Robert Corvus – Grauwacht

Cover des Buches "Grauwacht" von Robert Corvus

Autor_in: Robert Corvus

Format: Taschenbuch

Seitenzahl: 436 Seiten

Verlag: Piper

Sprache: Deutsch

ISBN-10: 349226994X

Genre: Science-Fiction

Ausgelesen: 13.06.2015

Bewertung: ★★☆☆☆

„Grauwacht“ von Robert Corvus war ein Spontankauf. Mein erster seit langer, langer Zeit. Ich weiß nicht mehr, wann ich davor das letzte Mal in einer Buchhandlung so begeistert von einem Cover und einem Klappentext war, dass ich das dazugehörige Buch sofort mitnehmen musste, obwohl es nicht auf meiner Wunschliste stand. Ich wusste auch nicht, dass mir dieses spezielle Gefühl der Aufregung gefehlt hat. Als Buchbloggerin bin ich sehr kontrolliert, was den Kauf neuer Bücher angeht, selbst wenn das nicht immer so aussieht. Ich kaufe in der Regel nichts abseits meiner Wunschliste. Umso mehr freute ich mich darauf, in „Grauwacht“ zu versinken und endlich mal wieder einen spontanen Kurzurlaub in eine Welt zu unternehmen, die so weit weg von der Erde ist, wie es nur geht.

Licht und Dunkelheit, Tag und Nacht, glühende Hitze und brennende Kälte. Bisola ist eine Welt der Extreme, in der eine einzige Nacht ein gesamtes Menschenleben andauert. Um das Überleben aller ihrer BewohnerInnen zu ermöglichen, wurde vor langer Zeit ein Vertrag zwischen Menschen und Sasseks geschlossen. Den wechselwarmen Sasseks gehört der Tag, den anpassungsfähigeren Menschen die Nacht. Beide Völker wandern mit dem Stand der Sonne – wenn die Dämmerung hereinbricht, ist es die Aufgabe der Grauwacht, sicherzustellen, dass der uralte Pakt geachtet wird. Doch Bisola verändert sich. Die Monde wechseln ihre Farbe und das Licht schwindet nicht mehr. Kann die Grauwacht den Frieden zwischen den Völkern bewahren und gleichzeitig herausfinden, was die Veränderungen zu bedeuten haben?

„Grauwacht“ zu lesen war, als würde ich ein Theaterstück sehen, das in einer Sprache aufgeführt wird, die ich nicht spreche. Ich erlebe die Darsteller auf der Bühne, kann anhand ihres Spiels erschließen, welche Emotionen sie empfinden und bekomme einen groben, rohen Eindruck der Handlung. Doch die Feinheiten bleiben mir verborgen, weshalb ich keine Chance habe, den wahren Sinn des Stücks zu begreifen. Meine Reise nach Bisola fühlte sich genauso an. Bisola – diese faszinierende, fremdartige, beängstigende Welt. Dieser Planet, dessen Oberfläche gleichzeitig extreme Hitze und bittere Kälte verkraftet und daher einem ständigen Wandel der Umgebung unterworfen ist. Gefährliche Eisstürme und Beben verändern die nächtliche Landschaft der Menschen, während die Sonne die Ozeane so stark erhitzt, dass sie zu kochen beginnen. Es ist eine harte Welt, in der ich keinesfalls leben möchte, weil leben dort mit überleben gleichzusetzen ist. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, eine Bewohnerin Bisolas zu sein, besonders, da ich als Mensch an die Nacht gefesselt wäre. Diese Welt ist so anders, dass es mir sehr sehr schwer viel, einen Zugang zu ihr zu finden und sie zu verstehen. Ich glaube nicht, dass es mir vollständig gelungen ist. Ich liebe die Idee hinter Robert Corvus‘ Roman, doch seine Umsetzung ist meines Erachtens nach äußerst verwirrend. Er verlangt seinen LeserInnen unheimlich viel ab, denn neben der Komplexität Bisolas müssen sie auch noch die vielschichtige Handlung verdauen, die sehr dicht mit den Besonderheiten des Planeten verknüpft ist. Ich denke, es verhält sich so: begreift man Bisola nicht, wird auch die Handlung rätselhaft und irritierend bleiben. Die Wanderungen von Menschen und Sasseks mit dem Stand der Sonne mögen von außen recht banal wirken, doch für mich wurden sie beim Lesen unglaublich kompliziert, weil ich einfach nicht verstand, wie das System dahinter funktioniert, das der Vertrag der Völker festlegt. Das Gleiche gilt leider für die Zeit- sowie Entfernungsrechnung, die Robert Corvus für seinen Roman völlig neu erfand. Alles bezieht sich auf die Umstände in Bisola, was zwar durchaus realistisch ist, mir daher allerdings nicht den geringsten Referenzpunkt bot. Ich weiß nicht, wie lang ein Mezzalauf ist. Ich weiß auch nicht, wie weit ein Click ist, obwohl beides immer wieder erwähnt wird. Corvus schreibt für meinen Geschmack nicht explizit genug; er erklärt wenig und wenn, dann eher beiläufig, was in all den Wendungen der Handlung sehr schnell unterging. Außerdem empfand ich ihn als sprunghaft und unruhig, als würde er mit jedem neuen Einfall das aktuelle Problem einfach vom Tisch kehren, ohne es richtig aufzulösen. Ähnlich verhält es sich mit den Figuren in „Grauwacht“, die nicht nur sehr zahlreich sind (ich habe fast 40 namentlich genannte Personen gezählt), sondern mir auch fremd blieben. Zwar erhielten nicht alle Charaktere eine eigene Perspektive, doch auch mit denjenigen, aus deren Sicht ich die Ereignisse erleben durfte, konnte ich keine solide Verbindung aufbauen. Überhaupt gab nur eine einzige Figur, die ich wirklich mochte und mit der ich mich zumindest ein bisschen identifizieren konnte: den Sassek Ssarronn.

Ich würde „Grauwacht“ nicht unbedingt als Fehlkauf oder Totalausfall bezeichnen, doch es hielt definitiv nicht das, was ich mir davon versprochen hatte. Ich empfand es als verworren und unübersichtlich; Robert Corvus fehlt meiner Ansicht nach das Talent, um seine komplexen, spannenden Ideen seinen LeserInnen leicht und elegant zu vermitteln. Ich habe mich überfordert gefühlt, als wäre ich nicht clever genug, um seine Konstruktion zu durchschauen. Nicht gerade eine positive Empfindung.
Ich möchte „Grauwacht“ nicht empfehlen, weil ich es dafür erstens nicht gut genug fand und zweitens auch zu wenig Erfahrung mit dem reinen Science Fiction – Genre habe, um hier irgendwelche Vergleiche anzustellen. Solltet ihr euch trotz dessen dazu entscheiden, es zu lesen, fände ich es toll, wenn ihr mir kurz eure Eindrücke schildert. Vielleicht lag es nicht nur an mir, dass ich mich in dieser Geschichte so unwohl gefühlt habe.

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