Natasha Walter – Living Dolls: Warum junge Frauen heute lieber schön als schlau sein wollen

Cover des Buches "Living Dolls: Warum junge Frauen heute lieber schon als schlau sein wollen" von Natasha Walter

Autor_in: Natasha Walter

Format: Taschenbuch

Seitenzahl: 336 Seiten

Verlag: Fischer

Sprache: Deutsch

ISBN-10: 3596189969

Genre: Non-Fiction

Ausgelesen: 01.04.2014

Bewertung: ★★★★★

Ich interessiere mich nun schon seit längerer Zeit für Feminismus, Sexismus, Gender Studies und alles, was mit der Gleichstellung der Geschlechter im weitesten Sinne zu tun hat. Und ja, ich würde mich durchaus als Feministin bezeichnen, denn beginnt Feminismus nicht genau dann, wenn man erkennt, dass ein Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern besteht und sich nicht damit abfinden möchte? Trotzdem stehe ich noch ganz am Anfang, ich lerne erst noch verschiedene feministische Ansätze kennen, die meiner eigenen Meinung mal mehr, mal weniger entsprechen.

„Living Dolls“ ist mein erstes eindeutig feministisches Buch, bisher habe ich mich eher auf Artikel und/oder Blog-Einträge verlassen; am Ende dieses Beitrags findet ihr ein paar Links zu Websites und Blogs, die ich euch sehr empfehlen kann, wenn ich ihr euch ebenso wie ich für dieses Thema interessiert. Ich bin mir nicht mehr sicher, wie ich über Natasha Walters Analyse des aktuellen wiederkehrenden Sexismus unserer Gesellschaft gestolpert bin, aber ich weiß noch ganz genau, dass der deutsche Titel (obwohl er eher unglücklich gewählt ist, vergleicht man ihn mit dem Originaltitel) eine Fragestellung ansprach, die mir schon lange Kopfzerbrechen bereitete. Um es mit den Worten der Sängerin P!NK zu sagen: „What happened to the dreams of a girl president?“ (Zitiert aus: P!NK, “Stupid Girls“). 

Die Journalistin Natasha Walter hat viel Zeit und Recherche aufgewendet, um diese Frage zu beantworten. Ihrer Ansicht nach ist die Problematik darin begründet, dass die feministische Revolution feststeckt, denn nach den Erfolgen der ersten und zweiten feministischen Welle, die für eine höhere Emanzipation der Frauen sorgten, wurde dieses Konzept von unserer Gesellschaft (vor allem von der Wirtschaft, Stichwort Werbebranche) in eine beängstigend sexualisierende Richtung gedrängt. Somit wird jungen Frauen heute vermittelt, mit der Zurschaustellung ihres Körpers könnten sie sehr schnell sehr erfolgreich werden; die Degradierung vom Subjekt zum Objekt sei ein sicheres Erfolgsrezept.

Gerechtfertigt wird dies regelmäßig mit der Entscheidungsfreiheit: Frauen würden dies ja freiwillig tun, niemand würde sie zwingen. Natasha Walter zeigt jedoch auf, dass diese Entscheidungsfreiheit oft eine Illusion ist. Wie frei kann eine Frau noch entscheiden, sich auf ihre Körperlichkeit reduzieren zu lassen, wenn sie kaum andere Chancen für sich sieht, einen bestimmten Status zu erreichen? Dementsprechend ist unsere ihres Erachtens nach hypersexualisierte Kultur lange nicht so gleichberechtigt, wie wir es uns gern einreden und einreden lassen, denn die „umfassende Sexualisierung von Frauen in der Öffentlichkeit [behindert] ihre Emanzipation.“

Begünstigt wird dieses Ungleichgewicht durch den wiedererstarkenden biologischen Determinismus, der davon ausgeht, dass es eben einfach biologische Unterschiede zwischen Mann und Frau gibt, gegen die unsereins nicht ankommt. Walter argumentiert gegen eine rein biologische Analyse der Geschlechter und kritisiert, dass Studien, die diese Motivation auszeichnet, oft soziale, kulturelle Faktoren nicht beachten. Darüber hinaus betont sie, dass die Forschungsergebnisse aus den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen weit weniger eindeutig sind, als es uns vor allem die Medien gern weismachen möchten.

„Living Dolls“ hat mir ausnehmend gut gefallen. Besonders beeindruckt war ich davon, dass Natasha Walter ihre Kritik niemals an die Personen richtet, die in unserer ungleichen Gesellschaft leben (müssen), sondern immer an das System, das dahinter steckt. Sie verurteilt keine einzige Frau, die sich für Geld auszieht; sie verurteilt keine einzige Mutter, die sich entschieden hat, daheim für die Kinder zu sorgen; doch sie verurteilt das System, das Frauen in die eine oder andere Rolle drängt. Sie ruft ihre LeserInnen auf, kritischer mit den Lebensumständen von Frauen umzugehen, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken und zu erkennen, dass das Weibliche noch immer in einen Käfig aus Stereotypen gesteckt wird und dies darüber hinaus auch auf Männer zutrifft. Sie verlangt nach einer Gesellschaft, in der wir wahrhaft frei entscheiden können, wie wir unser Leben gestalten möchten, unabhängig vom Geschlecht. Natasha Walter gehört nicht zu den Feministinnen, die prinzipiell alles Männliche verdammen; müsste ich ihre Position mit zwei Worten beschreiben, würde ich sie als solidarisch – humanistisch bezeichnen. Sie sucht die Fehler unserer Gesellschaft nicht in einem bestimmten Teil selbiger, sondern in ihr als Ganzes, mit all den komplexen Prozessen, die sie ausmacht.

„Living Dolls“ passt ausnehmend gut zu der Mission, die ich mir selbst auch auf die Fahnen geschrieben habe: Sensibilisierung für (Alltags–) Sexismus. Auf der Rückseite meiner Ausgabe steht folgender Kommentar aus Psychologie heute:

„Ein kluges und wichtiges Buch.“

Ich kann dieses Urteil voll und ganz und ohne zu zögern unterschreiben. Ich möchte „Living Dolls“ allen meinen LeserInnen empfehlen, denn es betrifft uns alle. Wir alle sollten reflektierter darüber nachdenken, wie wir uns im Alltag verhalten und wie wir durch die Öffentlichkeit manipuliert werden, überholte Stereotype immer und immer wieder zu reproduzieren.

Persönlich hat mir „Living Dolls“ die Argumente geliefert, die ich meinem eigenen Empfinden nach so dringend brauchte, um biologisch – deterministischen Ansichten entgegen zu treten. Ich möchte interessierten LeserInnen unbedingt dazu raten, auch die Anmerkungen und Quellen des Buches gewissenhaft durchzuarbeiten, da hier einige faszinierende Studien und Artikel verzeichnet sind, die noch tiefer in die Materie eintauchen.

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