Montagsfrage: Erzaehlweise?

Hallo ihr Lieben 😊

Da bin ich wieder. Entschuldigt bitte, dass ich die letzten zwei Wochen kommentarlos bei der Montagsfrage ausgesetzt und auch keine Rezension veröffentlicht habe. Ich konnte zu den beiden Fragen nichts Sinnvolles beitragen und wollte nicht auf Biegen und Brechen lange Antworten schreiben, die sich am Ende dennoch mit einem simplen „Nein“ zusammenfassen lassen hätten. Außerdem waren meine vergangenen Samstage jeweils von morgens bis abends verplant, wodurch ich bloß die Sonntage für Blogarbeit hatte. Die habe ich dann lieber genutzt, um weiter an meiner Rezension von „Das verlorene Paradies“ von John Milton zu schreiben, die wiederum der Grund ist, dass keine anderen Rezensionen online gehen konnten.

Ich komme mit meiner Besprechung voran, aber leider nicht so schnell, wie ich gehofft habe. Den geschichtlichen Kontext habe ich gestern abgeschlossen und widme mich nun John Miltons Biografie. Es sieht mittlerweile fast so aus, als müsste daraus doch ein kleines Blogprojekt mit irgendwas zwischen drei und fünf Beiträgen werden. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, wie ich die Abschnitte aufteilen werde, aber zusammen werden sie einfach zu lang für einen einzigen Post. Trotzdem halte ich die Hintergründe immer noch für entscheidend, um das Buch und meine Eindrücke davon zu verstehen, deshalb möchte ich nicht darauf verzichten.

Rein theoretisch hätte ich also mehr als genug zu tun, da ich jedoch zur heutigen Montagsfrage von Sophia von Wordworld mehr beitragen kann als „Nein“, möchte ich es mir nicht nehmen lassen, diese Woche dennoch wieder teilzunehmen. Schließlich möchte ich meine Freizeit nicht nur im England des 17. Jahrhunderts verbringen. 😉

Welches Buch hatte zuletzt die interessanteste Erzählstruktur oder Erzählweise?

Die naheliegende Antwort wäre vermutlich „Das verlorene Paradies“ von John Milton. Wie ich nun schon mehrfach berichtet habe, handelt es sich dabei um ein über 300 Seiten langes Gedichtepos in Blankversen, in dem der Autor die biblischen Geschichten der Rebellion im Himmel und des Sündenfalls im Garten Eden schildert. Natürlich ist die Erzählweise aufgrund dieser Rahmenbedingungen interessant, weil weder das Thema noch die Gattung für uns als moderne Leser_innen alltäglich sind. Ich habe aber das Gefühl, damit würde ich es mir viel zu einfach machen. Ich habe mir zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht wirklich eine Meinung dazu gebildet, was ich nun davon halte.

Eine andere Option für eine interessante Erzählweise bzw. Erzählstruktur wäre „Brüder“ von Jackie Thomae, weil die Aufteilung der Abschnitte dieses Buch in die Perspektiven der zentralen Figuren meiner Meinung nach ganz bewusst als Dreieck angelegt ist. Dazu müsste ich aber erklären, wieso ich finde, dass diese Struktur die Geschichte hervorragend unterstützt und liefe dabei Gefahr, zu spoilern. Das möchte ich selbstverständlich vermeiden. Wie ich dieses Problem für die Rezension löse, muss ich mir erst noch überlegen.

Deshalb möchte ich heute stattdessen ein anderes Buch vorstellen, das mich im März mit seiner speziellen Erzählweise beeindruckte: „The Winter Road“ von Adrian Selby.

In „The Winter Road“ geht es um den Bau einer Straße. Die Protagonistin Teyr ist eine erfolgreiche Unternehmerin, die es sich in den Kopf gesetzt hat, die ländlichen, vernachlässigten Gebiete des Circle mit den Metropolen des Landes zu verbinden. Sie möchte den Dörfern und Siedlungen Wohlstand und Fortschritt durch den Ausbau der Handelsbeziehungen bringen, Vorurteile abbauen und insgesamt das Verhältnis zwischen Land- und Stadtbevölkerung verbessern. Natürlich würde sie von einer zuverlässigen Infrastruktur auch selbst profitieren, vornehmlich möchte sie jedoch tatsächlich etwas Positives bewirken. Sie bereist die betreffenden Gebiete, um den Bau vor Ort anzustoßen.

Leider trifft ihr Vorhaben auf erbitterten Widerstand, weil die Provinzen von einem Warlord terrorisiert werden, der überhaupt nichts davon hält, der Regierung des Circle, die in der Hauptstadt angesiedelt ist, durch den Ausbau der Infrastruktur erheblichen Einfluss auf die entlegenen Gebiete zu ermöglichen. Dieser Mann träumt davon, die Unabhängigkeit der Provinzen durchzusetzen und zu einem archaischen Gesellschaftssystem zurückzukehren – notfalls mit dem Einsatz brutaler Gewalt. Was als Expedition im Namen des Fortschritts beginnt, eskaliert zu einer blutigen persönlichen Fehde, in der Teyr sehr viel mehr opfern muss als ihr Vermögen.

Cover des Buches 'The Winter Road' von Adrian Selby

Ich mochte das Buch sehr. Emotional war es keine angenehme Lektüre, weil die Handlung schnell sehr düster, grimmig und angespannt wird, aber als kreative, originelle und schriftstellerisch hervorragend umgesetzte Geschichte konnte ich „The Winter Road“ durchaus genießen.

Die Erzählweise ist mir besonders positiv in Erinnerung geblieben, weil Adrian Selby mit dieser ein ganz spezifisches Szenario heraufbeschwört, das ihm nicht nur alle notwendigen Freiheiten hinsichtlich des Worldbuildings gestattete, sondern mir als Leserin auch erlaubte, eine enge Bindung an die Protagonistin und ihre Geschichte aufzubauen.

„The Winter Road“ ist aus Teyrs Ich-Perspektive geschrieben. Ich steckte sehr tief in ihren Gedanken und es erschien mir, als würde sie mir einen enorm detaillierten Rückblick ihrer Erlebnisse während ihrer Expedition gewähren, sich währenddessen aber auch selbst in Trance reden. Ihre Sprache ist unpoliert, voller umgangssprachlicher Wendungen, Verkürzungen, lokaler Begriffe und grammatischer Fehler. Durch diese Mischung wirkt die Erzählweise extrem authentisch.

Zudem weist ihre Schilderung ein spannendes Zusammenspiel aus Distanz und Nähe auf. Einerseits spürte ich deutlich die Nüchternheit des zeitlichen Abstands, andererseits hatte ich den Eindruck einer emotionalen Reflektion. Selbys Erzählweise führte deshalb dazu, dass ich das intensive, beinahe körperlich greifbare Gefühl hatte, Teyr Jahre später persönlich bei einer Kanne Tee gegenüberzusitzen und ihrem Bericht zu lauschen.

Von der Erzählsituation hatte ich dank der Erzählweise dementsprechend bereits während der Lektüre ein äußerst klares Bild. Was mir beim Lesen hingegen nicht bewusst war, ist der Einfluss der Erzählweise auf das Worldbuilding. „The Winter Road“ ist ein Einzelband. In High und Low Fantasy-Einzelbänden ist das Worldbuilding häufig die schwierigste Baustelle, weil es eben nicht so einfach ist, eine komplette Welt inklusive aller für die Geschichte relevanten Gegebenheiten und Zusammenhänge innerhalb einer begrenzten Seitenzahl zu etablieren. Da verrutschen Autor_innen meiner Erfahrung nach schnell mal die Prioritäten.

Adrian Selby hingegen nimmt diese Hürde mit Bravour, weil er die durch die Erzählweise suggerierte Erzählsituation elegant und clever für sich arbeiten lässt. Wie gesagt, ich hatte das Gefühl, mit Teyr zusammenzusitzen, irgendwo auf der Welt. Es war, als wüsste sie, dass ich noch nie im Circle war. Sie wusste daher auch, dass sie mir als Ortsfremde bestimmte Dinge erklären muss, damit ich ihr folgen kann. Ich konnte die Bedeutung gewisser Worte sowie Phrasen und die kulturellen Eigenheiten des Circle ja nicht kennen.

Der Großteil des Worldbuildings geschieht dementsprechend beiläufig und inhärent, durch diese differenzierte Zuhör-Situation schafft sich Adrian Selby allerdings selbst den Raum, bei Bedarf explizite Erklärungen einzubauen, die niemals merkwürdig oder unmotiviert wirken. Teyr darf ausdrücklich erläutern und ausholen, weil sie eben nicht nur für sich selbst reflektiert, was ihr passiert ist, sondern auch für mich als ihre Zuhörerin. „The Winter Road“ ist kein reiner gedanklicher Monolog, in dem es seltsam wäre, wenn Teyr Aspekte darlegt, die für sie selbstverständlich sind; es ist ein Roman, dessen Erzählweise ganz bewusst auf die Interaktion mit den Leser_innen angelegt ist und dessen struktureller Aufbau genau darauf basiert.

Ich fand diese Wechselwirkung aus Erzählweise und Worldbuilding absolut brillant. Am meisten beeindruckte mich daran vermutlich, dass ich beim Lesen gar nicht gemerkt habe, wie entscheidend die Erzählweise zur Komplettierung und Plausibilität des Worldbuildings beiträgt. Adrian Selby geht dabei so subtil vor, dass ich erst rückblickend begriff, was er da tat. Wie ein Bühnenzauberer ließ er mich während des Buches woanders hinschauen und lenkte mich ab, damit ich seinen größten Trick gar nicht mitbekam. Das ist qualitativ hochwertige Schriftstellerei. So muss das sein.

Wenn ihr Grimdark-Fantasy mögt und nicht zimperlich bei Gewalt und Blutvergießen seid, kann ich euch „The Winter Road“ dementsprechend guten Gewissens empfehlen. Die Erzählweise allein ist die Lektüre schon wert.

In welchem eurer zuletzt gelesenen Bücher ist euch die Erzählweise besonders aufgefallen?

Ich freue mich wie immer sehr auf eure Beiträge und Kommentare und wünsche euch allen einen belebenden Start in die neue Woche!
Alles Liebe,
Elli ❤️

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