banned books week 2014
Heute bin ich über einen Beitrag von Yvo auf ihrem Blog It’s All About Books gestolpert, der mich ziemlich nachdenklich hat werden lassen. Ihr Beitrag ist von einer Initiative inspiriert, die sich „Banned Books Week 2014“ nennt und von der American Library Association ins Leben gerufen wurde. Die ALA kämpft für intellektuelle Freiheit, die ihrer Meinung nach in den USA bis heute regelmäßig eingeschränkt wird, indem Bücher und Publikationen verboten oder angezeigt werden können. Angezeigt, das bedeutet, dass Eltern einen Antrag stellen können, um ein Buch verbieten zu lassen, wenn sie überzeugt sind, die Lektüre sei unpassend für ihre Kinder. Kommt so ein Antrag durch, was glücklicherweise nur selten der Fall ist, wird das betreffende Buch aus Bibliotheken entfernt und der Zugang dementsprechend verhindert.
ALA veröffentlicht Zahlen zu diesen Anträgen. Sie machen sichtbar, welche Bücher aufgrund welcher Vorbehalte wie oft angezeigt werden und welche Bücher sogar verboten werden. In der Dekade von 2000 bis 2009 waren das laut ALA 5.099 Anträge, davon

  • 1.577 Anzeigen wegen „sexueller Freizügigkeit“
  • 1.291 Anzeigen wegen „anstößiger Sprache“
  • 989 Anzeigen, weil das Material „unpassend für die Altersgruppe“ sei
  • 619 Anzeigen wegen „Gewalt“‚
  • 361 Anzeigen wegen „Homosexualität“
  • 274 Anzeigen wegen „okkulten“ oder „satanistischen“ Themen
  • 291 Anzeigen wegen den vermittelten „religiösen Ansichten“
  • 119 Anzeigen, weil sich das Material „gegen die Familie“ richte

Die ersten vier Punkte scheinen recht logische Gründe zu sein, um ein Buch für Kids verbieten zu lassen, oder? Das Problem daran ist, dass jeder Mensch diese Punkte unterschiedlich streng interpretiert. Werfen wir mal einen Blick auf die Top 10 der angezeigten Bücher im Jahr 2013:

  1. „Captain Underpants“ (Reihe), von Dav Pilkey
    Gründe: anstößige Sprache, unpassend für die Altersgruppe, Gewalt
  2. „The Bluest Eye“, von Toni Morrison
    Gründe: anstößige Sprache, sexuelle Freizügigkeit, unpassend für die Altersgruppe, Gewalt
  3. „The Absolutely True Diary of a Part-Time Indian, von Sherman Alexie
    Gründe: Drogen/Alkohol/Rauchen, Rassismus, anstößige Sprache, sexuelle Freizügigkeit, unpassend für die Altersgruppe
  4. „Fifty Shades of Grey“, von E.L. James
    Gründe: Nacktheit, anstößige Sprache, religiöse Ansichten, sexuelle Freizügigkeit, unpassend für die Altersgruppe
  5. „The Hunger Games“, von Suzanne Collins
    Gründe: religiöse Ansichten, unpassend für die Altersgruppe
  6. „A Bad Boy Can Be Good for A Girl“, von Tanya Lee Stone
    Gründe: Drogen/Alkohol/Rauchen, Nacktheit, anstößige Sprache, sexuelle Freizügigkeit
  7. „Looking for Alaska“, von John Green
    Gründe: Drogen/Alkohol/Rauchen, sexuelle Freizügigkeit, unpassend für die Altersgruppe
  8. „The Perks of Being a Wallflower“, von Stephen Chbosky
    Gründe: Drogen/Alkohol/Rauchen, Homosexualität, sexuelle Freizügigkeit, unpassend für die Altersgruppe
  9. „Bless Me Ultima“, von Rudolfo Anaya
    Gründe: Okkultes/Satanismus, anstößige Sprache, religiöse Ansichten, sexuelle Freizügigkeit
  10. „Bone“ (Reihe), von Jeff Smith
    Gründe: politische Ansichten, Rassismus, Gewalt

Nehmt euch ruhig mal die Zeit, euch diese 10 literarischen Werke anzusehen. Mir hat eine kurze Recherche nämlich gezeigt, dass ich den Großteil der Anzeigen als unbegründet und überempfindlich einschätze. „The Hunger Games“, von Suzanne Collins vermittelt religiöse Ansichten? Ich kann mich nicht erinnern, dass mir etwas in der Art aufgefallen wäre. „The Bluest Eye“ – Toni Morrison WOLLTE schockieren. Es geht schließlich um realen Rassismus in den 40er Jahren.
Aber gut, vielleicht findet ihr diese Auswahl noch irgendwie nachvollziehbar. Schauen wir uns mal ein paar Titel an, die von 2000 bis 2009 verboten oder angezeigt wurden:

  • „Harry Potter“ (Reihe) von J.K. Rowling
  • „The Adventures of Huckleberry Finn“ von Mark Twain
  • „The Color Purple“ von Alice Walker
  • „Catcher in the Rye“ von J.D. Salinger
  • „To Kill A Mockingbird“ von Harper Lee
  • „Beloved“ von Toni Morrison
  • „Brave New World“ von Aldous Huxley
  • „Slaughterhouse-Five“ von Kurt Vonnegut
  • „Fahrenheit 451“ von Ray Bradbury
  • A Prayer for Owen Meany“ von John Irving
  • „Goosebumps“ (Reihe) von R.L. Stine

Mich haben gerade diese Bücher sehr überrascht, weil sie erstens zu großen Teilen in den Bestenlisten dieser Welt auftauchen (siehe Let’s talk about…) und zweitens… ich weiß nicht, wie ich es anders ausdrücken soll, es erscheint mir einfach unglaublich ignorant, diese Bücher verbieten zu wollen. Gerade „Slaughterhouse-Five“ von Kurt Vonnegut ist ein so wichtiges und trauriges Buch, ein so deutliches Statement gegen Krieg, dass es mich schmerzt, zu sehen, dass es Menschen gibt, die nicht wollen, dass es gelesen wird. Und die „Gänsehaut“ – Serie von R.L. Stine? Also mal ehrlich, ich habe diese Grusel-Romane als Kind gelesen (so mit 12, 13) und hatte viel Spaß daran. Geschadet hat es mir meiner Meinung nach nicht.
Wenn ich mir diese Auflistungen ansehe, bin ich sehr froh, dass es die ALA gibt. Es ist wichtig, dass es Menschen gibt, die sich für die Freiheit des geschriebenen Wortes einsetzen. Danke.
Die Frage, die sich mir aufdrängte, ist die nach der Situation in Deutschland. Sicher habt ihr, wie auch ich, bereits vom sogenannten Index gehört. Bei uns kümmert sich die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien um die Indizierung von Büchern, eine Unterabteilung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Ich habe versucht, mir diese Indexliste anzusehen. Das ist allerdings nicht so einfach, weil nur ein Teil selbiger überhaupt veröffentlicht wird und dieser öffentliche Teil ebenfalls aus rechtlichen Gründen nicht einfach publiziert werden kann. Möchte man den Index zu Rate ziehen, muss man die offizielle Veröffentlichung der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien kaufen. Ja, die verdienen Geld mit diesen Informationen.
Kurz gesagt: es gibt in Deutschland einen Index, den man aber nicht problemlos einsehen kann.
Auch hier können Anträge zum Verbot bestimmter Medien gestellt werden, das beinhaltet Bücher, Filme, Musik und Spiele. Indiziert bedeutet in der Regel erst einmal nur, dass diese Medien jugendgefährdend sind und deswegen nur an volljährige Bürger verkauft werden dürfen, Stichwort FSK 18. Mir ist das sogar schon passiert, dass ich ein PS3-Spiel kaufen wollte und dafür meinen Ausweis vorlegen musste. Es gibt allerdings auch Medien, die überhaupt nicht verkauft oder erworben werden dürfen, meist, wenn eine Straftat wie Volksverhetzung vorliegt.
Eine Indizierung ist für 25 Jahre gültig, danach muss das Medium aus dem Index gelöscht und gegebenenfalls neu geprüft werden.
Das klingt alles erst mal sehr typisch deutsch. Bürokratisch eben. Aber lasst das mal sacken. Deutsche Bürger sollen Geld dafür bezahlen, den Index einsehen zu können.
Für indizierte Medien besteht darüber hinaus ein absolutes Werbeverbot. Der Versandhandel ist strengen Auflagen unterworfen was den Verkauf dieser Medien angeht. Daraus ergibt sich eine Situation, in der eigentlich niemand richtig erfährt, was indiziert ist und was nicht. Eine Debatte hinsichtlich der Angemessenheit einer Indizierung wird dementsprechend massiv erschwert. Es ist die alte Frage: wer kontrolliert eigentlich die Kontrolleure? Uns wird von oben vorgegeben, was angeblich jugendgefährdend ist. Das ist nicht sehr demokratisch, wenn ihr mich fragt. Obwohl der Verbotsmechanismus bei uns in meinen Augen objektiver abläuft als in den USA, halte ich ihn für unzureichend. Natürlich habe ich nichts dagegen, dass Bücher verboten werden, die beispielsweise volksverhetzend sind. Eine Straftat ist und bleibt nun mal eine Straftat. Auch halte ich es nicht für falsch, den Zugang zu bestimmten Medien für Jugendliche zu erschweren oder unmöglich zu machen. Was mich stört, ist das Wie.

Wie seht ihr das? Was haltet ihr von Verboten und Indizierungen von Medien?

Findet ihr es richtig, wie die Mechanismen in Deutschland und den USA ablaufen? Würdet ihr daran etwas verändern? Empfindet ihr es als Zensur?

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