Cover des Buches "Tampa" von Alissa Nutting

Titel: „Tampa“

Autor_in: Alissa Nutting

Format: Taschenbuch

Seitenzahl: 263 Seiten

Verlag: Ecco

Sprache: Englisch

ISBN-10: 0062280589

Genre: Realistische Fiktion

Ausgelesen: 20.03.2021

Bewertung: ★★★★☆

Bitte ich euch, mir Bücher zu nennen, in denen Sexualstraftaten eine Rolle spielen, könnt ihr garantiert auf Anhieb zehn passende Romane aufzählen. Aber fallen euch ebenso viele ein, in denen die Täterin weiblich ist?

Die Erkenntnis, dass es vergleichsweise wenig Unterhaltungsliteratur über weibliche Sexualstraftäterinnen gibt, traf auch Alissa Nutting, als ihr 2005 aus den Nachrichten ein bekanntes Gesicht entgegenblickte. Ihre ehemalige Mitschülerin Debra Lafave wurde angeklagt, weil sie als Lehrerin eine sexuelle Beziehung mit einem 14-jährigen Schüler eingegangen war.

Lafavre bekannte sich schuldig und wurde zu drei Jahren Hausarrest sowie sieben Jahren Bewährung verurteilt. Das relativ milde Urteil war die Folge eines Deals, der dem minderjährigen Opfer einen langwierigen, öffentlichen Prozess ersparen sollte. Kritiker_innen behaupten hingegen, dass Lafavre diesen Deal nur bekam, weil sie eine attraktive, junge, weiße Frau war.

Nutting war geschockt. Doch der Fall brachte sie auch zum Nachdenken. Wieso gab es keine Bücher, die das Klischee einer Affäre zwischen Lehrerin und Schüler thematisierten? Sie beschloss, diese Lücke zu füllen und schrieb den höchst kontroversen Roman „Tampa“.

Celeste hat kein Interesse an Männern. Ihre Gelüste sind exquisiter, anspruchsvoller. Ihr Hunger ist unersättlich.

Es ist beinahe zu leicht, Menschen zu manipulieren – sie denken zu lassen, Celeste wäre nicht mehr als eine liebreizende, schöne junge Frau von 26 Jahren. Die Welt liegt ihr zu Füßen. Ihr Ehemann, ihre Kolleg_innen, Nachbar_innen oder Bekannte – niemand ahnt, dass Celeste ihren Beruf nicht zufällig ergriff. Niemand vermutet, dass sie aus einem ganz bestimmten Grund Lehrerin wurde.

Celeste ist eine Jägerin. Ihr Jagdrevier ist das Klassenzimmer der achten Stufe. Und ihre Beute sind diejenigen, die sie eigentlich schützen sollte: 14-jährige Jungs.

Celeste hat kein Interesse an Männern. Ihre Gelüste sind exquisiter, anspruchsvoller. Ihr Hunger ist unersättlich.

Es ist beinahe zu leicht, Menschen zu manipulieren – sie denken zu lassen, Celeste wäre nicht mehr als eine liebreizende, schöne junge Frau von 26 Jahren. Die Welt liegt ihr zu Füßen. Ihr Ehemann, ihre Kolleg_innen, Nachbar_innen oder Bekannte – niemand ahnt, dass Celeste ihren Beruf nicht zufällig ergriff. Niemand vermutet, dass sie aus einem ganz bestimmten Grund Lehrerin wurde.

Celeste ist eine Jägerin. Ihr Jagdrevier ist das Klassenzimmer der achten Stufe. Und ihre Beute sind diejenigen, die sie eigentlich schützen sollte: 14-jährige Jungs.

„Tampa“: Auch Frauen sind Täterinnen

Uiuiui, „Tampa“ reißt Leser_innen wirklich weit aus ihrer Komfortzone. Ich verspreche euch, wenn ihr diesen Roman lest, werdet ihr euch durchgängig unwohl fühlen. Der Vergleich mit „American Psycho“ von Bret Easton Ellis, der immer wieder herangezogen wird, um „Tampa“ einzuordnen, ist tatsächlich nicht abwegig. Meiner Meinung nach gibt es jedoch einen entscheidenden Unterschied zwischen den Büchern: Alissa Nutting versucht eindeutig, etwas zu sagen und zu zeigen. Bei Ellis war ich mir da nicht immer sicher.

Wie ihr umstrittener Kollege nutzt Nutting Extreme, um ihre Botschaft zu transportieren. „Tampa“ schickt Leser_innen in den verstörend hypersexualisierten Geist der 26-jährigen Lehrerin Celeste und illustriert ihre sexuelle Vorliebe für präpubertäre Jungs äußerst explizit. Im Gegensatz zu Ellis vermittelte mir Nutting allerdings nie den Eindruck, zu weit zu gehen. Nie hatte ich das Gefühl, dass sie in ihren Beschreibungen um ihrer selbst willen schwelgte. Sie will, dass ihre Leser_innen Celeste zuhören und vor allem auch beachten, was sie nicht sagt. Mir war stets gegenwärtig, dass Nutting Celestes Exzesse verwendete, um meine Aufmerksamkeit zu fesseln und sie auf das Kernthema von „Tampa“ zu lenken: Weibliche Gewalt.

Während der Lektüre dachte ich, eine der wichtigsten Fragen sei, ob Celeste pädophil ist. Ich habe obsessiv darüber gegrübelt, was mit der Protagonistin nicht stimmt und worin ihr inakzeptables Verhalten begründet sein könnte. Mittlerweile halte ich das nicht mehr für relevant. Alissa Nutting traf die Entscheidung, Celestes Taten nicht zu erklären, bewusst. Die Autorin will den Reflex der Sehnsucht nach einer Erläuterung gezielt ins Leere laufen lassen.

Sie möchte, dass sich ihr Publikum windet und das Unerträgliche erträgt, ohne Erleichterung zu erfahren, um zu vermeiden, dass Erklärungen zu Entschuldigungen führen. Wir sollen Celeste nicht verstehen. Wir sollen ihr keine Absolution erteilen. Wir sollen uns damit auseinandersetzen, was wir für sie empfinden. „Tampa“ konfrontiert uns schonungslos mit weiblichem Gewaltpotenzial und zwingt uns, anzuerkennen, dass es für das, was Celeste ihren Opfern antut, keine Legitimation gibt.

Celestes Beziehungen zu ihren Schülern qualifizieren sich nicht als „irgendwie in Ordnung“, weil es männliche Schüler sind. Gesellschaftlich neigen wir dazu, sexualisierte Gewalt mit zweierlei Maß zu messen. Sind die Betroffenen Männer oder Jungs, sprechen wir ihnen den Opferstatus viel zu leichtfertig ab. „Tampa“ stellt durch Celestes Skrupellosigkeit und ihr fehlendes Unrechtsbewusstsein unmissverständlich klar, wie fehlgeleitet diese Tendenz ist.

Es ist unerheblich, dass ihre Schüler glauben, Sex mit ihr haben zu wollen. Sie sind Kinder. Sie sind noch zu jung, um zu begreifen, wieso ein solches Verhältnis zu ihrer Lehrerin falsch ist. Sie können nicht beurteilen, was Celeste ihnen nimmt. Darum sind sie Opfer, wie man es auch dreht und wendet – und Celeste eine Sexualverbrecherin.

Ich fand „Tampa“ spannend und außerordentlich faszinierend. In eine weibliche Psyche einzutauchen, die so offensichtlich gestört ist, war selbstverständlich mehr als unangenehm. Aber meine emotionale Reaktion auf Celeste lehrte mich viel darüber, welche Vorurteile meine Bewertung von Sexualstraftaten durch Frauen prägen. Es erschreckte mich, wie leicht und schnell ich mich von Celeste einlullen ließ und ihre Standards als normal hinnahm. Abstumpfung in Rekordzeit.

Obwohl ich „Tampa“ daher als bedeutsames Buch empfinde, das den Finger unverhohlen in eine Wunde legt, die wir gesellschaftlich noch gar nicht wirklich als solche wahrnehmen, möchte ich keine Empfehlung aussprechen. So signifikant Alissa Nuttings Botschaft sein mag, der Roman enthält zahlreiche sehr explizite Darstellungen sexualisierter Gewalt gegen Kinder. Ich verstehe, dass sich dem nicht alle Leser_innen aussetzen können oder wollen. Bitte entscheidet gewissenhaft, ob „Tampa“ die richtige Lektüre für euch ist, bevor ihr das Buch aufschlagt. Gebt auf euch Acht.

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