Hallo ihr Lieben! :)
Ich beginne heute meine letzte Arbeitswoche bei der großen überregionalen Tageszeitung mit den vier Buchstaben. Dreimal muss ich noch antanzen, dann habe ich ein paar Tage frei und nächste Woche Dienstag, pünktlich zum 01. Dezember, starte ich in meinen neuen Job. Es ist merkwürdig, dass meine restliche Zeit nun so überschaubar ist und ich weiß, dass ich mich danach für immer verabschiede. Noch hält sich meine Nervosität in Grenzen, aber das kann nächste Woche natürlich schon ganz anders aussehen. Mein ganzes Leben wird sich auf den Kopf stellen und neu ausrichten, da ist ein bisschen Muffensausen sicher keine Schande. Ich hoffe, dass meine letzten drei Tage einigermaßen reibungslos ablaufen und ich mich nicht noch mal ärgern oder auf umfangreiche Überstunden einstellen muss. Drückt mir die Daumen, dass keine größeren Katastrophen passieren. Es wäre nett, wenn der Übergang entspannt sein könnte. Ist schließlich alles so schon aufregend genug. ;)
Die Montagsfrage von Antonia von Lauter&Leise ist definitiv ein entspannendes Ritual zum Wochenstart, das ich auch heute wieder zelebriere.
Sollten Bücher, die sensible Themen behandeln, mit Trigger-Warnungen ausgestattet sein?
Kurz gesagt: Ja. Ich bin definitiv für die Integration von Trigger-Warnungen auf der Außenseite von Büchern. Ich schreibe bewusst nicht „Cover“, weil ich glaube, man muss keinen großen roten Hinweis fett auf die Front drucken, um Menschen, die Traumatisches erlebt haben oder mit psychischen Erkrankungen kämpfen, davor zu warnen, dass ein Buch möglicherweise negative Emotionen auslösen könnte, die ihre Situation verschlimmern. Es reicht völlig, auf der Rückseite einen Kasten zu platzieren, der die behandelten, sensiblen Themen auflistet. Ich habe das bei einigen englischen Young Adult – Romanen sogar schon gesehen. Ist der Kasten immer an derselben Stelle, wissen ja alle Leser_innen, wo sie danach Ausschau halten müssen, um nicht unerwartet in eine Krise gestürzt zu werden.
Meiner Meinung nach ist eine Trigger-Warnungen kein Spoiler, denn dafür ist sie viel zu allgemein gehalten, sondern eine Vorsichtsmaßnahme, die emotional belastete Menschen schützt. Da ich selbst auf eine Vergangenheit mit Depressionen, selbstverletzendem Verhalten und Suizidgedanken zurückschaue, kann ich nachvollziehen, dass einige Menschen vermeiden wollen, mit ihren Traumata oder psychischen Schwierigkeiten in einem Buch konfrontiert zu werden. In der Tiefe meines depressiven Lochs hatte ich ebenfalls Probleme damit, Beschreibungen von Depressionen zu ertragen, weil sie mir unangenehm vor Augen führten, wie ich mich fühlte. Ich wusste bereits, dass es mir schlecht ging, ich empfand es als unnötig schmerzhaft, daran erinnert zu werden. Und nein, bevor jemand dieses Argument anbringt, als Konfrontationstherapie taugen unvorbereitete Lesesituationen überhaupt nicht. Eine Konfrontationstherapie ist ein strikt überwachter Prozess, der ausschließlich von kompetenten Therapeut_innen durchgeführt werden sollte, die ihre Patient_innen genau kennen. Eine Selbstbehandlung mit Büchern, die sensible Themen behandeln, ist gefährlich und nicht hilfreich. Deshalb finde ich, dass Trigger-Warnungen ein kleiner Preis dafür sind, Menschen davor zu bewahren, in einen nicht absehbaren emotionalen, psychischen Abgrund zu stürzen.
Trigger-Warnungen werden oft mit Zensur in Verbindung gebracht, im Sinne von „Werden Bücher überhaupt noch gelesen, wenn sie nachweislich schwierige Themen ansprechen?“. Eltern könnten ihren Kindern verbieten, gewisse Bücher zu konsumieren, wenn bereits auf dem Cover (oder auf der Rückseite) steht, dass sie gewisse Darstellungen beinhalten. Sie könnten aus Bibliotheken verbannt, aus dem Lehrplan gestrichen und von Buchhandlungen boykottiert werden. Dazu kann ich nur sagen: Das geschieht bereits jetzt, ohne die Verpflichtung zu Trigger-Warnungen und das betrifft häufig Bücher, die (meiner bescheidenen Ansicht nach) nicht mal eine Trigger-Warnung rechtfertigen. Überall auf der Welt gibt es Bemühungen, den Zugang zu bestimmten Büchern zu verbieten, weil es überall Menschen gibt, die sich daran stören, dass sie Aspekte behandeln, die nicht ihrem Weltbild entsprechen. Die „Harry Potter“-Reihe wird beispielsweise seit ihrem Erscheinen immer wieder beanstandet, weil sie (ich zitiere und übersetze) „sich auf Magie und Hexenwerk bezieht, Zaubersprüche und Flüche enthält und die Charaktere schändliche Mittel einsetzen, um ihre Ziele zu erreichen“. Die meisten anderen Bücher, die dieses Jahr auf der Top-10-Liste der beanstandeten Bücher der Banned Books Week gelandet sind, stehen dort aufgrund ihrer Darstellung nicht-heteronormativer Beziehungen und Lebensweisen. Natürlich könnten Trigger-Warnungen Menschen, die ohnehin bereit sind, Bücher verbieten zu lassen, zusätzliche Argumente liefern, das will ich nicht abstreiten. Ich glaube jedoch, dass diese Menschen immer Gründe finden werden, Bücher zu beanstanden, ob mit oder ohne Trigger-Warnungen.
Ein weiterer Punkt ist die Frage nach den Grenzen von Trigger-Warnungen. Wovor sollte man warnen und auf welche Themen muss man nicht extra hinweisen? Eine Antwort ist kniffelig, weil prinzipiell alles ein Trigger sein kann. Das ist hochgradig individuell, denn unsere Erinnerungen und Erfahrungen sind mit all unseren Sinnen verknüpft. So könnte beispielsweise die Beschreibung eines spezifischen Geruchs eine Betroffene von sexualisierter Gewalt bereits an den Übergriff erinnern. Ebenso individuell sind Traumata. Manche empfinden die Scheidung der Eltern als traumatisch, andere sind durch Erfahrungen von Missbrauch im Kindesalter traumatisiert. Das Spektrum ist extrem vielfältig, Leid und Schmerz lassen sich nicht messen. Ich muss es leider ganz deutlich sagen: Wir können nicht alle schützen. Das funktioniert nicht. Deshalb würde ich mich bei der Formulierung einer Vorgabe für Trigger-Warnungen an den international anerkannten psychischen Krankheitsbildern des ICD-10 orientieren, die als triggeranfällig bekannt sind und gegebenenfalls deren als (einigermaßen) gesichert geltende Ursachen. Das könnte PTBS, Depressionen, Schizophrenie, Borderline, Suchterkrankungen, Essstörungen oder auch dissoziative Identitätsstörungen (im Volksmund gespaltene Persönlichkeit genannt) beinhalten, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Wir wissen, dass Kriegserfahrungen PTBS auslösen können; wir wissen, dass selbstverletzendes Verhalten ein Symptom vieler psychischer Krankheiten und Störungen ist; wir wissen, dass sexualisierte Gewalt immer emotionale Narben hinterlässt. Was hindert uns daran, mit diesem Wissen wenigstens ein paar Menschen das erneute Durchleben ihrer schmerzhaften Erfahrungen oder die Verschlimmerung ihrer Symptome zu ersparen?
Ich denke außerdem, dass man literarische Genres differenziert betrachten muss. Vor allgemeinen Gewaltdarstellungen in einem Psychothriller zu warnen, erscheint mir überflüssig, weil potenzielle Leser__innen von Anfang an damit rechnen, diese in der Geschichte vorzufinden. Auf sexualisierte Gewalt hinzuweisen, finde ich hingegen auch bei einem Thriller sinnvoll, weil nicht alle Thriller sexualisierte Verbrechen behandeln. Es ist eine Gradwanderung, das ist mir klar. Ich bin keine Politikerin und habe selbstverständlich keinen konkreten Entwurf für eine gesetzliche Vorgabe für Trigger-Warnungen im Ärmel. Ich glaube trotzdem, ein entsprechendes Gesetz würde vielen Leser_innen die Literaturauswahl erleichtern.
Was haltet ihr von Trigger-Warnungen?
Ich freue mich wie immer sehr auf eure Beiträge und Kommentare und wünsche euch allen einen angenehmen Start in die neue Woche!
Alles Liebe,
Elli ❤️
Ich habe tatsächlich keinerlei traumatische Erfahrungen „aufzuweisen“, aber selbst als diesbezüglicher Laie sollte man intuitiv erahnen, dass der Vorschlag einer unbegleiteten Konfrontationstherapie ein außerordentlich dummer ist. :-) Aber – und das frage ich, wie gesagt, als Laie – ist es im Zuge eine Therapie nicht machbar, Handlungs-, Umgangs- oder Verhaltensstrategien zu erarbeiten, die einem im Falle der Konfrontation mit einem Trigger helfen? Denn, und ich meine das weder bösartig oder zynisch, der Punkt der Eigenverantwortung der Betroffenen ist ein Punkt, der mir in der Diskussion häufig zu kurz kommt.
Absolut, natürlich sollten alle Traumata aufgearbeitet werden und ich bin der größte der Fan der Psychotherapie, weil ich ohne sie nicht mit meinen Depressionen fertig geworden wäre. Aber die Aufarbeitung eines Traumas kann Jahre, manchmal sogar Jahrzehnte dauern. In einigen Fällen entstehen durch traumatische Erlebnisse auch chronische Erkrankungen. Oder das Risiko einer erneuten Erkrankung erhöht sich, war man einmal erkrankt, wie es zum Beispiel bei Depressionen beobachtet wurde. Im Idealfall lehrt die Therapie das Handwerkszeug, durch das man mit Triggern umzugehen lernt, das stimmt. Aber es dauert oft lange, bis man diese Strategien im Alltag wirklich anwenden kann, denn jede Verhaltensmodifikation ist ein Prozess. Befinde ich mich mitten in diesem Prozess, kann es sein, dass ich noch nicht so weit bin, mit einem Trigger souverän umzugehen, also ist es doch hilfreich, wenn ich zumindest ein paar Risiken bewusst umgehen kann. Wenn ich weiß, dass ein Buch meine Traumaverarbeitung stören könnte, kann ich mich dagegen entscheiden, es zu lesen. Weiß ich es nicht, kann es passieren, dass ich ungebremst in einen Trigger hineinrassele. Genau das soll im Rahmen des Möglichen vermieden werden und deshalb sehe ich in Triggern-Warnungen sogar eine Hilfestellung zur Eigenverantwortung.
Hey Elli,
also Psychologie-Studentin bin ich komplett deiner Meinung und finde Triggerwarnungen hilfreich und wichtig! Wenn auch nicht unbedingt direkt auf dem Cover,…
Liebe Grüße
Sophia
Muss ja nicht, wie gesagt, wenn man weiß, wo die ist, kann man ja gezielt danach schauen :)
Hallo Elli,
interessante Gedanken, die Du da hast. Im Großen und Ganzen magst Du vielleicht sogar Recht haben, nur finde ich die Umsetzung etwas schwierig. Nach Deinem Schema müssten ja Ärzte und Pychologen die Bücher vor der Veröffentlichung prüfen und auf diverse Krankheiten und/oder Merkmale einer Störung untersuchen.
Denn die Verlagsmitarbeiter unf Lektoren werden das sicher nicht können und auch Autoren verwenden sicherlich oftmals mehr oder minder unbewusst Verhaltensweisen, die auf eine Krankheit zurückzuführen sind, die sie selbst nicht kennen.
Finde ich in Summe relativ schwierig. Vielleicht sollte die Bücherwelt mit einer Art USK beginnen …?
Viele Grüße
Frank
Hey Frank,
ehrlich gesagt sehe ich darin prinzipiell kein Problem, abgesehen von der Finanzierung einer solchen Fachberatung. Jedes Manuskript durchläuft in einem Verlag ohnehin ein Lektorat, wieso sollte es nicht möglich sein, es auch einem entsprechend ausgebildeten Menschen vorzusetzen, der den Text nach Vorgaben des hypothetischen Gesetzes, über das ich geschrieben habe, prüft? Vielleicht muss das auch gar nicht bei jedem Manuskript geschehen, wenn die übrigen Mitarbeiter_innen des Lektorats entsprechend sensibilisiert werden, dass sie es, wenn bestimmte Inhalte auffallen, weiterleiten. Ich kann mir vorstellen, dass ähnliches schon heute passiert, zum Beispiel, wenn rechtliche Fragen im Manuskript geklärt werden müssen.
LG
Elli
Ich glaube, dass sowas nur gelingt, wenn die Anzahl der zu betrachtenden Krankheiten oder Traumata begrenzt wird. Dann könnte ich mir auch so ein System vorstellen, wie Du es angedacht hast.
[…] häufigen Triggern anlegen und kann entsprechend schnell diese für ein Buch auswählen. Hierzu hat Elli von Wortmagie auch vorgeschlagen, sich an „international anerkannten psychischen Krankheitsbildern des […]
Hi! Ich bin sehr erleichtert, auch noch eine andere Antwort zu lesen, die sich für Trigger-Warnungen ausspricht. Deine Argumente finde ich sehr gut und sehe ich genauso, auch dein Vorschlag, sich an anerkannten psychischen Krankheitsbilder zu orientieren. Ich hab dich in meinem Beitrag auch ein bisschen zitiert, ich hoffe, dass ist in Ordnung. :)
Natürlich, ich hab den Ping-Back auch genehmigt. :)
Freut mich 😊
[…] wortmagieblog […]