Ursula Poznanski – Die Vernichteten

Cover des Buches "Die Vernichteten" von Ursula Poznanski

Reihe: Die Verratenen #3

Autor_in: Ursula Poznanski

Format: Taschenbuch

Seitenzahl: 528 Seiten

Verlag: Loewe

Sprache: Deutsch

ISBN-10: 3785579225

Genre: Science-Fiction > Dystopie > Young Adult

Ausgelesen: 10.02.2018

Bewertung: ★★★★☆

Auge um Auge. Ein Leben fĂŒr ein Leben. Rechtfertigt das Unrecht, das die Außenbewohner durch die SphĂ€ren erfuhren, die Auslöschung der Kuppelbewohner? Ria ist fest entschlossen, die Ausbreitung einer tödlichen Epidemie zu verhindern. Sie riskierte ihr Leben, um aus der SphĂ€re Vienna 2 zu fliehen, zu den Schwarzdornen zurĂŒckzukehren und Quirin das Serum abzunehmen, das die einzige Hoffnung der SphĂ€ren ist. Doch Quirin weigerte sich. Jetzt ist der Bewahrer verschwunden und Ria und Tycho sind erneut in seinem unterirdischen Labyrinth eingesperrt, wĂ€hrend sich die Lage an der OberflĂ€che stetig zuspitzt. Die SphĂ€ren lassen nichts unversucht, um sie einzufangen – tot oder lebendig.

Auf der Suche nach ihr durchkĂ€mmen die schlimmsten Clans der Außenwelt die Gegend. Als neuer ClanfĂŒrst hat Sandor alle HĂ€nde voll zu tun, seine Leute zu schĂŒtzen und ihre Feinde gleichzeitig von Rias FĂ€hrte abzulenken. Die Situation eskaliert, als Rias und Tychos Versteck entdeckt wird und die Schwarzdornen ihnen vorwerfen, Quirin ermordet zu haben. Sandor und Andris verteidigen sie, werden jedoch nur selbst zur Zielscheibe. Der Clan verstĂ¶ĂŸt sie. Allein in der Wildnis, gejagt und verfolgt, haben die vier nur eine Chance, zu ĂŒberleben und die Welt vor einer Katastrophe zu bewahren: sie mĂŒssen sich zur westlichen Linie der Schwarzdornen durchschlagen, die ebenfalls ĂŒber das Serum verfĂŒgt. Kann Ria sie ĂŒberzeugen, ihr das Heilmittel auszuhĂ€ndigen, um die SphĂ€ren zu retten? Oder sitzt der jahrzehntelange Hass lĂ€ngst zu tief?

Ist euch der Begriff „Othering“ gelĂ€ufig? Laut Wikipedia beschreibt dieser Terminus „die Differenzierung und Distanzierung der Gruppe, der man sich zugehörig fĂŒhlt (Eigengruppe), von anderen Gruppen“. Klingt erst einmal harmlos, nicht wahr? Man muss die Definition schon ein bisschen auseinandernehmen, um zu verstehen, inwiefern dieser Prozess einer Gesellschaft schadet. Othering bedeutet, die Merkmale der eigenen GruppenidentitĂ€t als normal und positiv zu bestĂ€tigen, indem man sie den als abnorm, negativ wahrgenommenen Merkmalen einer anderen Gruppe gegenĂŒberstellt. Es ist die keinen Widerspruch duldende Unterscheidung in „Wir, die Guten“ und „Die, die Schlechten“. Folglich ist Othering die Basis von Faschismus, Homophobie, Rassismus, Antisemitismus und allen anderen GeschwĂŒren der Menschheit. Es ist ein Prozess, der Diskriminierung und soziale Ausgrenzung schĂŒrt und die GrĂ€ben unserer Gesellschaft vertieft. Ich weiß nicht, ob Ursula Poznanski explizit mit dem Konzept des Othering vertraut ist, doch das Finale ihrer „Die Verratenen“-Trilogie, „Die Vernichteten“, illustriert seine Gefahren exakt und nachvollziehbar.

Die Autorin eskaliert den Konflikt zwischen SphĂ€ren- und Außenbewohnern und verdeutlicht ausgeglichen, welche fĂŒrchterlichen FrĂŒchte Othering treiben kann. Sie bevorzugt keine Seite, schildert die von Angst und Vorurteilen geprĂ€gte Koexistenz beider Parteien ausgewogen und zeigt die gegenseitige grausame Gnadenlosigkeit Ă€ußerst realistisch. Die Situation verschĂ€rft sich bis zum Patt: „Wir oder Die“. Ich fand diesen dritten Band spannender als die VorgĂ€nger. Die Protagonistin Ria und ihre VerbĂŒndeten verfolgen ein klar definiertes Ziel – sie wollen den Ausbruch der Epidemie aufhalten. FĂŒr mich war diese konkrete Zielsetzung sehr wichtig, da ich keine Lust hatte, noch lĂ€nger im Dunkeln zu tappen. Jede Geschichte braucht einen Moment, in dem alle Karten auf dem Tisch liegen. Ursula Poznanski wĂ€hlte diesen Augenblick hervorragend, sodass ich das Finale mit angehaltenem Atem verfolgen konnte.

Die Spannungskurve steigt im Verlauf der Trilogie stetig an und findet in „Die Vernichteten“ ihren Höhepunkt. Der Weg zum dramatischen Showdown ist mit vielen kleineren sowie grĂ¶ĂŸeren Überraschungen gespickt, weshalb ich ein paar trĂ€ge Passagen, die die Handlung etwas ins Stocken brachten, verzeihen konnte. Poznanski spielte mit meiner Erwartungshaltung; mal rĂŒhrte sie mich beinahe zu TrĂ€nen, mal rieb ich mir angesichts ungeheuerlicher Offenbarungen unglĂ€ubig und schockiert die Augen. Erneut empfand ich eine stabile Verbindung zur Ich-ErzĂ€hlerin Ria, die mir als eine der angenehmsten YA-Heldinnen aller Zeiten in Erinnerung bleiben wird. Es war interessant, dass sie ihre speziellen FĂ€higkeiten im letzten Band seltener einsetzt. Ich hatte den Eindruck, dass der intensive Kontakt mit der Außenwelt in ihr das BedĂŒrfnis weckte, selbst echter zu sein. Ihr Talent zur Manipulation bedeutet nun mal, oft eine Maske zu tragen und ihre wahren GefĂŒhle zu verbergen.

Vielleicht wurde ihr aber auch nur bewusst, wie wertlos ihr beeindruckendes Können in der Wildnis ist. Ich war ein wenig enttĂ€uscht, dass sie wĂ€hrend ihrer Zeit bei den Schwarzdornen so wenig lernte. Allein in der Natur kĂ€me sie ĂŒberhaupt nicht zurecht. Sie war hilflos und auf die UnterstĂŒtzung ihrer Freunde angewiesen, aus denen Poznanski ĂŒbrigens mehr hĂ€tte herausholen können. Ohne sie wĂ€re die Mission „Rettung der Welt“ von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen, weil das SphĂ€renmĂ€dchen tot in irgendeiner Grube gelegen hĂ€tte.

„Die Vernichteten“ bestĂ€tigte, was ich nach der LektĂŒre des zweiten Bandes „Die Verschworenen“ kaum zu hoffen wagte: die Trilogie „Die Verratenen“ steigert sich mit jedem Band und ist insgesamt wesentlich besser, als ich erwartet hatte. Besonders das halb-offene Ende des Finales ist bemerkenswert: Ursula Poznanski verzichtet auf ĂŒbertrieben pathetische Szenen und riskiert lediglich einen zurĂŒckhaltenden, realistischen Ausblick in die Zukunft. Weiter ins Detail möchte ich nicht gehen, doch ich kann euch berichten, dass ich das Buch zufrieden zuschlug. Meiner Ansicht nach ist der Hype um die Trilogie zwar trotz dessen ĂŒberzogen, weil sie aus der Masse guter YA-Dystopien kaum heraussticht, aber Poznanski gelang es zweifellos, mich von ihr als Schriftstellerin zu ĂŒberzeugen. Mal schauen, was sie noch zu bieten hat.