Ich weiß, es ist spät. Ich muss eigentlich auch ins Bett. Aber wie das so ist, habe ich natürlich Vor-dem-Schlafen-gehen-Rituale, wie vermutlich viele andere Menschen auch. Das letzte, was ich abends tue, bevor ich ins Schlafzimmer watschel, ist, noch ein paar Seiten zu lesen. Und jetzt sitze ich hier und weine, weil ich eine der furchtbarsten Stellen meiner ganzen Lesekarriere direkt vor dem Schlafengehen lesen musste. Hätte ich nur bis morgen gewartet. Diese Szene verfolgt mich bis in meine Träume, das weiß ich jetzt schon. Und da dachte ich, wozu habe ich einen Buchblog, wenn ich so intensive Gefühle nicht rauslasse und mit euch teile?
Um es zu verstehen, braucht ihr ein bisschen Hintergrund-Wissen. In der gesamten Chaos Walking – Trilogie geht es um Gedanken, denn New World ist ein Ort der konstanten Informationsflut. Stets können die Menschen dort hören, was ihr Gegenüber gerade denkt (es sei denn, es ist eine Frau, aber das ist eine andere Geschichte). Tiere, Männer… niemand außer den Frauen kann die eigenen Gedanken verbergen. Auf New World gibt es eine indigene Spezies, die von den Menschen „Spackles“ genannt wird. Sie selbst nennen sich „The Land“, denn sie sind ein kollektiver Organismus. Sie denken GEMEINSAM. Es ist ihre Art der Kommunikation, denn sie artikulieren sich nicht wie Menschen. Im Laufe der Geschichte kam es, wie es kommen musste. Es geschah das, was immer passiert, wenn Menschen sich überlegen fühlen. Sie versklavten einen Teil von The Land. Sie „heilten“ den Noise (die hörbaren Gedanken) und gaben diese „Heilung“ auch The Land. Sie beraubten sie ihrer einzigen Kommunikationsmöglichkeit. Und dann… töteten sie sie. Weil es ihren eigenen Interessen diente, begangen sie Massenmord. Genozid.
Das ist schon grauenhaft genug, aber in der Szene, die ich gerade gelesen habe, schildert der einzige Überlebende des Massakers seine Eindrücke. Ich will dazu gar nicht mehr sagen, sondern es einfach zitieren:

„Not when they lined us up and began to kill us. Shooting us, hacking at us, making that high stuttering sound they call laughing. Killing the old and the young, mothers and babies, fathers and sons. If we tried to resist, we were killed. If we did not resist, we were killed. If we tried to run, we were killed. If we did not run, we were killed.
One after the other after the other after the other.
With no way to share our fear. No way to coordinate and try to protect ourselves. No way to be comforted as we died.
And so we died alone. Every one of us.“                 („Monsters of Men“, S. 116)

Oh Gott, ich zittere am ganzen Körper, wenn ich mir vergegenwärtige, was es bedeutet, so zu sterben. Unter Tausenden, doch mutterseelenallein. Das ist das Schlimmste, was man jemandem antun kann. Brutal, abscheulich, grausam. So furchtbar, dass mir die Worte fehlen, um meine Gefühle wirklich auszudrücken.
Bitte verzeiht, wenn ich euch damit ebenso traurig gemacht habe, wie ich mich gerade fühle. Aber ich konnte nicht… ich kann nicht ins Bett gehen, so lange das in mir wütet. So konnte ich zumindest einen Teil meiner Trauer (und Wut) rauslassen.

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