Dmitry Glukhovsky – Futu.Re
Dmitry Glukhovsky ist für mich kein Unbekannter. Der Lieblingsmensch ist ein enthusiastischer Fan der „Metro“-Reihe, bisher steckte mich seine Begeisterung jedoch nicht an. Ich schleiche schon lange um „Metro“ herum, konnte mich aber noch nicht zur Lektüre überreden. Als meine Mutter mir mitteilte, dass Glukhovsky einen dystopischen Einzelband veröffentlicht hatte, ergriff ich meine Chance. Ich beschloss, den russischen Autor durch „Futu.Re“ erst einmal kennenzulernen, bevor ich es mit „Metro“ versuchte. Ein sanfter Einstieg erschien mir erfolgsversprechender.
In der Zukunft wurde das Altern bezwungen, abgeschafft, aus der Gesellschaft getilgt. In der megalomanen Metropole Europa wird jeder Mensch mit dem Recht auf Unsterblichkeit geboren. Um die Überbevölkerung unter Kontrolle zu halten, unterliegt die Fortpflanzung strenger Richtlinien. Das Gesetz über die Wahl fordert für das Leben des Kindes das Leben eines Elternteils. Illegale Schwangerschaften und Geburten sind keine Seltenheit. Jan Nachtigalls Aufgabe besteht darin, diese Verbrecher aufzuspüren und das Gesetz zu vollstrecken. Er ist stolz auf seinen Beruf. Wenn diese Systemgefährder keine Verantwortung für ihre Zügellosigkeit übernehmen wollen, muss er es eben tun. Eines Tages wird ihm von einem einflussreichen Senator ein Spezialauftrag übertragen, der seine Karriere entscheidend vorantreiben könnte. Er soll einen bekannten Terroristen und dessen schwangere Freundin ausschalten. Doch während des Einsatzes kommt alles anders als geplant und plötzlich findet sich Jan in der Gesellschaft der jungen Frau wieder, die er umbringen sollte. Sie stürzt sein Leben ins Chaos, stellt alles infrage, wofür er steht und weckt in ihm tiefe Zweifel: ist die Menschheit für die Unsterblichkeit geschaffen?
Okay, das lief nicht wie erwartet. Ich möchte nicht behaupten, dass mein Versuch einer Annäherung an Dmitry Glukhovsky durch „Futu.Re“ vollkommen in die Hose ging, aber als erfolgreich kann ich dieses Experiment ebenfalls nicht bezeichnen. Ich fühle mich genauso schlau wie vorher. Meine Motivation, die „Metro“-Trilogie zu lesen, ist noch immer überschaubar. Tatsächlich verunsicherte mich „Futu.Re“ zusätzlich. Wäre das Buch einfach schlecht, hätte ich keinerlei Hemmungen, Dmitry Glukhovsky in das Nirvana der enttäuschenden Autor_innen zu verbannen. Dummerweise sind lediglich einige Aspekte fragwürdig – andere dafür jedoch hervorragend. Ich bin zwiegespalten.
Das Design der Dystopie beeindruckte mich nachhaltig. Glukhovskys beängstigend vorstellbare Zukunftsvision stützt sich auf zwei korrelative Säulen: der Sieg der Wissenschaft über das Altern und die daraus resultierende Überbevölkerung der Erde, die ihrerseits verschiedene Modelle zur Populationskontrolle (z.B. das Gesetz über die Wahl) erzwang und eine unermesslich erweiterte und verdichtete Besiedlung des Planeten zur Folge hatte. Die Weite der Welt ist passé. Die Zukunft ist eine Sardinenbüchse, die Menschen stapeln sich buchstäblich. Die klaustrophobische Atmosphäre übertrug sich intensiv auf mich. Ich fühlte mich körperlich unwohl, erdrückt, eine Empfindung, die durch die dargestellte Sinn- und Ziellosigkeit der menschlichen Existenz verstärkt wurde. Niemand wird mehr von der eigenen Sterblichkeit gejagt; es fehlt die Triebfeder, die heute fieberhafte Forschung und den Wunsch, die Welt für die nächste Generation zu verbessern, befeuert. Wer denkt an die nächste Generation, wenn man ewig leben kann? Die einzige Ausnahme in diesem Sumpf der völligen Abgestumpftheit sind die wenigen Menschen, die das Funktionieren des Systems gewährleisten, obwohl der Protagonist Jan Nachtigall belegt, dass auch diese berufliche Befriedigung oberflächlich ist und keinen wahren Lebenssinn stiftet. Für mich ist Jan der Übeltäter, der eine durchgehend positive Leseerfahrung mit „Futu.Re“ verhinderte. Dmitry Glukhovsky entschied sich für die Ich-Perspektive, ergo befand ich mich während der gesamten Lektüre in Jans Kopf – ein Ort, an dem ich keinesfalls sein wollte. Während der ersten Hälfte des Buches konnte ich mich überhaupt nicht mit ihm arrangieren, fand ihn aggressiv, hasserfüllt und gewaltbereit; ein von Komplexen gequälter Junge im Körper eines Mannes mit minimaler Frustrationsgrenze. Rückblenden in Form von unrealistisch strukturierten Träumen sollten seine Persönlichkeit erklären und rechtfertigen, doch ich konnte trotzdem nur wenig Verständnis für ihn aufbringen. In der zweiten Hälfte ertrug ich ihn besser, da Jan eine berechenbare und durch die gekünstelte Handlung unausweichliche Wandlung durchlebt, aber beste Freunde konnten wir nicht mehr werden. Glukhovsky nahm mir die Möglichkeit, mich von Jan zu distanzieren und mich an anderen Figuren zu orientieren, weil es neben ihm keine nennenswerten Handlungsträger_innen gibt. Eingesperrt in den Gedanken eines misogynen Schlägers hatte ich kaum Freude an der Lektüre und musste mich voll auf die Dystopie konzentrieren, um durchzuhalten.
Ohne die logische, realitätsnahe und atmosphärische Dystopie würde „Futu.Re“ auf meinem Stapel der durchgefallenen Bücher landen. Die Handlung wirkte allzu konstruiert, der Protagonist war eine Zumutung. Hoffentlich begegnet mir nie wieder eine Figur wie Jan Nachtigall. Wie konnte Dmitry Glukhovsky ein Buch schreiben, das sich völlig auf einen permanent unsympathischen Hauptcharakter verlässt? Meiner Meinung nach war ich nicht die einzige, die sich auf die pervertierte Version einer globalisierten Welt fokussierte. Ich glaube, dass sich Glukhovskys Augenmerk ebenfalls auf seine Zukunftsvision richtete, weshalb ihm offenbar nicht auffiel, dass sich der unausstehliche Jan durch eine unnatürliche Handlung hangelt. Ich zögere daher, ihm genug Vertrauen zu schenken, um die „Metro“-Trilogie zu lesen. Angeblich soll diese frei der hier benannten Mängel sein – aber was, wenn nicht?
Versuchs doch einfach :)
Ich liebe die Metro Reihe (Bd 1 + Bd 3 sind super / Bd 2 schwächelt was wegen der Besetzung).
Futu.re kenn ich noch nicht, aber es liegt hier. Ich musste bei deiner Idee ein knapp 1000 Seiten Buch als Einstieg zu nehmen etwas schmunzeln :D Dir wird in Metro sicher auch nicht jeder Charakter gefallen, aber du merkst schnell, wen du magst. Vom Feeling ist es einfach grandios!
Lieber ein 1.000-Seiten-Buch, als gleich eine ganze Trilogie, dachte ich mir. ;)
Mir muss auch nicht jede Figur gefallen, aber ich brauche zumindest ein, zwei Charaktere, an denen ich mich festhalten kann. Wenn du sagst, das ist möglich, beruhigt mich das ein bisschen. :)
Als ich den Titel deines Beitrag sah erweckte der Name in mir sofort das Gefühl von „oh nein, dieser Autor!!“ ich habe eines der Metro Bücher gelesen – nein ich habe mich durchgekämpft und fand es einfach nur furchtbar. Es waren viel zu viele Namen, viel zu viele Details, die mich kaum interessierten und die Geschichte war endlos lang… jedenfalls kam es mir so vor. Hätte ich das Buch damals nicht als Rezi Exemplar bekommen hätte ich es wahrscheinlich abgebrochen. Versteh mich jetzt nicht falsch, er schreibt auf jeden Fall grossartig, und man kann sich alles unglaublich gut vorstellen aber mir war es einfach zu viel von allem. Dieses Buch von ihm kannte ich nicht und finde die Grundidee durchaus interessant aber irgendwie habe ich für mich mit dem Autor abgeschlossen :D
Hmmm… Aber mein Problem mit „Futu.Re“ war ja, dass ich keine Alternativen zum Protagonisten hatte. Mir erscheint es daher durchaus positiv, dass in „Metro“ offenbar mehrere Figuren handlungsrelevant sind. :)
So meinte ich es nicht unbedingt es wird eigentlich schon nur über eine Person geschrieben aber er lernt viele andere Personen kenne, die dann auch eine Rolle spielen :D wag dich doch mal an die Leseprobe zum ersten Teil, dann wirst du schnell merken ob dir der Stil zusagt :D so mach ich es immer, wenn ich mir noch unschlüssig bin.
Danke für den Rat, das werde ich vermutlich tatsächlich tun. :)
Ich habe Metro 2033 gelesen und fand das Buch unglaublich langatmig. Im Mittelteil habe ich ständig gedacht, dass dem Ganzen ein Rotstift nicht geschadet hätte. Der Schluss war dann wieder großartig, aber bis dahin fand ich’s eher zäh.
Durchbeißen lohnt sich aber?
Durchbeißen lohnt sich. Aber es gibt Bücher, da muss man sich erst gar nicht durchbeißen … :-) Hast Du schon mal was von Lukianenko gelesen? Der gefällt mir persönlich besser.
Ja, ich hab die „Wächter“-Reihe gelesen. Müsste das aber noch mal tun, weil ja neue Bände dazukamen und sie einfach hervorragend war. :)
Ich mochte auch Spektrum sehr.