen, sondern in einem futuristischen Setting. Meyer beginnt mit einer Adaption von „Aschenputtel“ und stellt die Prinzessin im ersten Band „Cinder“ als Cyborg vor. Den Auftakt fand ich noch nicht überragend, aber mit Fortschreiten des Mehrteilers war ich mehr und mehr beeindruckt von Meyers schriftstellerischem Talent. Das Finale „Winter“ konnte ich sogar mit fünf Sternen auszeichnen.

Besonders toll fand ich, wie viele verschiedene Identifikationsmöglichkeiten Meyer besonders ihren jungen weiblichen Leserinnen bietet. Meiner Meinung nach ist das genau der Auftrag, den Jugendliteratur erfüllen muss und dass ihr das im Kontext von Märchen, die ja eigentlich sehr traditionelle Rollenbilder zeigen, gelungen ist, feiere ich enorm.

Cover des Buches "A Long Long Sleep" von Anna Sheehan

„A Long, Long Sleep“ von Anna Sheehan

„A Long, Long Sleep“ ist ebenfalls eine futuristische Adaption, dieses Mal von „Dornröschen“. Auch hier ist das Empowerment der Protagonistin eine wichtige Facette, Anna Sheehan geht aber noch einen Schritt weiter und untersucht darüber hinaus die äußerst tiefgründe Frage nach dem Recht auf Leben. Mich hat dieses Buch komplett überrascht, denn ich hatte befürchtet, dass es sich um eine kitschige, schnulzige Nacherzählung des Märchens handelt. Das ist überhaupt nicht der Fall, auch wenn die Handlung eine Wendung enthält, die wirklich extrem tragisch ist. Sheehan geht damit jedoch sehr respektvoll um, übertreibt es nicht und lässt die Fakten für sich sprechen.

Wenn ihr immer schon mal wissen wolltet, was mit Dornröschen geschah, nachdem sie aus ihrem jahrzehntelangen Nickerchen erwachte, seid ihr mit diesem Roman wirklich gut beraten. Es ist ein echter Geheimtipp. Nur von der Fortsetzung „No Life But This“ solltet ihr die Finger lassen.

Fazit

Als ich meine Auflistung zusammengestellt habe, ist mir aufgefallen, dass es in vielen meiner liebsten Märchenadaptionen darum geht, die Rollen der Figuren zu hinterfragen. Offenbar ist das ein Faktor, der für mich in der Neugestaltung dieser alten Geschichten sehr wichtig ist. Ich habe darüber nachgedacht, warum das so ist. Für die Antwort auf diese Frage komme ich wieder zu den Geschichten-Archetypen zurück.

Ich glaube, ich bevorzuge Adaptionen von Märchen, Mythen und Sagen, in denen Figuren Chancen erhalten, die sie traditionell nicht hatten, weil ich mir wünsche, dass sich der positive Wandel in unserer Welt in diesen Narrativen widerspiegelt. Diese neuen Interpretationen beweisen mir, dass wir als Menschheit eine Entwicklung durchmachen und ich live dabei bin. Gerade weil ich – gemeinsam mit allen anderen Menschen dieser Erde – in der ersten Reihe sitze, kann ich unseren Fortschritt nicht immer wahrnehmen. Aber wenn ich eine Adaption lese, in der sich die Prinzessin plötzlich fragt, ob sie den Prinzen überhaupt heiraten will, kann ich ihn sehen. Und das macht mir Hoffnung.

Welche Märchenadaptionen könnt ihr empfehlen?

Ich freue mich wie immer sehr auf eure Beiträge und Kommentare und wünsche euch allen einen märchenhaften Start in die neue Woche!
Alles Liebe,
Elli ❤️

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