Cover des Buches "Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde" von Robert Louis Stevenson

Titel: „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“

OT: „Strange Case of Dr Jekyll and Mr Hyde“

Autor_in: Robert Louis Stevenson

Format: Taschenbuch

Seitenzahl: 101 Seiten

Verlag: Goldmann

Sprache: Deutsch

ISBN-10: 344207651X

Genre: Horror & Klassiker

Ausgelesen: 27.01.2021

Bewertung: ★★★★☆

Es ist Klassiker-Zeit auf dem wortmagieblog! Wir wollen uns mit einer Novelle beschäftigen, die mittlerweile über 130 Jahre alt ist, Leser_innen aber bis heute fasziniert. Sicher ist sie auch euch indirekt schon begegnet: „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ von Robert Louis Stevenson.

Mir sind der anständige, sanfte Dr. Jekyll und der bösartige, animalische Mr. Hyde schon sehr lange ein Begriff. Da Stevensons Geschichte in zahllosen popkulturellen Formaten aufgegriffen wurde und noch immer wird, begleiten sie mich wahrscheinlich seit meiner Kindheit. Wann sie mir zuerst begegneten, kann ich nicht mehr rekonstruieren, doch ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich je nicht wusste, wer sie sind und welches Schicksal sie verbindet.

Da die Popkultur jedoch dazu neigt, klassische Figuren der Literatur zu verzerren, umzudeuten und Interpretationen zu verbreiten, die nicht im Sinne ihres Schöpfers oder ihrer Schöpferin gewesen wären (Grüße gehen raus an Robert E. Howard), beschloss ich vor fast zehn Jahren, eines Tages herauszufinden, wie Robert Louis Stevenson Dr. Jekyll und Mr. Hyde ursprünglich konzipierte. Im Januar 2021 war es dann soweit: Ich nahm mir „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ vor.

Wenn mich mein Blogprojekt „Robert E. Howard & Conan der Barbar“ eines gelehrt hat, dann, dass Klassiker nicht ohne Einordnung auskommen. Es ist nicht möglich, sie isoliert zu betrachten. Deshalb werfen wir in der heutigen Rezension zuerst einen Blick auf Leben sowie Schaffen von Robert Louis Stevenson und die Entstehungshistorie von „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“, bevor ich meine Gedanken zu der Novelle selbst mit euch teile.

Begeben wir uns auf einen Streifzug durch die Geschichte und reisen zusammen ins literarische 19. Jahrhundert!

Robert Louis Stevenson: Leuchttürme, Reisen und immer wieder die Gesundheit

Robert Louis Stevenson wurde 1850 in Edinburgh als Robert Lewis Balfour Stevenson geboren. Er war ein kränkliches Einzelkind, das aufgrund gesundheitlicher Probleme häufig die Schule wechselte und immer wieder zu Hause von Privatlehrer_innen unterrichtet wurde. Sein Interesse am geschriebenen Wort entwickelte sich früh. Noch bevor er lesen konnte, diktierte er seiner Mutter und seinem Kindermädchen Geschichten.

Es ist Klassiker-Zeit auf dem wortmagieblog! Wir wollen uns mit einer Novelle beschäftigen, die mittlerweile über 130 Jahre alt ist, Leser_innen aber bis heute fasziniert. Sicher ist sie auch euch indirekt schon begegnet: „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ von Robert Louis Stevenson.

Mir sind der anständige, sanfte Dr. Jekyll und der bösartige, animalische Mr. Hyde schon sehr lange ein Begriff. Da Stevensons Geschichte in zahllosen popkulturellen Formaten aufgegriffen wurde und noch immer wird, begleiten sie mich wahrscheinlich seit meiner Kindheit. Wann sie mir zuerst begegneten, kann ich nicht mehr rekonstruieren, doch ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich je nicht wusste, wer sie sind und welches Schicksal sie verbindet.

Da die Popkultur jedoch dazu neigt, klassische Figuren der Literatur zu verzerren, umzudeuten und Interpretationen zu verbreiten, die nicht im Sinne ihres Schöpfers oder ihrer Schöpferin gewesen wären (Grüße gehen raus an Robert E. Howard), beschloss ich vor fast zehn Jahren, eines Tages herauszufinden, wie Robert Louis Stevenson Dr. Jekyll und Mr. Hyde ursprünglich konzipierte. Im Januar 2021 war es dann soweit: Ich nahm mir „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ vor.

Wenn mich mein Blogprojekt „Robert E. Howard & Conan der Barbar“ eines gelehrt hat, dann, dass Klassiker nicht ohne Einordnung auskommen. Es ist nicht möglich, sie isoliert zu betrachten. Deshalb werfen wir in der heutigen Rezension zuerst einen Blick auf Leben sowie Schaffen von Robert Louis Stevenson und die Entstehungshistorie von „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“, bevor ich meine Gedanken zu der Novelle selbst mit euch teile.

Begeben wir uns auf einen Streifzug durch die Geschichte und reisen zusammen ins literarische 19. Jahrhundert!

Robert Louis Stevenson: Leuchttürme, Reisen und die Gesundheit

Robert Louis Stevenson wurde 1850 in Edinburgh als Robert Lewis Balfour Stevenson geboren. Er war ein kränkliches Einzelkind, das aufgrund gesundheitlicher Probleme häufig die Schule wechselte und immer wieder zu Hause von Privatlehrer_innen unterrichtet wurde. Sein Interesse am geschriebenen Wort entwickelte sich früh. Noch bevor er lesen konnte, diktierte er seiner Mutter und seinem Kindermädchen Geschichten.

Porträtfoto von Robert Louis Stevenson (1893) von Henry Walter Barnett

Robert Louis Stevenson 1893, Henry Walter Barnett creator QS:P170,Q16026949, Robert Louis Stevenson by Henry Walter Barnett bw, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

Sein Vater Thomas Stevenson unterstützte seine schriftstellerischen Ambitionen, ging aber trotzdem davon aus, dass der junge Robert eines Tages in das Familiengeschäft einsteigen würde. Die Stevensons waren erfolgreiche Leuchtturmingenieure, weshalb Robert ab 1867 ebenfalls ein Ingenieursstudium an der Universität von Edinburgh begann.

Es kristallisierte sich schnell heraus, dass seine Studien ihn nicht fesselten. Er schwänzte regelmäßig Vorlesungen und Seminare. 1871 eröffnete er seinem Vater, dass er dem Familiengeschäft den Rücken kehren und sich der Schriftstellerei widmen würde. Thomas war enttäuscht, akzeptierte die Entscheidung seines Sohnes allerdings. Sie einigten sich, dass Robert zur finanziellen Absicherung Jura studieren würde. Vier Jahre später qualifizierte er sich als Anwalt, praktizierte jedoch nie. Fortan schrieb er und reiste durch Europa.

Auf einer dieser Reisen begegnete er 1876 Fanny Van de Grift Osbourne. Er lernte die dreifache Mutter, die getrennt von ihrem damaligen Ehemann lebte, in Frankreich kennen. Fanny war 36 Jahre alt, US-Amerikanerin und ebenfalls Schriftstellerin. Zuerst blieb es bei diesem einmaligen Treffen. Robert kehrte nach Großbritannien zurück, schien die 10 Jahre ältere Frau aber nicht aus dem Kopf zu kriegen. Warum sonst verfasste er anschließend das Essay „On falling in love“? 😉

Anfang 1877 trafen sie sich erneut und wurden ein Paar. Ein Jahr später gingen sie eine Fernbeziehung ein, denn Fanny und ihre Kinder zogen nach San Francisco, während Robert in Europa blieb. Erst im August 1879 hielt er die Distanz nicht mehr aus und beschloss, Fanny nachzureisen – entgegen den Ratschlägen aller Freund_innen und ohne seinen Eltern Bescheid zu sagen. Ja ja, was die Liebe mit Menschen anstellt.

Robert buchte eine Überfahrt in der zweiten Klasse nach New York City. Von dort ging es mit dem Zug weiter nach Kalifornien. Die Reise war eine Quelle der Inspiration für Roberts Schriftstellerei, seiner ohnehin labilen Gesundheit schadete sie jedoch enorm. Als er in Monterey eintraf, war er halbtot und wäre ohne die fürsorgliche, selbstlose Pflege von lokalen Ranchern vermutlich gestorben.

Einige Zeit residierte er im French Hotel, das heute als „Stevenson House“ ein Museum zu seinen Ehren beherbergt. Er aß häufig in einem nahegelegenen Restaurant, das von dem Franzosen Jules Simoneau geführt wurde. Zwischen den beiden Männern entfaltete sich eine Freundschaft. Jahre später schickte Robert sogar eine Ausgabe von „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ an Simoneau, die eine persönliche Widmung enthielt. Er schrieb, es wäre ein noch seltsamerer Fall, würde Robert Louis Stevenson Jules Simoneau je vergessen.

Im Dezember 1879 ging es Robert gut genug, um weiterzuziehen. Verarmt und angeschlagen kämpfte er damit, sich finanziell als Schriftsteller über Wasser zu halten. Die harten Umstände seiner Situation forderten ihren Tribut und Robert wurde abermals schwerkrank. Nun pflegte ihn Fanny gesund. Das Paar war wieder vereint und heiratete im Mai 1880.

Scheinbar fühlte sich Robert in den USA allerdings nie heimisch. Begleitet von Fanny und seinem Stiefsohn Lloyd brachte ihn ein Schiff bereits im August 1880 zurück nach Großbritannien. Die Familie pendelte nun mehrere Jahre zwischen Schottland und dem Kontinent, bis sie sich 1884 in dem Örtchen Bournemouth in der südwestenglischen Gemeinde Dorset niederließen. Sie bezogen ein Haus, das Robert „Skerryvore“ taufte. Obwohl ihm das englische Wetter nicht bekam, beflügelte ihr neues Heim seine Kreativität. In Skerryvore schrieb er unter anderem „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ sowie „Die Schatzinsel“.

Die Familie Stevenson wäre möglicherweise längerfristig in Bournemouth geblieben – wäre 1887 nicht Roberts Vater Thomas Stevenson verstorben. Nach dessen Tod beschloss Robert, endlich den Rat seines Arztes zu befolgen und dem britischen Klima, das seiner Gesundheit so schwer zusetzte, endgültig zu entfliehen. Die gesamte Familie emigrierte in die USA. Eigentlich war Colorado ihr Ziel, nach der Überfahrt entschieden sie jedoch, im Bundesstaat New York zu bleiben. Robert schrieb in dieser Zeit einige seiner besten Essays und plante während des bitterkalten Winters für den Sommer bereits eine Reise in den Südpazifik.

Anfang 1877 trafen sie sich erneut und wurden ein Paar. Ein Jahr später gingen sie eine Fernbeziehung ein, denn Fanny und ihre Kinder zogen nach San Francisco, während Robert in Europa blieb. Erst im August 1879 hielt er die Distanz nicht mehr aus und beschloss, Fanny nachzureisen – entgegen den Ratschlägen aller Freund_innen und ohne seinen Eltern Bescheid zu sagen. Ja ja, was die Liebe mit Menschen anstellt.

Robert buchte eine Überfahrt in der zweiten Klasse nach New York City. Von dort ging es mit dem Zug weiter nach Kalifornien. Die Reise war eine Quelle der Inspiration für Roberts Schriftstellerei, seiner ohnehin labilen Gesundheit schadete sie jedoch enorm. Als er in Monterey eintraf, war er halbtot und wäre ohne die fürsorgliche, selbstlose Pflege von lokalen Ranchern vermutlich gestorben.

Einige Zeit residierte er im French Hotel, das heute als „Stevenson House“ ein Museum zu seinen Ehren beherbergt. Er aß häufig in einem nahegelegenen Restaurant, das von dem Franzosen Jules Simoneau geführt wurde. Zwischen den beiden Männern entfaltete sich eine Freundschaft. Jahre später schickte Robert sogar eine Ausgabe von „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ an Simoneau, die eine persönliche Widmung enthielt. Er schrieb, es wäre ein noch seltsamerer Fall, würde Robert Louis Stevenson Jules Simoneau je vergessen.

Im Dezember 1879 ging es Robert gut genug, um weiterzuziehen. Verarmt und angeschlagen kämpfte er damit, sich finanziell als Schriftsteller über Wasser zu halten. Die harten Umstände seiner Situation forderten ihren Tribut und Robert wurde abermals schwerkrank. Nun pflegte ihn Fanny gesund. Das Paar war wieder vereint und heiratete im Mai 1880.

Scheinbar fühlte sich Robert in den USA allerdings nie heimisch. Begleitet von Fanny und seinem Stiefsohn Lloyd brachte ihn ein Schiff bereits im August 1880 zurück nach Großbritannien. Die Familie pendelte nun mehrere Jahre zwischen Schottland und dem Kontinent, bis sie sich 1884 in dem Örtchen Bournemouth in der südwestenglischen Gemeinde Dorset niederließen. Sie bezogen ein Haus, das Robert „Skerryvore“ taufte. Obwohl ihm das englische Wetter nicht bekam, beflügelte ihr neues Heim seine Kreativität. In Skerryvore schrieb er unter anderem „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ sowie „Die Schatzinsel“.

Die Familie Stevenson wäre möglicherweise längerfristig in Bournemouth geblieben – wäre 1887 nicht Roberts Vater Thomas Stevenson verstorben. Nach dessen Tod beschloss Robert, endlich den Rat seines Arztes zu befolgen und dem britischen Klima, das seiner Gesundheit so schwer zusetzte, endgültig zu entfliehen. Die gesamte Familie emigrierte in die USA. Eigentlich war Colorado ihr Ziel, nach der Überfahrt entschieden sie jedoch, im Bundesstaat New York zu bleiben. Robert schrieb in dieser Zeit einige seiner besten Essays und plante während des bitterkalten Winters für den Sommer bereits eine Reise in den Südpazifik.

Foto der Familie Stevenson vor ihrem Haus in Vailima (ca. 1892)

Robert Louis Stevenson mit seiner Familie vor ihrem Haus in Vailima (ca. 1892), Unknown author, Stevenson vailima, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

Im Juni 1888 war es dann soweit: Die Stevensons setzten die Segel. Drei Jahre lang bereiste Robert den Ost- und Zentralpazifik und besuchte Länder wie Hawaii, Neuseeland und Tahiti. Seine Gesundheit stabilisierte sich. Ein neues Zuhause fanden er und seine Familie allerdings schon 1889. Im Dezember legten sie in Apia, der Hauptstadt der Samoainseln, an und blieben. Sie kauften ein Grundstück in Vailima und erbauten dort das erste zweistöckige Anwesen der Insel. Heute ist ihr Haus ein Museum.

Robert interessierte sich brennend für die Kultur der polynesischen Insel und begann schon bald, sich in der samoanischen Politik zu engagieren. Er erkannte die Gefahr, die von den Großmächten Großbritannien, Deutschland und den USA für die Samoainseln ausging und warnte eindringlich davor. Der Eindruck britischer, deutscher und US-amerikanischer Kriegsschiffe, die immer wieder in samoanischen Häfen vor Anker lagen, beeinflusste auch sein Werk. Aus dem Romancier wurde ein hochgradig produktiver Realist, der in seinen letzten Lebensjahren ca. 700.000 Worte verfasste.

Foto der Familie Stevenson vor ihrem Haus in Vailima (ca. 1892)

Robert Louis Stevenson mit seiner Familie vor ihrem Haus in Vailima (ca. 1892), Unknown author, Stevenson vailima, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

Robert Louis Stevenson verstarb am 03. Dezember 1894. Sein Tod kam sehr unerwartet. Eben hatte er noch mit Fanny geredet und versucht, eine Weinflasche zu öffnen, als er plötzlich zusammenbrach. Im Nachhinein wird vermutet, dass eine intrazerebrale Blutung seinen Tod verursachte. Das ist eine Hirnblutung, deren Symptome einem Schlaganfall sehr ähnlich sind. Robert wurde auf dem Berg Vaea bei Apia beigesetzt. Seine Grabstelle ist dem Meer zugewandt. Die Inschrift seines Grabsteins verfasste er selbst:

Under the wide and starry sky,
Dig the grave and let me lie.
Glad did I live and gladly die,
And I laid me down with a will.
This be the verse you grave for me:
Here he lies where he longed to be;
Home is the sailor, home from sea,
And the hunter home from the hill.

Diese Zeilen beweisen: Robert Louis Stevenson war Schriftsteller. Mit Leib und Seele. Bis zuletzt.

Wirkungsgeschichte: Erst verehrt, dann ignoriert und heute weltweit anerkannt

Heute wird Robert Louis Stevenson als einer der einflussreichsten Schriftsteller der englischen Literatur verehrt. Zu Lebzeiten war er bestens vernetzt und wurde von vielen seiner Kolleg_innen bewundert, darunter Rudyard Kipling, J. M. Barrie, Jack London, Arthur Conan Doyle, Marcel Proust und Vladimir Nabokov.

Leider hielten seine Berühmtheit und der Respekt vor seinem literarischen Schaffen jedoch nicht an. Für den Großteil des 20. Jahrhunderts wurde er als zweitklassiger Autor betrachtet, auf seine Horror- und Kindergeschichten reduziert und aus dem Literaturkanon in englischen Schulen ausgeschlossen – kurz, er wurde übergangen und ignoriert. Erst kurz vor der Jahrhundertwende erfuhr er eine Neubewertung und wurde als Literaturtheoretiker, Essayist, Sozialkritiker, Humanist und scharfsinniger Zeuge der Kolonialgeschichte der pazifischen Inseln anerkannt.

Die moderne Literaturwissenschaft lobt Robert Louis Stevenson für seine schriftstellerische Fähigkeiten sowie seine beeindruckende Vorstellungskraft. Im Index Translatonium, der Übersetzungsdatenbank der UNESCO, steht er an 26. Stelle der meistübersetzten Autor_innen der Welt, noch vor Oscar Wilde, Edgar Allan Poe und Johann Wolfgang von Goethe.

Die Entstehung von „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“: Traum und True Crime

Für Stevensons 1886 erstveröffentlichte Novelle „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ verzeichnet der Index Translatonium allein 360 Übersetzungen, unter anderem in Punjabi, Japanisch und Singhalesisch (Stand: Juli 2022). Es gilt als definierender Meilenstein der Horror- sowie Schauerliteratur und als eines der bekanntesten Werke der englischen Literatur überhaupt, dessen Einfluss auf die moderne Popkultur kaum abzuschätzen ist. Die Redewendung „Jekyll und Hyde“ hat heute Einzug in den Sprachgebrauch gehalten, um Dualität in Persönlichkeiten auszudrücken.

Tatsächlich war Robert Louis Stevenson seit seiner Jugend fasziniert vom Zusammenspiel von Gut und Böse in der menschlichen Natur. Die konkrete Idee für „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ kam ihm angeblich im Schlaf. Seine Ehefrau Fanny erzählte, er habe eines Nachts fürchterlich geschrien. Sie dachte, er hätte einen Albtraum und weckte ihn auf. Er reagierte konsterniert und sagte (frei übersetzt): „Warum weckst du mich? Ich träumte eine feine Gruselgeschichte“. Sie hatte ihn aus der ersten Verwandlungsszene herausgerissen. Die Parallelen zu Mary Shelleys „Frankenstein“ sind nicht von der Hand zu weisen.

Robert Louis Stevenson verstarb am 03. Dezember 1894. Sein Tod kam sehr unerwartet. Eben hatte er noch mit Fanny geredet und versucht, eine Weinflasche zu öffnen, als er plötzlich zusammenbrach. Im Nachhinein wird vermutet, dass eine intrazerebrale Blutung seinen Tod verursachte. Das ist eine Hirnblutung, deren Symptome einem Schlaganfall sehr ähnlich sind. Robert wurde auf dem Berg Vaea bei Apia beigesetzt. Seine Grabstelle ist dem Meer zugewandt. Die Inschrift seines Grabsteins verfasste er selbst:

Under the wide and starry sky,
Dig the grave and let me lie.
Glad did I live and gladly die,
And I laid me down with a will.
This be the verse you grave for me:
Here he lies where he longed to be;
Home is the sailor, home from sea,
And the hunter home from the hill.

Diese Zeilen beweisen: Robert Louis Stevenson war Schriftsteller. Mit Leib und Seele. Bis zuletzt.

Wirkungsgeschichte: Verehrt, ignoriert, anerkannt

Heute wird Robert Louis Stevenson als einer der einflussreichsten Schriftsteller der englischen Literatur verehrt. Zu Lebzeiten war er bestens vernetzt und wurde von vielen seiner Kolleg_innen bewundert, darunter Rudyard Kipling, J. M. Barrie, Jack London, Arthur Conan Doyle, Marcel Proust und Vladimir Nabokov.

Leider hielten seine Berühmtheit und der Respekt vor seinem literarischen Schaffen jedoch nicht an. Für den Großteil des 20. Jahrhunderts wurde er als zweitklassiger Autor betrachtet, auf seine Horror- und Kindergeschichten reduziert und aus dem Literaturkanon in englischen Schulen ausgeschlossen – kurz, er wurde übergangen und ignoriert. Erst kurz vor der Jahrhundertwende erfuhr er eine Neubewertung und wurde als Literaturtheoretiker, Essayist, Sozialkritiker, Humanist und scharfsinniger Zeuge der Kolonialgeschichte der pazifischen Inseln anerkannt.

Die moderne Literaturwissenschaft lobt Robert Louis Stevenson für seine schriftstellerische Fähigkeiten sowie seine beeindruckende Vorstellungskraft. Im Index Translatonium, der Übersetzungsdatenbank der UNESCO, steht er an 26. Stelle der meistübersetzten Autor_innen der Welt, noch vor Oscar Wilde, Edgar Allan Poe und Johann Wolfgang von Goethe.

Die Entstehung von „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“: Traum und True Crime

Für Stevensons 1886 erstveröffentlichte Novelle „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ verzeichnet der Index Translatonium allein 360 Übersetzungen, unter anderem in Punjabi, Japanisch und Singhalesisch (Stand: Juli 2022). Es gilt als definierender Meilenstein der Horror- sowie Schauerliteratur und als eines der bekanntesten Werke der englischen Literatur überhaupt, dessen Einfluss auf die moderne Popkultur kaum abzuschätzen ist. Die Redewendung „Jekyll und Hyde“ hat heute Einzug in den Sprachgebrauch gehalten, um Dualität in Persönlichkeiten auszudrücken.

Tatsächlich war Robert Louis Stevenson seit seiner Jugend fasziniert vom Zusammenspiel von Gut und Böse in der menschlichen Natur. Die konkrete Idee für „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ kam ihm angeblich im Schlaf. Seine Ehefrau Fanny erzählte, er habe eines Nachts fürchterlich geschrien. Sie dachte, er hätte einen Albtraum und weckte ihn auf. Er reagierte konsterniert und sagte (frei übersetzt): „Warum weckst du mich? Ich träumte eine feine Gruselgeschichte“. Sie hatte ihn aus der ersten Verwandlungsszene herausgerissen. Die Parallelen zu Mary Shelleys „Frankenstein“ sind nicht von der Hand zu weisen.

Im Gegensatz zu Mary Shelley herrscht rückblickend jedoch Unklarheit darüber, woher er die Inspiration für die Novelle schöpfte. Sogar die englische und deutsche Wikipedia sind sich diesbezüglich uneinig. Die englische Version der Enzyklopädie nennt in diesem Zusammenhang den Fall des französischen Lehrers Eugene Chantrelle, mit dem Robert Louis Stevenson befreundet war. Dieser wurde vor Gericht gestellt, weil er 1878 seine Ehefrau ermordet haben sollte. Stevenson soll dem Prozess beigewohnt und sich schockiert über die Fakten und Indizien gezeigt haben, die dort offengelegt wurden.

Äußerlich führte Chantrelle ein ganz normales Leben, war angesehen und beliebt. Im Kern scheint er hingegen ein ziemlich verdorbener Zeitgenosse gewesen zu sein, der nicht nur seine Frau mit Opium vergiftete, sondern in Frankreich und Großbritannien weitere Opfer bei Dinnerpartys um die Ecke gebracht haben soll. Soweit ich es herauslesen konnte, wurden ihm diese Morde nie nachgewiesen, es schien aber recht eindeutige Hinweise zu geben, die in seine Richtung zeigten.

Die deutsche Wikipedia erwähnt den Fall von Eugene Chantrelle nicht. Stattdessen vermutet sie, dass Stevenson sich von William Brodie inspirieren ließ. Brodie war ein schottischer Kunsttischler, der 1788 für mehrere größere Einbrüche und Diebstähle gehängt wurde. Auch Brodie führte augenscheinlich ein gutbürgerliches Leben als respektabler Geschäftsmann. Nachts wurde er jedoch zu einem gewieften Kriminellen, der Banken und seine wohlhabenden Kund_innen ausraubte.

Dass Stevenson den Fall des diebischen Kunsttischlers kannte, ist belegt, denn 1880 schrieb er zusammen mit William Ernest Henley das Theaterstück „Deacon Brodie“, das 1892 in „Three Plays“ veröffentlich wurde. Es wird außerdem gemunkelt, dass Stevensons Vater Stücke aus der Manufaktur von William Brodie besaß. Weitere Hinweise gibt es jedoch nicht und Robert selbst klärte offenbar nie auf, ob einer der Fälle Einfluss auf „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ hatte.

Seine Inspirationsquelle ist allerdings nicht die einzige Ungewissheit, die zum Mythos der Novelle beiträgt. Es heißt, Stevenson hätte die Geschichte wie im Rausch geschrieben. Für den ersten Entwurf brauchte er laut seinem Stiefsohn Lloyd nicht einmal drei Tage – und das, obwohl er wieder einmal schwerkrank und in ihrem Anwesen Skerryvore ans Bett gefesselt war. Wie üblich las Fanny diesen ersten Entwurf und versah ihn mit Anmerkungen. Sie notierte, dass die Geschichte in Wahrheit eine Allegorie sei, Robert sie aber wie eine Erzählung geschrieben habe.

Fanny berichtete, dass ihr Ehemann diese Beobachtung sehr ernst nahm: Er rief sie ins Schlafzimmer und deutete auf ein Häufchen Asche. Er hatte das erste Manuskript verbrannt, um zu vermeiden, dass er versuchen würde, es zu retten. Stattdessen wollte er noch einmal ganz von vorn anfangen und gezielt die allegorische Geschichte verfassen, die Fanny vorgeschlagen hatte. Ob es sich tatsächlich so zutrug und Stevenson den ersten Entwurf wirklich verbrannte, ist nicht belegt. Wir haben lediglich Fannys Wort, dass es so war.

Die neue Version von „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ schrieb Robert innerhalb von drei bis sechs Tagen. Später wurde vermutet, dass er währenddessen buchstäblich berauscht war. Weder er selbst noch seine Familie haben jedoch nie auch nur angedeutet, dass er in dieser Zeit Drogen konsumierte. Wie diese Behauptung entstand und worauf sie sich stützt, ist mir ein Rätsel. Die Überarbeitung des zweiten Manuskripts kostete Stevenson noch einmal vier bis sechs Wochen, bis „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ endlich fertig war.

Robert verkaufte die Novelle sowohl an einen englischen als auch an einen US-amerikanischen Verlag. Sie wurde am 05. Januar in den USA und am 09. Januar 1886 in Großbritannien veröffentlicht. Die Auflage war zunächst klein; erst, nachdem am 25. Januar 1886 eine wohlwollende Rezension in The Times erschienen war, gingen die Verkaufszahlen durch die Decke. Innerhalb der ersten sechs Monate verkaufte sich „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ fast 40.000 Mal. Bis 1901 sollen es allein in den USA über 250.000 Exemplare gewesen sein. Damit ist es eine von Stevensons erfolgreichsten, sprich, bestverkauften Geschichten, die bereits sehr früh für die Bühne adaptiert wurde.

Heute existieren mehr als 120 Bühnen- und Filmadaptionen, aber auch Hörspiele, Videospiele und ein Musical. „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ prägte die Popkultur enorm und Anspielungen auf Robert Louis Stevensons Novelle finden sich in diversen Songs und Filmen, zum Beispiel in „Jekyll and Hyde“ der Metalband Five Finger Death Punch oder in „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ mit Sean Connery in der Hauptrolle. Comicfiguren wie der HULK, der Green Goblin oder Two-Face lassen sich ebenfalls auf die literarische Allegorie zurückführen.

Wie viele Klassiker, deren Einfluss dieses Ausmaß erreichte, wurde „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ über die Jahre beinahe zu Tode interpretiert. Verschiedene Ansätze lesen die Schauererzählung als religiöse Allegorie, Fabel, Detektiv-Krimi, Doppelgänger-Literatur, Gothic oder schottische Teufelsgeschichte. Zu den Motiven, die Literaturwissenschaftler_innen darin entdeckt haben wollen, zählen Dualität, die Diskrepanz zwischen Öffentlichkeit und Privatem im viktorianischen Zeitalter, schottischer Nationalismus sowie Sucht.

Ich bin solchen verkopften Lesarten gegenüber ja immer ein wenig skeptisch. Aus meiner Sicht wird darüber gern vergessen, dass die meisten Schriftsteller_innen primär das Ziel verfolgen, ihr Publikum zu unterhalten und deshalb nicht jedes Detail über zehn Bedeutungsebenen verfügen muss. Dennoch verfasste Robert Louis Stevenson „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ bewusst als Allegorie, es ist also durchaus legitim, anzunehmen, dass sich darin zahlreiche Metaphern verstecken. Lasst uns zusammen analysieren, was ich aus diesem Klassiker herausgelesen habe.

Die deutsche Wikipedia erwähnt den Fall von Eugene Chantrelle nicht. Stattdessen vermutet sie, dass Stevenson sich von William Brodie inspirieren ließ. Brodie war ein schottischer Kunsttischler, der 1788 für mehrere größere Einbrüche und Diebstähle gehängt wurde. Auch Brodie führte augenscheinlich ein gutbürgerliches Leben als respektabler Geschäftsmann. Nachts wurde er jedoch zu einem gewieften Kriminellen, der Banken und seine wohlhabenden Kund_innen ausraubte.

Dass Stevenson den Fall des diebischen Kunsttischlers kannte, ist belegt, denn 1880 schrieb er zusammen mit William Ernest Henley das Theaterstück „Deacon Brodie“, das 1892 in „Three Plays“ veröffentlich wurde. Es wird außerdem gemunkelt, dass Stevensons Vater Stücke aus der Manufaktur von William Brodie besaß. Weitere Hinweise gibt es jedoch nicht und Robert selbst klärte offenbar nie auf, ob einer der Fälle Einfluss auf „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ hatte.

Seine Inspirationsquelle ist allerdings nicht die einzige Ungewissheit, die zum Mythos der Novelle beiträgt. Es heißt, Stevenson hätte die Geschichte wie im Rausch geschrieben. Für den ersten Entwurf brauchte er laut seinem Stiefsohn Lloyd nicht einmal drei Tage – und das, obwohl er wieder einmal schwerkrank und in ihrem Anwesen Skerryvore ans Bett gefesselt war. Wie üblich las Fanny diesen ersten Entwurf und versah ihn mit Anmerkungen. Sie notierte, dass die Geschichte in Wahrheit eine Allegorie sei, Robert sie aber wie eine Erzählung geschrieben habe.

Fanny berichtete, dass ihr Ehemann diese Beobachtung sehr ernst nahm: Er rief sie ins Schlafzimmer und deutete auf ein Häufchen Asche. Er hatte das erste Manuskript verbrannt, um zu vermeiden, dass er versuchen würde, es zu retten. Stattdessen wollte er noch einmal ganz von vorn anfangen und gezielt die allegorische Geschichte verfassen, die Fanny vorgeschlagen hatte. Ob es sich tatsächlich so zutrug und Stevenson den ersten Entwurf wirklich verbrannte, ist nicht belegt. Wir haben lediglich Fannys Wort, dass es so war.

Die neue Version von „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ schrieb Robert innerhalb von drei bis sechs Tagen. Später wurde vermutet, dass er währenddessen buchstäblich berauscht war. Weder er selbst noch seine Familie haben jedoch nie auch nur angedeutet, dass er in dieser Zeit Drogen konsumierte. Wie diese Behauptung entstand und worauf sie sich stützt, ist mir ein Rätsel. Die Überarbeitung des zweiten Manuskripts kostete Stevenson noch einmal vier bis sechs Wochen, bis „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ endlich fertig war.

Robert verkaufte die Novelle sowohl an einen englischen als auch an einen US-amerikanischen Verlag. Sie wurde am 05. Januar in den USA und am 09. Januar 1886 in Großbritannien veröffentlicht. Die Auflage war zunächst klein; erst, nachdem am 25. Januar 1886 eine wohlwollende Rezension in The Times erschienen war, gingen die Verkaufszahlen durch die Decke. Innerhalb der ersten sechs Monate verkaufte sich „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ fast 40.000 Mal. Bis 1901 sollen es allein in den USA über 250.000 Exemplare gewesen sein. Damit ist es eine von Stevensons erfolgreichsten, sprich, bestverkauften Geschichten, die bereits sehr früh für die Bühne adaptiert wurde.

Heute existieren mehr als 120 Bühnen- und Filmadaptionen, aber auch Hörspiele, Videospiele und ein Musical. „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ prägte die Popkultur enorm und Anspielungen auf Robert Louis Stevensons Novelle finden sich in diversen Songs und Filmen, zum Beispiel in „Jekyll and Hyde“ der Metalband Five Finger Death Punch oder in „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ mit Sean Connery in der Hauptrolle. Comicfiguren wie der HULK, der Green Goblin oder Two-Face lassen sich ebenfalls auf die literarische Allegorie zurückführen.

Wie viele Klassiker, deren Einfluss dieses Ausmaß erreichte, wurde „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ über die Jahre beinahe zu Tode interpretiert. Verschiedene Ansätze lesen die Schauererzählung als religiöse Allegorie, Fabel, Detektiv-Krimi, Doppelgänger-Literatur, Gothic oder schottische Teufelsgeschichte. Zu den Motiven, die Literaturwissenschaftler_innen darin entdeckt haben wollen, zählen Dualität, die Diskrepanz zwischen Öffentlichkeit und Privatem im viktorianischen Zeitalter, schottischer Nationalismus sowie Sucht.

Ich bin solchen verkopften Lesarten gegenüber ja immer ein wenig skeptisch. Aus meiner Sicht wird darüber gern vergessen, dass die meisten Schriftsteller_innen primär das Ziel verfolgen, ihr Publikum zu unterhalten und deshalb nicht jedes Detail über zehn Bedeutungsebenen verfügen muss. Dennoch verfasste Robert Louis Stevenson „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ bewusst als Allegorie, es ist also durchaus legitim, anzunehmen, dass sich darin zahlreiche Metaphern verstecken. Lasst uns zusammen analysieren, was ich aus diesem Klassiker herausgelesen habe.

In seiner Nachbarschaft gilt Dr. Henry Jekyll als anständiger Mann. Seine Freunde und Bekannten schätzen ihn als Wohltäter, geselligen Gast und unterhaltsamen Gastgeber. Doch hinter der Fassade des angesehenen Arztes verbirgt Dr. Jekyll ein schreckliches Geheimnis. Mehr und mehr zieht er sich zurück, wirkt ausgemergelt und pflegt dubiose Gesellschaft.

Sein Anwalt Mr. Utterson ist besorgt. Irgendetwas seltsames geht mit seinem Freund und Klienten vor. Entschlossen beginnt er, Nachforschungen anzustellen und entwickelt schon bald einen furchtbaren Verdacht. Leider ist die Wahrheit jedoch viel grauenerregender als er je vermuten könnte. Denn nicht einmal der tapfere Mr. Utterson ahnt, was Dr. Jekyll hinter verschlossenen Türen erweckte …

In seiner Nachbarschaft gilt Dr. Henry Jekyll als anständiger Mann. Seine Freunde und Bekannten schätzen ihn als Wohltäter, geselligen Gast und unterhaltsamen Gastgeber. Doch hinter der Fassade des angesehenen Arztes verbirgt Dr. Jekyll ein schreckliches Geheimnis. Mehr und mehr zieht er sich zurück, wirkt ausgemergelt und pflegt dubiose Gesellschaft.

Sein Anwalt Mr. Utterson ist besorgt. Irgendetwas seltsames geht mit seinem Freund und Klienten vor. Entschlossen beginnt er, Nachforschungen anzustellen und entwickelt schon bald einen furchtbaren Verdacht. Leider ist die Wahrheit jedoch viel grauenerregender als er je vermuten könnte. Denn nicht einmal der tapfere Mr. Utterson ahnt, was Dr. Jekyll hinter verschlossenen Türen erweckte …

„Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“: Wenn die Popkultur nur nicht so einflussreich wäre

Es ist unglaublich schade, dass ich „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ nicht unabhängig von der Popkultur kennenlernen konnte und Robert Louis Stevensons Geschichte im Grunde bereits kannte. Das allerwichtigste Detail, das den Dreh- und Angelpunkt der Novelle darstellt und als schockierende Offenbarung an ihrem Ende fungieren soll, war für mich leider keine Überraschung mehr. Deshalb funktionierte die Lesart als Detektiverzählung, in der ein Geheimnis entschlüsselt werden muss, für mich nicht. Ich bedauere das sehr, denn ich hätte gern erlebt, wie „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ ohne dieses Vorwissen auf mich gewirkt hätte.

Dennoch hielt die Lektüre einige spannende Erkenntnisse für mich bereit – sowohl inhaltlich als auch kulturhistorisch. Robert Louis Stevenson hatte ein Händchen für Schauerliteratur. „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ überzeugt mit einer extrem starken, bildlichen und greifbaren Atmosphäre, die das Grauen der Erzählung bewusst unterstützt.

Stellt euch London im viktorianischen Zeitalter vor: Grob gepflasterte Straßen, durch die von Gaslaternen schwach erleuchteter Nebel wabert; kalter Wind, der Eisentore in ihren Angeln rattern lässt und Menschen, die mit hochgeschlagenen Kragen durch die Nacht eilen. Diese Szenerie wirft im wahrsten Sinne des Wortes Schatten voraus und hinterließ bei mir einen tiefen Eindruck.

Ich konnte Stevensons Beschreibungen voll auskosten, denn für ein Werk aus dem späten 19. Jahrhundert liest sich „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ erstaunlich flüssig. Trotz ihres hohen Alters handelt es sich um eine zugängliche Novelle, die keine intellektuellen Höchstleistungen voraussetzt. Natürlich ist der Sprachstil altmodisch, daran gewöhnte ich mich jedoch schnell. Bilder und Metaphern waren leicht zu deuten und gestalteten die Lektüre unprätentiös.

Ein Teil meines Lobes verdient diesbezüglich sicher auch Richard Mummendey, der Übersetzer meiner Ausgabe. Ich glaube allerdings, dass ich „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ auch im Original hätte lesen können, ohne auf ernsthafte Schwierigkeiten zu stoßen. Das macht definitiv Lust auf mehr von Robert Louis Stevenson.

Da ich „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ nur gefiltert durch die Popkultur genießen konnte, habe ich mich beim Lesen bewusst darauf konzentriert, die Unterschiede zwischen den ursprünglichen und modernen Darstellungen der Geschichte zu lokalisieren. Dabei ist mir einiges aufgefallen, das mich zum Nachdenken anregte. Besonders prägnant ist meiner Meinung nach die Diskrepanz in der äußerlichen Charakterisierung von Mr. Edward Hyde.

Habt ihr schon einmal einen Film gesehen, in dem die Figur des Mr. Hyde auftaucht, wird er euch wahrscheinlich als groß, muskelbepackt und grobschlächtig in Erinnerung geblieben sein. So war er zumindest in meinem Gedächtnis abgespeichert: Als Mutant, der vor allem Dr. Jekyll körperlich eindeutig überlegen ist, ein brutaler, tumber, impulsgesteuerter Schlägertyp ohne die feinsinnige Intelligenz des Arztes.

Vergleichen wir dieses Porträt mit Robert Louis Stevensons Schilderungen in „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“, wird sehr schnell offensichtlich, inwiefern die Figur nachträglich verändert wurde, um den modernen Ansprüchen an das Groteske und Furchteinflößende zu genügen. Der originale Mr. Hyde ist klein, schmächtig, missgestaltet und wird als „verwachsen“ bezeichnet. Eine exakte äußerliche Beschreibung erhalten Leser_innen nicht; Stevenson erlaubt uns lediglich, ihn durch die Augen von Zeugen (es sind ausschließlich Männer) zu sehen. Die Ausnahme ist ein recht genauer Eindruck seiner Hand.

Daraus lässt sich ableiten, dass die beiden Charakterisierungen auf unterschiedliche Effekte abzielen. Während uns die Bösartigkeit des Mr. Hyde in popkulturellen Inszenierungen buchstäblich brachial ins Gesicht schlagen, offensichtlich und mit bloßem Auge erkennbar sein soll, ist sie in Stevensons Novelle viel subtiler. Weder für Leser_innen noch für die Figuren ist sie richtig definierbar und macht sich überwiegend durch die Ausstrahlung des Mannes bemerkbar. Es ist bedeutend, dass keiner der Zeugen, die Hyde persönlich trafen, wirklich erklären kann, wieso sie sich von ihm abgestoßen fühlten.

Einen weiteren Unterschied entdeckte ich in der Beziehung zwischen Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Gerade in Filmen wird häufig suggeriert, dass Dr. Jekyll ein tragisches Opfer ist und sich nicht gegen das übergriffige Eindringen Mr. Hydes in sein Leben wehren kann. Er erscheint unschuldig, hilflos, heimgesucht und gequält. Dahinter verbirgt sich eine offenkundige Strategie: Das Publikum soll Mitleid haben und Sympathie für den gutherzigen Arzt empfinden.

Leider spricht diese Taktik Dr. Jekyll von jeglicher Verantwortung für seine Verbindung zu Mr. Hyde frei, was Robert Louis Stevensons Intention widerspricht, als er „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ schrieb. Es handelt sich um eine folgenschwere Fehlinterpretation, die das ursprüngliche Anliegen des Autors ad absurdum führt. Dr. Jekyll ist kein Opfer. Er ist Täter und moralisch mindestens zu hinterfragen, wenn nicht gar zu verurteilen. Ich hatte während der Lektüre kein Mitleid mit ihm und ich denke auch nicht, dass er es verdient.

Sprechen wir über Verantwortung im Zusammenhang mit der Handlung von „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“, bietet es sich an, einen gesellschaftskritischen Aspekt der Novelle zu beleuchten. Der Konflikt zwischen Öffentlichkeit und Privatem in der viktorianischen Epoche, den ich im Rahmen der Entstehungshistorie erwähnte, spielt nämlich tatsächlich eine tragende Rolle und war auch für mich unverkennbar.

Schon während des Lesens dachte ich, wie abgefahren es ist, dass Dr. Jekyll sehr lange verbergen kann, wie er mit Mr. Hyde verbandelt ist, obwohl dieser munter öffentlich Verbrechen begeht. Das Nachwort von Hanna Castein in meiner Ausgabe warf dann die These auf, dass Dr. Jekylls Umfeld – vielleicht abgesehen vom Hauptakteur Mr. Utterson – indirekt dazu beitrug, sein Geheimnis zu wahren.

Der gesellschaftliche Kodex des viktorianischen Zeitalters lässt sich mit „Nichts sagen, nichts fragen“ zusammenfassen. Niemand hielt es für angemessen, sich in Dr. Jekylls Angelegenheiten einzumischen, wodurch Mr. Hyde geschützt wurde. Die gutbürgerliche obere Mittelschicht wurde durch Untätigkeit und verdrehte Vorstellungen von Anstand zur Komplizin.

Ich finde diese Analyse sehr treffend, denn es ist tatsächlich auffällig, dass sich viele Bekannte über Dr. Jekylls seltsames Verhalten wundern oder sich sogar von ihm abwenden, aber nie auch nur den Versuch unternehmen, herauszufinden, was mit ihm nicht stimmt. Ihre Moralvorstellungen wiegen schwerer als ihr Bedürfnis, für einen Freund da zu sein. Das erschreckte mich, weil diese Tendenz bis heute überlebte.

Als True Crime – Fan ist mir nur allzu bewusst, wie oft es nach Gewalttaten heißt „Das war so ein netter Mensch, niemand hätte vermutet, dass er_sie zu so etwas fähig ist“. Obwohl wir heute wissen, dass es uns gesamtgesellschaftlich schadet, wenn wir wegschauen, schauen wir immer noch viel zu selten hin. Deshalb erscheint mir „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ selbst über 130 Jahre nach Erstveröffentlichung beunruhigend aktuell. Wir sollten den Edward Hydes der Moderne mutig mit offenen Augen begegnen.

Es war aufregend, mit der Lektüre von „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ von Robert Louis Stevenson zu den Wurzeln eines popkulturellen Phänomens zurückzukehren. Mir hat die Novelle sehr gut gefallen – besser als jede filmische Umsetzung, was aber keine Überraschung sein dürfte.

Die zum Schneiden dichte Atmosphäre nahm mich gefangen und ermöglichte mir, vor angenehm schauerlicher Kulisse meine Eindrücke des Originals mit meinen Erfahrungen mit modernen Adaptionen abzugleichen. Gruselig ist die Geschichte nach heutigen (und meinen) Maßstäben nicht, mir standen nie die Haare zu Berge und ich hatte nie eine Gänsehaut. Versetze ich mich hingegen in die Figuren hinein, kann ich nicht leugnen, dass das, was sie erleben, definitiv unheimlich und angsteinflößend ist. Ich verstehe demnach, dass „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ als Vorreiter des zeitgenössischen Horrorromans gilt, auch wenn Robert Louis Stevenson selbstverständlich nicht ahnen sein konnte, wie sehr sein Publikum eines Tages abstumpfen würde.

Falls ihr Lust auf einen kurzen, leicht lesbaren Klassiker mit mildem Gruselfaktor habt, kann ich euch „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ guten Gewissens empfehlen. Mir hat das schmale Buch viel Freude und eine durchweg positive Leseerfahrung bereitet. Wäre der Effekt größer gewesen, hätte ich sogar fünf Sterne vergeben. Leider konnte ich die Geschichte nicht unvoreingenommen genießen, was meine Lektüre ein wenig trübte.

Das ist jedoch nicht Robert Louis Stevenson oder „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ anzukreiden, sondern der popkulturellen Aufarbeitung des Stoffs. Es wird nicht der letzte Klassiker meiner Lesekarriere sein, der mehr Aufmerksamkeit erhielt, als gut für ihn war.

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