Cover des Buches "Die flüsternden Seelen" von Henning Mankell

Titel: „Die flüsternden Seelen“

OT: „Berättelse på tidens strand“

Autor_in: Henning Mankell

Format: Taschenbuch

Seitenzahl: 254 Seiten

Verlag: dtv

Sprache: Deutsch

ISBN-10: 3423211202

Genre: Historische Fiktion & Fantasy

Ausgelesen: 10.12.2020

Bewertung: ★★★☆☆

Im Jahre 1972 erfüllte sich der schwedische Autor Henning Mankell einen Kindheitstraum: Er reiste nach Afrika. Diese Reise war der Beginn einer tiefen Liebe zu dem Kontinent, in dem Mankell seine spirituelle Heimat fand. Bis zu seinem Tod 2015 lebte er immer wieder zeitweise in Afrika. Er verbrachte Monate oder sogar Jahre am Stück in Mosambik, setzte sich für die Unabhängigkeit ehemaliger afrikanischer Kolonien ein und baute in der Hauptstadt Maputo eine professionelle Theatergruppe auf.

Selbstverständlich fand diese Verbundenheit auch Eingang in sein literarisches Schaffen. Bereits sein zweiter Roman „Der Sandmaler“ von 1974 zählt zu seinen Afrika-Werken. Über 20 Jahre später veröffentlichte er 1998 „Die flüsternden Seelen“. In der zusammenhängenden Kurzgeschichtensammlung thematisiert er vor allem Begegnungen zwischen Afrikaner_innen und Europäer_innen sowie die Folgen des Kolonialismus. Ich entschied mich für die Lektüre, weil ich hoffte, mit diesem Buch einen Zugang zu dem in meiner Familie sehr beliebten Henning Mankell zu finden, ohne auf seine populären Krimis um Kurt Wallander angewiesen zu sein.

Ein Feuer, irgendwo in der ostafrikanischen Dunkelheit. Das Feuer gehörte einem alten Mann, der Fremden seine Augen anbot und die Hände ausstreckte, um zu geben. Der Mann hieß Felisberto. In dieser Nacht, wie auch in vielen anderen Nächten, erzählte er von seiner Familie. In seine Worte stahl sich das Flüstern des Kontinents. Er berichtete von Samima, die 312 Jahre alt wurde und deren Mal für ihre Nachfahr_innen Glück oder eine Warnung verheißen kann. Sie wacht über sie alle. In dieser Nacht erzählte Felisberto viele Geschichten. Doch jede dieser Geschichten ist letztlich Teil des unendlichen Abenteuers, das uns alle verbindet und das seinen Anfang vielleicht – nur vielleicht – in Afrika nahm: Des Lebens.

Ein Feuer, irgendwo in der ostafrikanischen Dunkelheit. Das Feuer gehörte einem alten Mann, der Fremden seine Augen anbot und die Hände ausstreckte, um zu geben. Der Mann hieß Felisberto. In dieser Nacht, wie auch in vielen anderen Nächten, erzählte er von seiner Familie. In seine Worte stahl sich das Flüstern des Kontinents. Er berichtete von Samima, die 312 Jahre alt wurde und deren Mal für ihre Nachfahr_innen Glück oder eine Warnung verheißen kann. Sie wacht über sie alle. In dieser Nacht erzählte Felisberto viele Geschichten. Doch jede dieser Geschichten ist letztlich Teil des unendlichen Abenteuers, das uns alle verbindet und das seinen Anfang vielleicht – nur vielleicht – in Afrika nahm: Des Lebens.

„Die flüsternden Seelen“: Mehr Selbstporträt als ein Porträt Afrikas

Ich konnte mit „Die flüsternden Seelen“ von Henning Mankell weniger anfangen, als ich erwartet hatte. Natürlich sind die fließenden, ineinander verwobenen Kurzgeschichten zauberhaft geschrieben, magisch aufgeladen und vermitteln ihre tiefere Bedeutung mit einer faszinierenden Simplizität. Das Bild, das Mankell von Afrika zeichnet, ist wunderschön und verführerisch. Doch die Botschaft, die er mit nahezu aggressiver Poetik zu vermitteln versucht, eröffnete mir keinen bahnrechenden Erkenntniszuwachs.

Auf mich wirkte sein Ansatz durchschaubar und etwas ausgelutscht, denn alles, was er mir sagen wollte, wusste ich schon: Der Kolonialismus in Afrika war ein Unrecht, das die Seele des Kontinents schwer verwundete und noch immer nachwirkt. Als moderner, sensibilisierter und aufgeklärter Mensch ist es schier unmöglich, Henning Mankell diesbezüglich nicht zuzustimmen. Trotzdem fehlte mir in „Die flüsternden Seelen“ die Differenzierung, das Fingerspitzengefühl für die Darstellung kolonialer und postkolonialer Zustände aus europäischer Perspektive.

Ungeachtet seiner Liebe für Afrika war Henning Mankell Schwede. Kulturell war er Europäer. Seine Wahrnehmung, sein Blick waren europäisch geprägt. Es gelang ihm nicht, sein Porträt von Afrika frei von diesen Einflüssen zu gestalten. Deshalb ertrinkt jede Seite von „Die flüsternden Seelen“ in Idealismus, Romantisierung und Eindimensionalität. Seiner Ansicht nach waren Afrikaner_innen grundsätzlich die besseren Menschen, Punkt.

„Die flüsternden Seelen“ zeigt weder ein Bewusstsein für negative postkoloniale Entwicklungen noch erkennt es die positiven Fortschritte an, die afrikanische Völker in den vergangenen Jahrzehnten hart erkämpften. In seinem Bestreben, europäische Schuld und Verantwortung zu betonen, viktimisierte Mankell den gesamten Kontinent. Die starre Zuschreibung der Opferrolle verneint die Fähigkeit zu Emanzipation und Resilienz. Damit schürte er ungewollt Vorurteile und reproduzierte Narrative, die eher schaden als nutzen.

Mich störte vor allem, dass „Die flüsternden Seelen“ immer auf ganz Afrika bezogen ist. Henning Mankell benannte in den Geschichten keine Völker, keine Nationen, keine Kulturen. Ich fand das schwierig, weil Europäer_innen ohnehin dazu neigen, zu ignorieren, wie vielschichtig und divers der Kontinent ist. Selbst wenn er andeuten wollte, dass willkürlich gesetzte Grenzen irrelevant sind, schien es, als werfe er alle Afrikaner_innen in einen einzigen großen Topf und übergehe kulturelle Identitäten einfach. Ich empfand das als respektlos – sicher genau das Gegenteil dessen, was er erreichen wollte.

Letztendlich ist „Die flüsternden Seelen“ demnach kein authentisches Buch über afrikanische Kulturen und Lebensweisen. Es ist die authentische Perspektive eines weißen Europäers auf afrikanische Kulturen und Lebensweisen. Meiner Meinung nach handelt es nicht davon, was Afrika objektiv in der Realität ist, sondern nur davon, was Henning Mankell subjektiv in Afrika sah und fand. Daher kann ich mir gut vorstellen, dass er diese Kurzgeschichtensammlung hauptsächlich für sich selbst schrieb.

Sein Anliegen bestand nicht darin, seinen Leser_innen beizubringen, wie Afrika tickt. Er wollte ihnen zeigen, was Afrika ihm persönlich bedeutete, warum er den Kontinent liebte. Obwohl ich das verstehe und spüren konnte, wie erfüllend er diese Verbindung empfand, bewegte er sich damit meines Erachtens auf einem sehr schmalen Grat, den er nicht stolperfrei meisterte. Er hat viel für Afrika und für Mosambik getan. „Die flüsternden Seelen“ gehört meiner Einschätzung nach jedoch nicht dazu.

Die Kurzgeschichten mögen hübsch und poetisch sein, Liebe und Sehnsucht ausdrücken, doch sie sagen mehr über ihn aus als über Afrika. Möchtet ihr Henning Mankell verstehen, einen Einblick in seine Seele erhalten, könnt ihr es gern mit „Die flüsternden Seelen“ versuchen. Verlangt es euch hingegen nach einem Einblick in die Seele Afrikas, seid ihr mit Büchern von afrikanischen Autor_innen wahrscheinlich besser beraten.

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