Cover des Buches "Das Geschenk der Wölfe" von Anne Rice

Titel: „Das Geschenk der Wölfe“

OT: „The Wolf Gift“

Reihe: Die Chronik des Geschenks der Wölfe #1

Autor_in: Anne Rice

Format: Taschenbuch

Seitenzahl: 569 Seiten

Verlag: Rowohl Polaris

Sprache: Deutsch

ISBN-10: 3499238608

Genre: Fantasy > Urban Fantasy

Ausgelesen: 23.01.2021

Bewertung: ★★★☆☆

Habt ihr euch je gefragt, wie es dazu kam, dass die Urban Fantasy in den 90ern und frühen 2000ern einen explosiven Hype erlebte, der zum Teil bis heute anhält? Damals wurde der Markt plötzlich von weiblichen Autorinnen geflutet, die über verführerische Vampire schrieben und uns Heldinnen wie Anita Blake, Sookie Stackhouse und Rachel Morgan vorstellten. Mit dem Erscheinen von „Twilight“ 2005 begannen die Vampire sogar zu glitzern. Wie konnte das passieren, wenn der Vampirmythos traditionell doch im Horrorgenre angesiedelt war? Wann wurden aus Monstern begehrenswerte Partner?

Ich sage es euch: 1976. Normalerweise lassen sich solche Entwicklungen nicht so präzise zurückverfolgen, in diesem Fall ist das jedoch möglich, weil 1976 der Roman erschien, der alles veränderte: „Interview mit einem Vampir“ von Anne Rice. Anne Rice war eine der ersten, die das popkulturelle Bild des Vampirs umgestaltete und eine Bestie als sinnliches, reflektiertes und ambivalentes Wesen darstellte.

Anfangs hatte sie damit keinen Erfolg. Die Literaturkritik zerriss ihr Debüt, was sie veranlasste, sich fast zehn Jahre aus der Urban Fantasy zurückzuziehen. Erst 1985 nahm sie die Fäden von „Interview mit einem Vampir“ wieder auf und veröffentlichte die Fortsetzung „Der Fürst der Finsternis“. Dieser zweite Band lieferte den Startschuss für ihre „Chronik der Vampire“, die Anne Rice in den folgenden Jahren weltberühmt machte und die Weichen für andere Autor_innen stellte. Sie verwandelte die Urban Fantasy fast im Alleingang in das Genre, das wir heute kennen, lieben und manchmal verteufeln.

Die Grand Dame des Vampirromans hatte jedoch vielfältige mythologische Interessen und beschäftigte sich nicht ausschließlich mit Blutsauger_innen. Sie schrieb auch über Hexen, Mumien und verfasste sogar zwei Bücher über das Leben von Jesus. Besonders in den späteren Jahren ihrer Karriere orientierte sie sich neu und ließ die „Chronik der Vampire“ über ein Jahrzehnt ruhen. In dieser Zeit entstand die Dilogie „Die Chronik des Geschenks der Wölfe“.

Der erste Band „Das Geschenk der Wölfe“ erschien 2012. Nachdem sie so lange Vampirgeschichten verfasst hatte, wandte sie sich darin einer anderen Legende zu: Werwölfen.

Das Haus ruft nach Reuben. Sobald der 23-jährige Journalist das vornehme Anwesen der Familie Nideck auf den Klippen nahe San Francisco erblickt, hat er das Gefühl, dass ihn etwas mit dem Haus verbindet. Es ist fast, als gehöre er dorthin. Sein Artikel über die Historie des architektonischen Juwels wird sich wie von selbst schreiben. Doch seine zweitägige Recherchereise wird jäh brutal unterbrochen: Reuben wird auf dem Grundstück von einem wilden Tier schwer verletzt. Nachdem er im Krankenhaus wieder erwacht, ist nichts mehr wie zuvor.

Er hat sich verändert. Er kann es sich tief in sich spüren. Als Reuben einige Nächte später ein dichtes Fell, Krallen und Reißzähne wachsen, ist er erleichtert. Er begreift es jetzt. Er ist ein Wolf, ein Rächer für die Schwachen, ein Krieger der Gerechtigkeit. Aber ist er der einzige? Was genau ist mit ihm geschehen? Das Mysterium seiner neuen Existenz führt ihn zurück an den Ort, an dem alles begann: In das Haus auf den Klippen.

Das Haus ruft nach Reuben. Sobald der 23-jährige Journalist das vornehme Anwesen der Familie Nideck auf den Klippen nahe San Francisco erblickt, hat er das Gefühl, dass ihn etwas mit dem Haus verbindet. Es ist fast, als gehöre er dorthin. Sein Artikel über die Historie des architektonischen Juwels wird sich wie von selbst schreiben. Doch seine zweitägige Recherchereise wird jäh brutal unterbrochen: Reuben wird auf dem Grundstück von einem wilden Tier schwer verletzt. Nachdem er im Krankenhaus wieder erwacht, ist nichts mehr wie zuvor.

Er hat sich verändert. Er kann es sich tief in sich spüren. Als Reuben einige Nächte später ein dichtes Fell, Krallen und Reißzähne wachsen, ist er erleichtert. Er begreift es jetzt. Er ist ein Wolf, ein Rächer für die Schwachen, ein Krieger der Gerechtigkeit. Aber ist er der einzige? Was genau ist mit ihm geschehen? Das Mysterium seiner neuen Existenz führt ihn zurück an den Ort, an dem alles begann: In das Haus auf den Klippen.

„Das Geschenk der Wölfe“: Modernisierung missglückt

Es ist sehr lange her, dass ich das letzte Mal einen Roman von Anne Rice gelesen habe. Ihre „Chronik der Vampire“ prägte meine Jugend; ich habe die Geschichten rund um den exklusiven Kreis kultivierter Blutsauger_innen als Teenager verschlungen. Die Bücher trafen bei mir damals einen Nerv – aber irgendwann hatte ich die bis 2003 erschienenen zehn Bände gelesen und erkundete neue Ufer. Anne Rices spätere Veröffentlichungen gingen an mir vorbei. Sie war von meinem Radar verschwunden.

„Das Geschenk der Wölfe“ landete nur in meinem Regal, weil meine Mutter das Buch entdeckte. Vor der Lektüre hatte ich gemischte Erwartungen, da sich meine Euphorie für die „Chronik der Vampire“ alt und eingestaubt anfühlte. Ich bezweifelte, dass es Anne Rice gelingen würde, meine jugendliche Begeisterung für ihre Erzählkunst wiederzubeleben und auf eine andere Geschichte zu übertragen. Dennoch wollte ich herausfinden, ob meine Verbindung zu der Autorin gut gealtert war – oder ob sie über die Jahre verkümmerte.

Ich fand in „Das Geschenk der Wölfe“ nicht die Autorin wieder, die ich jahrelang gefeiert hatte. Es ist spürbar, dass Anne Rice versuchte, sich selbst zu modernisieren. Denke ich an die „Chronik der Vampire“ zurück, assoziiere ich damit den Geruch eines süßen, schweren Parfums, das Gefühl hochwertigen Samts auf der Haut, das Bild eines tiefroten Weins, der bei Kerzenschein in einem Glas träge hin- und herschwappt. Diese komplexe, sensorische Sinnlichkeit geht „Das Geschenk der Wölfe“ völlig ab. Es weckte in mir gar keine Assoziationen; meine Sinne wurden nicht stimuliert.

Ich denke, das liegt daran, dass Anne Rice sich bemühte, die spezielle Atmosphäre der „Chronik der Vampire“ hinter sich zu lassen, um ihren Leser_innen nicht das Gefühl zu vermitteln, sie hätte Vampire lediglich durch Werwölfe ersetzt. Sie wollte etwas Neues, etwas Eigenständiges erschaffen. Leider strich sie damit meiner Meinung nach alles, was sie als Autorin auszeichnete. Übrig blieb in „Das Geschenk der Wölfe“ eine interessante Geschichte, die den Werwolfmythos angemessen verarbeitet, aber keine Seele besitzt.

Es ist ein Buch voller harter Kanten, die durch den Verzicht auf Rices frühere Leidenschaft zu extrem wirken, um ein angenehmes Lesegefühl entstehen zu lassen. Ich war überrascht, wie blutig und explizit viele Szenen in „Das Geschenk der Wölfe“ geschildert sind, ohne je eine moralische Einordnung zu erhalten – obwohl Werwölfe in dieser alternativen Realität Ritter des Guten sind. Der Protagonist Reuben begeht in seiner Wolfsform zahllose Morde, die sein Gewissen nie belasten. Er scheint weder zu seinen Taten noch zur Realität einen echten Bezug zu haben, weshalb er kalt, gleichgültig und immer wieder entrückt erscheint, als wäre er nicht wirklich präsent, sondern schwebe über den Ereignissen.

Unser Verhältnis flackerte im Verlauf von „Das Geschenk der Wölfe“ daher ständig, richtig instabil wurde es jedoch erst, als Reuben eine Partnerin findet und sich ihre Dynamik festigt. Das überholte Rollenbild, das Anne Rice reproduzierte, verursachte mir eine Gänsehaut. Anfangs wirkt seine Angebetete stark und unabhängig, verwandelt sich dann allerdings rasant in ein furchtsames, zerbrechliches Fräulein in Nöten, die sich Reuben komplett unterordnet. Sie widerspricht ihm nie, hat plötzlich keine eigenen Meinungen oder Ziele mehr und braucht in jeder Sekunde seinen Schutz. Dass Reuben sie alle paar Seiten hochhebt und herumträgt, steht symbolisch für ihre gesamte Beziehung.

Ich konnte die unkommentierte Brutalität und den latenten Sexismus in „Das Geschenk der Wölfe“ nicht ignorieren. Ich habe mich bemüht, mich ganz auf das durchaus reizvolle Rätsel um Reubens neue Identität als Werwolf zu konzentrieren, doch die Auflösung war zu vorhersehbar und kam für mich auch zu spät, um alle negativen Aspekte auszugleichen. Ich mochte Anne Rices Interpretation des Werwolfmythos und mir gefiel ihr Erklärungsansatz der Verwandlung, aber letztendlich konnte mich ihre Geschichte insgesamt nicht überzeugen. Die Fortsetzung „The Wolves of Midwinter“ (sie wurde nie übersetzt) werde ich nicht lesen.

Es ist löblich, dass Anne Rice versuchte, mit der Zeit zu gehen und in „Das Geschenk der Wölfe“ eine modernere Geschichte zu erzählen. Irgendwie sind ihr dabei allerdings die Prioritäten verrutscht. Ich kann verstehen, dass die Dilogie keine Neuauflage der „Chronik der Vampire“ mit Werwölfen sein sollte, doch meiner Meinung nach ist sie ihre Modernisierung völlig falsch angegangen. Statt den ihr eigenen Erzählstil künstlich zu reduzieren, all die atmosphärische Leidenschaft und Sinnlichkeit zu streichen, hätte sie das Weltbild anpassen müssen, das „Das Geschenk der Wölfe“ vermittelt.

Aus meiner Sicht ist dieses Buch deshalb höchstens an der Oberfläche moderner als ihre früheren Romane. Ihr Umgang mit Gewalt, Genderrollen und anderen Details, die ich in dieser Rezension nicht näher ausführen kann, spricht von überholten Standards, die den Ansprüchen an zeitgenössische Literatur widersprechen. Ich bedauere es, dass es ihr mit „Das Geschenk der Wölfe“ nicht gelang, sich wirklich zu erneuern. Ich hoffe sehr, dass sie diesen Schritt in ihren späteren Romanen vor ihrem Tod im Dezember 2021 meistern konnte.

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