Hallo ihr Lieben! :)
Psst. Heute muss ich die Montagsfrage von Antonia von Lauter&Leise von Arbeit aus beantworten. Es ist einer der seltenen Montage, an denen ich Frühschicht habe und als die Frage online ging, musste ich bereits los. Es sollte verboten werden, zum Wochenstart so widerlich früh aufstehen zu müssen. Ich hoffe, dass ich den Tag einigermaßen unbeschadet überstehe, denn mir liegen diese zeitigen Schichten absolut nicht. Ich war schon immer eher eine Eule. Trotzdem habe ich heute auch gute Nachrichten zu verkünden: die Rezension zu „A Wayward Angel“ ist endlich fertig und für morgen geplant! Sie ist tatsächlich eine der umfangreichsten Besprechungen, die ich je geschrieben habe, aber ich hatte einfach äußerst viel zu sagen und wollte euch keinen meiner Gedanken vorenthalten. Hin und wieder darf ich eskalieren. ;) Jetzt wollen wir aber erst mal sehen, was Antonia diese Woche von uns wissen möchte.
Welche Klischees haben für euch wirklich ausgedient?
Ich stimme Antonia zu, in der Jugendliteratur sind Klischees äußerst weit verbreitet. Allein das berühmt-berüchtigte Liebesdreieck ist ja mittlerweile ein Klischee, das wohl zuletzt zu Shakespeares Zeiten originell war. Vielleicht liegt es daran, dass die junge Zielgruppe diese sich wiederholenden Elemente besonders wertschätzt. Vielleicht an der mangelnden Erfahrung, denn man schnallt ja erst durch eine gewisse Vertrautheit mit dem Genre, dass dessen Geschichten häufig nach Schema F gestrickt sind. Vielleser_innen wie wir, denen das früh auffällt, weil wir Literatur in überdurchschnittlichem Ausmaß konsumieren, sind immer noch die Ausnahme.
Da ich aber schon in meinen Rezensionen auf der mangelden Originalität der Jugendliteratur herumhacke und das vermutlich auch weiterhin tun werde, habe ich mir für heute ein anderes Opfer herausgepickt: Kriminalthriller. In diesem Genre führte der übermäßige Einsatz eines bestimmten Klischees tatsächlich dazu, dass ich es nur noch selten lese und sehr genau darauf achte, was mir Klappentexte zwischen den Zeilen über die inhaltlichen Strukturen verraten. Ich habe nämlich absolut keine Lust mehr auf Workaholic-Ermittler_innen. Ihr kennt sie bestimmt, die Polizist_innen, Patholog_innen, Profiler_innen, Staatsanwält_innen, etc. die folgendes Charakterprofil aufweisen: obsessiv überarbeitet, sozial isoliert, suchtgefährdet, emotional traumatisiert, reizbar, kaum teamfähig, einsam, verbittert, zynisch. Gerade durch diese Eigenschaften ist er oder sie die einzige Person, die sich wirklich in den/die Mörder_in hineinversetzen kann (oft haben sie auch eine gemeinsame Vergangenheit) und ist dadurch letztendlich befähigt, das Katz und Maus – Spiel zu beenden. Es sind vorgebliche Antiheld_innen, deren heroischer Status nie wirklich in Frage gestellt wird.
Mich nervt das tierisch, weil dieses charakterliche Profil zu den immer selben, berechenbaren Szenen führt. Kriege ich beim Lesen eines Klappentextes das Gefühl, dass die Hauptfigur diesem Stereotyp entspricht, weiß ich bereits, dass es sicherlich eine, mehrere oder gleich alle dieser Situationen geben wird:
Option A: Der/die Ermittler_in verbringt eine heiße Nacht mit einem Kollegen oder einer Kollegin. Am nächsten Morgen ist das beiden furchtbar unangenehm, während der/die Kolleg_in allerdings gern versuchen würde, eine tiefere Beziehung aufzubauen, schreckt unsere zynische, verbitterte Hauptfigur davor zurück, weil er/sie basierend auf schlechten Erfahrungen in der Vergangenheit Vertrauensschwierigkeiten hat.
Option B: Der/die Ermittler_in ist beruflich extrem talentiert und könnte ebenso erfolgreich sein, wäre da nicht das Problem mit der Autorität. Deshalb wurde er/sie nie befördert, hat keine_n Partner_in und eckt immer wieder an. Den aktuellen Fall nimmt er/sie persönlich und verhält sich daher ungesund obsessiv. Im Laufe der Ermittlung überschreitet er/sie Grenzen, wird beurlaubt oder suspendiert, arbeitet aber heimlich trotzdem weiter am Fall.
Option C: Es stellt sich im Laufe der Ermittlungen heraus, dass der/die Täter_in ein Geist aus der Vergangenheit des/der Ermittler_in ist. Höchstwahrscheinlich zielen die Mordfälle ausschließlich darauf ab, seine/ihre Aufmerksamkeit zu wecken, ihm/ihr Angst zu machen und daran zu erinnern, was sie gemeinsam erlebten.
Option D: Der/die Ermittler_in zeigt mehr Feingefühl für die Toten als für die Lebenden. Er/Sie ist oft eklig zu Kolleg_innen und den Menschen in seinem oder ihrem Umfeld, für die Opfer des/der gesuchten Mörder_in hingegen empfindet er/sie großes Mitgefühl und möchte ihnen unbedingt Gerechtigkeit verschaffen.
Option E: Der/die Ermittler_in lebt allein in einer kleinen, spartanisch und unpersönlich eingerichteten Wohnung. Wir sehen ihn/sie dort entweder zwischen leeren Alkoholflaschen oder leeren Tablettenpackungen aufwachen, um sofort zu verstehen, dass er/sie sozial völlig versagt.
Option F: Das große Finale der Geschichte ist der Showdown zwischen Ermittler_in und Mörder_in. Dabei handelt es sich um eine sehr exklusive Veranstaltung, an der nur die beiden und höchstens ein Opfer teilnehmen dürfen. Verstärkung gibt es für den/die Ermittler_in nicht, weil das entweder a) zu lange dauert oder b) der/die Mörder_in droht, das Opfer abzumurksen oder c) niemand erreichbar ist oder d) der/die Ermittler_in die potentielle Unterstützung ohnehin für nutzlose Stümper_innen hält.
Mir würden sicher noch mehr Szenen einfallen, aber ich denke, anhand dieser Beispiele erhaltet ihr einen recht zuverlässigen Eindruck davon, was ich meine. Es hängt mir zum Hals raus. Ich kann für solche Figuren einfach keine Sympathie mehr entwickeln. Eine Parade von Sozialversager_innen drückt sich in meinem Bücherregal herum. Egal, wie motiviert, begründet und gerechtfertigt die Traumata dieser Ermittler_innen sind, es gibt zu viele von ihnen, weil sich zu viele Autor_innen auf diesem Klischee ausruhen, das nur der billige Ersatz einer sorgfältigen Charakterkonstruktion ist.
Welches Klischee hängt euch so richtig zum Hals raus?
Ich freue mich wie immer sehr auf eure Beiträge und Kommentare und wünsche euch allen einen stressfreien Start in die neue Woche!
Alles Liebe,
Elli ❤️
Herzlichen Dank für deine Ausführungen zum Krimigenre. Ich habe mich köstlich amüsiert. Vor allem, weil ich gerade eine Rezension verfasst habe, in der Option Fd eine Rolle spielt. Und A und E. 😂
Man müsste damit eigentlich mal ein Bullshit-Bingo designen. :D
Das wäre eine geniale Idee! So eine Art Bechdel-Test für Krimis. 😉
Oder man macht ein Trinkspiel draus. 😂
Cool! Ich bin dabei!
Hallo Elli,
da geb ich Dir natürlich recht, dass in so mancher Kriminalliteratur die Ermittler zu sehr dem Schema F folgen …
BTW: bin auf Dein Trinkspiel-Bullshit-Bingo gespannt :D
Viele Grüße
Frank
Na toll, da hab ich ja was angefangen :D
Hallo Elli,
vielen Dank für den ausfürlichen Beitrag und ich gebe dir recht. Was du beschreibst, tritt wirklich immerzu auf und ich kann mir vorstellen, dass es nervig ist. Nun, ich lese von Haus aus nicht allzu viele Thriller/Krimis und mich stört es weniger, wenn es der Autor/die Autorin schafft es glaubhaft und gut herüber zu bringen. Geschichten leben nun einmal von besonderen Charakteren, weil es ja neben der „Jagd auf den Bösen“ noch Nebenschauplätze geben soll. Was eignet sich da wohl besser, als die privaten Probleme der Ermittler. Ich finde es daher ganz OK, wenn die irgendwie anders sind und aus der Rolle fallen. Hauptsache es ist spannend und interessant.
Liebe Grüße
Jay von „du weißt schon wo“
Grüß dich Jay,
aber wenn sie „irgendwie anders“ sind, fallen sie ja schon aus dem Klischee und genau das wünsche ich mir ja ohnehin. ;)
LG
Elli
Ich gestehe, nach Lektüre Deines Beitrags eine veritable Unterstrich-Überversorgung zu haben. ;-) Davon abgesehen unterschreibe ich Deine Auführungen aber vollumfänglich.
Ja, ich verstehe, was du meinst, aber das ist es wert, inkludierend zu schreiben. ;)
Es ist ja auch nicht Deine Unterstrich-Überversorgung … ;-)
Ich persönlich bin ja allenfalls Verfechter des Binnen-I – sollte sich darob jemand exkludiert fühlen, wäre mir das dann nun wieder wert … :-)
Das Binnen-I ist natürlich völlig akzeptabel, zumindest aus meiner heteronormativ geprägten Sicht. Ich habe mich nur irgendwann für die Gender-Gap entschieden, weil sie in meinem Kopf am meisten Sinn ergibt. Ich stelle mir immer vor, dass sich dann jeder einfach in die Lücke setzen und selbst bestimmen kann, was sie bedeutet. Es handelt sich also um eine rein persönliche Präferenz, die auf eine mentale Visualisierung zurückzuführen ist. :)