Corey Ann Haydu – Life by Committee

Cover des Buches "Life by Committee" von Corey Ann Haydu

Autor_in: Corey Ann Haydu

Format: Taschenbuch

Seitenzahl: 295 Seiten

Verlag: Katherine Tegen Books

Sprache: Englisch

ISBN-10: 0062294067

Genre: Realistische Fiktion > Young Adult

Ausgelesen: 17.12.2019

Bewertung: ★★★★☆

Die Schriftstellerei ist bereits Corey Ann Haydus zweiter Karriereweg. Davor arbeitete sie als Schauspielerin, die ihre Ausbildung an einer Musikhochschule abschloss. Mit 26 merkte sie jedoch, dass sie sich auf dem falschen Pfad befand und wagte einen Neuanfang mit ihrer anderen Leidenschaft, dem Schreiben. Sie ergatterte ein Praktikum in einer auf Kinder- und Jugendromane spezialisierten Literaturagentur und verliebte sich in diese Gattung. Nach dem Praktikum nahm sie weitere Jobs in der Branche an und entschied, ihren Master of Fine Arts in einem Programm für das Schreiben von Kinderliteratur zu absolvieren. In dieser Zeit erschien auch ihr erstes Buch „OCD Love Story“. „Life by Committee“ ist ihr zweiter Roman.

Manchmal wünscht sich Tabitha, ein anderer Mensch zu sein. Sie wäre gern furchtlos, bereit, Risiken einzugehen und über die Stränge zu schlagen. Vielleicht könnte sie Joe dann endlich überzeugen, seine Freundin zu verlassen. Leider ist sie kein anderer Mensch. Ihre nächtlichen Chats, so voller Intimität und Sehnsucht, müssen ein Geheimnis bleiben, das sie nicht einmal ihrer besten Freundin mitteilen kann. Sie hat keine Freundinnen mehr. Nicht, seit sie anfing, sich für Jungs und ihr Aussehen zu interessieren, was offenbar ein Schwerverbrechen ist.

Gerade als Tabby glaubt, keinen Tag länger schweigen zu können, stolpert sie über die Website Life by Committee. Die Regeln der LBC-Community sind einfach. Verrate ein Geheimnis. Erhalte deine Aufgabe. Erfülle deine Aufgabe, um dein Geheimnis zu schützen. Tabby ist fasziniert. Sie lässt sich auf LBC ein und genießt es, mehr zu wagen als jemals zuvor. Doch schon bald wird aus harmlosen Aufgaben bitterer Ernst und Tabby muss einsehen, dass das Beste für sie nicht immer das Richtige ist.

Ach, ich bin ein Softie. Das emotionale Drama von Teenagern reißt mich immer noch mit, besonders, wenn es so einfühlsam, anschaulich und plastisch beschrieben ist wie in „Life by Committee“. Corey Ann Haydu leistete mit diesem Buch wirklich gute Arbeit. Ich war von der ersten Seite an angefixt und war beim Lesen so vertieft, dass ich einmal beinahe meine Bushaltestelle verpasst hätte.

Es störte mich nicht, dass die Geschichte aus der Ich-Perspektive der etwa 15-jährigen Tabitha ein wenig vorhersehbar geriet und Haydus Botschaft leicht durchschaubar ist. Dieses Risiko besteht immer, liest man Jugendliteratur, wenn man nicht mehr zur Zielgruppe zählt. Mir machte das nichts aus, weil ich trotz dessen so schön mit Tabby mitfühlen konnte. Für ihr Alter ist sie verblüffend selbstreflektiert, wodurch es mir überhaupt nicht schwerfiel, mich in sie hineinzudenken. Sie hat keine Skrupel, sich ihre unangenehmen oder negativen Gefühle einzugestehen, was ich erfrischend ehrlich fand.

Anlass dazu hat sie mehr als genug, denn in ihrem Leben läuft einiges schief: Sie vergraulte ihre besten Freundinnen, indem sie quasi über Nacht die Pubertät erreichte; sie ist eifersüchtig auf ihre ungeborene Schwester, bei der ihre jungen, hippen Eltern fest entschlossen sind, einfach alles besser zu machen und hat sich auf eine Liebelei mit einem vergebenen Jungen eingelassen. All diese Punkte zermürben ihr Selbstwertgefühl, weil sie dazu neigt, die Schuld an ihrer Situation bei sich selbst zu suchen und irrationale Erklärungen zu akzeptieren, statt die Wechselseitigkeit ihrer Beziehungen zu hinterfragen. Sie erkennt nicht, dass nicht sie allein das Problem ist, was Haydu meiner Meinung nach leider nicht ausreichend betonte.

Einsam und deprimiert sucht Tabby Trost in der Online-Community Life by Committee, deren Konzept ich wahnsinnig spannend fand. LBC ist das faszinierende soziale Experiment einer Basisdemokratie. Wer auf der Seite ein Geheimnis postet, übergibt sich dem Willen der Gemeinschaft, die geschlossen entscheidet, welche Aufgabe erfüllt werden muss. Die Aufgaben haben immer einen Bezug zum Geheimnis, wodurch dem Mitglied geholfen werden soll, ein erfüllteres Leben zu führen.

Obwohl die Gefahren, die sich daraus ergeben, Fremden die Kontrolle zu überlassen, „Life by Committee“ von Anfang an überschatten, kann ich den Reiz dieser Website absolut nachvollziehen. Geheimnisse zu verraten, ohne verurteilt zu werden, die eigenen Bedürfnisse zu priorisieren und untypisch aus der Rolle zu fallen, wirkt sicher befreiend.

Zuerst sind die Aufgaben auch tatsächlich konstruktiv, aber schon bald entwickeln sie sich in eine fragwürdige Richtung, weil ihre Konsequenzen nicht mehr absehbar sind. Der Druck von LBC entpuppt sich als toxisch und destruktiv, was Tabby glücklicherweise gerade noch rechtzeitig einsieht. „Life by Committee“ zu lesen, war ein bisschen, als würde ich einen Zug beobachten, der kurz davor ist, zu entgleisen und in allerletzter Sekunde zurück auf die Schiene springt: schockierend, nervenaufreibend und schlussendlich erleichternd.

Es wäre zu einfach, „Life by Committee“ als offensichtliche Warnung vor den Risiken des Gruppenzwangs zu interpretieren. Natürlich spielt diese Facette hinein, aber meiner Ansicht nach gräbt Corey Ann Haydu tiefer und legt die Wurzel dieses Phänomens frei, die sich nicht ausschließlich in der Gruppendynamik von LBC äußert.

Im Kern geht es in diesem Roman um Erwartungsdruck. Die Probleme der Protagonistin Tabitha sind das Ergebnis des Konflikts zwischen ihren inneren Bedürfnissen und äußeren Erwartungen. Anhand ihres Beispiels illustriert die Autorin, wie wichtig es ist, eine gesunde Balance zwischen diesen beiden Faktoren zu finden und dass man diese Herausforderung nur allein meistern kann. Sie lehrt Tabby, dass weder ihre Eltern noch ihre ehemaligen Freundinnen, Joe oder LBC über ihre Identität entscheiden können. Aufgrund dieser Botschaft fand ich „Life by Committee“ nicht nur spannend, sondern auch wertvoll. Ich kann es guten Gewissens weiterempfehlen, besonders an Softies wie mich, die sich (immer noch) gern von Teenagerdrama berühren lassen.

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