Cover des Buches "Auerhaus" von Bov Bjerg

Titel: „Auerhaus“

Autor_in: Bov Bjerg

Format: Taschenbuch

Seitenzahl: 236 Seiten

Verlag: Aufbau Taschenbuch

Sprache: Deutsch

ISBN-10: 3746632382

Genre: Realistische Fiktion

Ausgelesen: 26.01.2021

Bewertung: ★★★★☆

Manchmal ist es schon verrückt, wie Bücher bei mir landen. Immer wieder ziehen Werke durch seltsame Zufälle in mein Bücherregal ein. „Auerhaus“ des deutschen Autors Bov Bjerg ist so ein Fall. Das Buch war 2018 das Geschenk einer Freundin zu meinem 29. Geburtstag. Abgesehen davon, dass mir nur noch selten Bücher geschenkt werden, ist das an sich natürlich nicht ungewöhnlich. Einmalig wird diese Anekdote erst dadurch, dass es ein gänzlich ungeplantes Geschenk war.

Wir wollten meinen Geburtstag an diesem Abend gebührend feiern und trafen uns bei dieser Freundin zu Hause, um gemeinsam in einen Berliner Club zu fahren. Während wir darauf warteten, dass alle eintrudelten, erzählte sie mir aufgeregt von ihrer letzten Lektüre. Das Buch hätte sie hellauf begeistert, es sei eine Offenbarung. Ich erinnere mich noch genau, wie ihre Augen strahlten. Ich muss geantwortet haben, dass ich es wohl auch mal lesen sollte.

Sie sprang auf, kramte kurz umher und hielt mir dann eine Ausgabe von „Auerhaus“ entgegen. Sie fand es so toll, dass sie gleich nach dem Lesen losgezogen war und weitere Exemplare gekauft hatte – zum Verschenken, damit alle dieses wundervolle Buch lesen konnten. Ich freute mich sehr, steckte das Buch in meine Handtasche und schleppte es den gesamten Abend mit mir herum. Ja, „Auerhaus“ war mit mir tanzen, bevor ich es ins Regal stellte. Aber erst jetzt, Jahre später und nach der Lektüre ist mir klar, wie gut dieses Erlebnis zu der Geschichte passt, die es erzählt.

Das Haus lag mitten im Dorf. Es war alt und hätte eine Sanierung dringend nötig gehabt. Küche, Bad und Schlafzimmer im Obergeschoss. Wasch- und Schlachteküche im Erdgeschoss, daneben ein Durchgang zum leeren Kuhstall. Als sie einzogen, strichen sie alle Zimmer orange. Nur Frieder strich sein Zimmer weiß und hellblau. Wie Griechenland.

Frieder brauchte eine Bleibe, die anderen ein Heim. Gemeinsam übten sie dort das Erwachsensein. Das Haus half ihnen dabei, nahm sie an die Hand und zeigte sechs Jugendlichen, was Liebe und Freundschaft bedeuten. Das Haus war ihre Rettung, ihr sicherer Hafen in einer Welt, die wenig von Idealen und noch weniger von Träumen hält. Es war ihr Haus. Es war das Auerhaus.

Das Haus lag mitten im Dorf. Es war alt und hätte eine Sanierung dringend nötig gehabt. Küche, Bad und Schlafzimmer im Obergeschoss. Wasch- und Schlachteküche im Erdgeschoss, daneben ein Durchgang zum leeren Kuhstall. Als sie einzogen, strichen sie alle Zimmer orange. Nur Frieder strich sein Zimmer weiß und hellblau. Wie Griechenland.

Frieder brauchte eine Bleibe, die anderen ein Heim. Gemeinsam übten sie dort das Erwachsensein. Das Haus half ihnen dabei, nahm sie an die Hand und zeigte sechs Jugendlichen, was Liebe und Freundschaft bedeuten. Das Haus war ihre Rettung, ihr sicherer Hafen in einer Welt, die wenig von Idealen und noch weniger von Träumen hält. Es war ihr Haus. Es war das Auerhaus.

„Auerhaus“: Freundschaft als Lebensretter

Ich finde es furchtbar, dass wir Romane wie „Auerhaus“ von Bov Bjerg in Deutschland noch immer als „Bildungsroman“ bezeichnen. Das klingt langweilig, trocken und eingestaubt; wie ein perfides Folterinstrument aus den Tiefen des erfolgreich verdrängten Deutschunterrichts, das ausschließlich dazu geschaffen wurde, junge Geister möglichst qualvoll in den REM-Schlaf zu versetzen.

Diese Assoziation ist mittlerweile völlig überholt, denn eigentlich ist der Bildungsroman lediglich das deutsche, literaturwissenschaftliche Äquivalent des populären Coming of Age – Motivs. Heute können wir uns über wundervolle Bücher freuen, die diese spezielle Gattung ebenso verkörpern wie ihre Vorgänger der klassischen Literatur. Denkt nur an „Tschick“ von Wolfgang Herrndorf. „Auerhaus“ von Bov Bjerg schlägt in dieselbe Kerbe: Ein moderner Bildungsroman, der mit viel Herz und Witz eine berührende Geschichte von Freundschaft, Liebe und dem Erwachsenwerden erzählt.

Meiner Meinung nach illustriert „Auerhaus“, wie lebensnotwendig Freundschaften in der Jugendzeit sind. Selbstverständlich sind Menschen soziale Wesen und brauchen Nähe grundsätzlich wie die Luft zum Atmen, aber in den prägenden Jahren der Jugend ist dieses Bedürfnis drängender, stärker und unverzichtbarer als in jedem anderen Abschnitt unseres Lebens. Wenn Konflikte mit Eltern und Gesellschaft uns das Gefühl vermitteln, von niemandem verstanden zu werden, sind es unsere Freundschaften, die uns davor retten, in ein tiefes dunkles Loch zu fallen.

In ein solches Loch fiel Frieder, bevor er und seine fünf Freund_innen in das Auerhaus ziehen. Frieder ist der bescheidene, aber wahrnehmbare Dreh- und Angelpunkt des Romans. Er beeinflusst die Handlung von „Auerhaus“ mehr als alle anderen; es ist sein emotionaler Zustand, der dazu führt, dass die sechs Jugendlichen eine WG in einem baufälligen alten Haus aufmachen. Die Sorge um Frieder begleitet die Geschichte permanent wie ein melancholischer Unterton, wie eine Erkennungsmelodie in Moll, die zwischen den Zeilen in den Schilderungen des Ich-Erzählers Höppner stetig mitschwingt.

Ich erfuhr nie, wie Höppner mit Vornamen heißt. Das war auch gar nicht nötig. Bov Bjerg leiht ihm eine Stimme, die nahbar und direkt ausfällt, sodass ich mich unmittelbar in seiner Gedanken- und Gefühlswelt aufhalten durfte. Seine Perspektive gestaltet „Auerhaus“ häufig ungewollt komisch, weil er in seiner Unerfahrenheit einige sehr naive Vorstellungen über das Leben teilt. Er weiß oft nicht, wie er seinem beeindruckend starken Verantwortungsempfinden für Frieder Ausdruck verleihen soll und verhält sich unbeholfen, auch in seinen Beziehungen zu seinen anderen Mitbewohner_innen.

Die WG ist ein Sammelbecken unterschiedlichster Persönlichkeiten, die verschiedene Facetten des Erwachsenwerdens personifizieren. Es fiel mir daher sehr leicht, mich mit allen mal mehr, mal weniger zu identifizieren. Obwohl viele Ereignisse in „Auerhaus“ vom dörflichen Setting des Romans bestimmt werden, erkannte ich mich in den Problemen, die die sechs zu bewältigen haben, durchaus wieder. Auch verstand ich intuitiv, warum das Auerhaus so wichtig für sie ist: Es gibt ihnen Halt, als sie ihn brauchen und ein Zuhause, als sie nicht mehr wissen, wo sie daheim sind. Es ist für sie ein Anker in einer Zeit des Umbruchs, während sie herauszufinden versuchen, ob sie noch Kinder sind – oder bereits Erwachsene.

Ich habe die Lektüre von „Auerhaus“ sehr genossen, trotz der latent bedrückenden Atmosphäre der Geschichte. Ich glaube sogar, dass der geschickt eingesetzte Kontrast zwischen lichten und dunklen Momenten dieses Buch besonders nachwirken lässt. Meiner Ansicht nach ist es zwar keine Offenbarung, weil es ein sehr typischer Vertreter des deutschen Bildungsromans ist, doch Bov Bjerg bereitete mir schöne Lesestunden, die mich nostalgisch an meine Jugendzeit zurückdenken ließen.

Tanzen, als sähe niemand zu, Fehler machen, Dummheiten und Abenteuer erleben und das tiefe Vertrauen zwischen Jugendfreund_innen, das selbst das Alter nie völlig aushöhlen kann – all das beschreibt „Auerhaus“ und lädt Leser_innen ein, die Geschichte durch die Erinnerungen an ihr eigenes „Damals“ zu vervollständigen.

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