M. R. Carey – The Girl With All the Gifts

Cover des Buches "The Girl With All The Gifts" von M. R. Carey

Autor_in: M. R. Carey

Format: Taschenbuch

Seitenzahl: 460 Seiten

Verlag: Orbit

Sprache: Englisch

ISBN-10: 0356500152

Genre: Science-Fiction > Postapokalypse

Ausgelesen: 26.09.2014

Bewertung: ★★★★☆

„The Girl With All The Gifts“ – das heißt auf Deutsch so viel wie „die Allbeschenkte”. Klingt merkwürdig, oder? Es gibt aber eine mythologische Figur, deren Name genau das bedeutet: Pandora. Eine kleine Auffrischung in griechischer Mythologie gefällig? :)
Nachdem Prometheus das Feuer stahl und den Menschen brachte, zürnte der Göttervater Zeus nicht nur Prometheus selbst, sondern befand, dass auch die Menschheit bestraft werden müsse. Er erteilte dem Schmied der Götter, Hephaistos, den Befehl, eine Frau aus Lehm zu erschaffen: Pandora. Pandora erhielt verschiedene Gaben von den Göttern; sie war schön, liebreizend, musikalisch begabt und geschickt, aber auch neugierig und übermütig. Zusätzlich erhielt sie von Zeus eine Büchse, die sie den Menschen schenken sollte, welche aber niemals geöffnet werden durfte. Pandora wurde zu Prometheus‘ Bruder Epimetheus gebracht und mit ihm vermählt. Doch ihr Wesen, das von den Göttern geschaffen wurde, erlaubte ihr nicht, die Büchse verschlossen zu lassen – direkt nach ihrer Hochzeit siegten Neugier und Übermut und Pandora öffnete die Büchse. Die Menschheit kannte bis dahin weder Krankheit, noch Übel oder Tod. Nun wurde sie von all den Lastern und Plagen überschwemmt, die die Büchse enthielt und die Welt wurde zu einem trostlosen Ort. Pandora verschloss die Büchse wieder, aber eines blieb zurück: die Hoffnung. Erst später öffnete sie die Büchse erneut und ließ auch diese entweichen.
Melanie, die Protagonistin aus „The Girl With All The Gifts“, hat einiges mit der mythologischen Pandora gemein.

Das Leben der 10-jährigen Melanie besteht hauptsächlich aus den verschlossenen Türen und drastischen Sicherheitsvorschriften einer Militärbasis. Sie wird unterrichtet, ihr wird zu essen gegeben, sie wird gesäubert. Den Großteil der Zeit hält sie sich in ihrer Zelle auf, doch mehrmals die Woche wird sie von Sergeant Parks in das Klassenzimmer zu ihrer Lehrerin Helen Justineau gebracht. Melanie ist klug genug, um zu begreifen, dass sie und die anderen Kinder, die in den weiteren Zellen leben, irgendwie anders sind und deswegen so streng behandelt werden. Manchmal verschwinden ihre Freunde einfach. Sie werden zu Dr. Caldwell gebracht und kehren danach nie mehr zurück. Melanie fürchtet sich zu sehr, um zu fragen, was mit ihnen geschieht – bis sie es eines Tages selbst herausfinden soll. Sie ist starr vor Angst, als sie auf dem Untersuchungstisch liegt und Dr. Caldwell ein glänzendes, scharfes Messer zur Hand nimmt. Doch sie hat Glück im Unglück: die Militärbasis wird überfallen und Melanie kann gemeinsam mit Ms. Justineau, Sergeant Parks, Dr. Caldwell und dem jungen Private Gallagher fliehen, hinaus in die Wildnis. Dort, wo die Hungrigen leben. Die kleine Gruppe macht sich auf eine scheinbar aussichtslose Überlebensmission, während der Melanie begreift, was an ihr so anders ist und woher die Hungrigen ihren Namen haben …

Ich weiß nicht, was ich von „The Girl With All The Gifts“ erwartet hatte, aber DAS war es ganz bestimmt nicht. Dieses Buch ist ein dystopischer Zombie-Thriller. Wer hätte das gedacht? Allerdings ist die Postapokalypse keinesfalls einfach nur hingeklatscht, um einer möglichst actiongeladenen, aber flachen Handlung einen Rahmen zu geben. Nein, da hat sich jemand richtig viel Mühe gegeben und mächtig viele Gedanken gemacht. Die biologische Komponente, der Hintergrund, wie die Zombies/Hungrigen sich entwickeln konnten, hat mich vorbehaltlos überzeugt. M.R. Carey ist bis ins letzte Detail gegangen und wartet mit plausiblen wissenschaftlichen Erklärungen auf; ich hatte das Gefühl, er hat ungemein sorgfältig recherchiert, um eine fundierte Basis für seinen Roman zu schaffen. Ich halte es nach der Lektüre nicht mal für abwegig, dass seine Zukunftsvision wirklich so passieren könnte.
Trotz dessen war ich den überwiegenden Teil des Buches nicht sonderlich begeistert. Ich fand zu keinem der Charaktere einen Zugang und fragte mich immer wieder, wo der Autor eigentlich mit mir hin will. Die Gruppe um Melanie schleppt sich durch eine zerstörte Welt, um einer fadenscheinigen Hoffnung nachzujagen, von wirklicher Spannung konnte keine Rede sein. Es kam mir lange so vor, als wäre „The Girl With All The Gifts“ eine Charakterstudie von Menschen in einer Extremsituation. Ich beobachtete die unterschiedlichen Figuren aus der Ferne und schaute mir an, wie verschieden ihr Blick auf die Welt ist. Dr. Caldwell, die brillante, emotionslose Schlächterin; Ms. Justineau, die oft so aufbrausend und emotional reagiert, dass sie dabei schnell die Grenze zur Irrationalität überschreitet; Sergeant Parks, der Soldat, der immer das tut, was getan werden muss und Private Gallagher, der vor allem eines ist: jung. Auf gewisse Weise bilden sie ein Quadrat aus Extrempunkten menschlichen Verhaltens und in ihrer Mitte steht Melanie, mit all ihrer Andersartigkeit und ihrem unglaublichen Verstand.
So interessant das alles war, es wäre mir nur sehr knappe 3 Sterne wert gewesen. Doch wie ihr seht, hat es letztendlich für 4 gereicht und das ist den letzten Seiten des Buches geschuldet. Das Ende hat mich völlig vom Hocker gerissen. Plötzlich machte alles einen Sinn und ich erkannte, was sich M.R. Carey (vermutlich) dabei gedacht hat, was er mir sagen wollte.
Melanie ist Pandora, das extrem begabte Mädchen, das die Hoffnung in einer Büchse mit sich herumträgt. Nietzsche war der Ansicht, dass die Hoffnung das Schlimmste aller Übel in Pandoras Büchse war und sicherlich könnte man diesen Ansatz auch in „The Girl With All The Gifts“ finden. Ich glaube aber, dass M.R. Carey vielmehr darauf hinaus wollte, dass es bei Hoffnung stark auf die Perspektive ankommt. Menschen denken meist in so klitzekleinen Dimensionen, dass sie übersehen, dass es Hoffnung ohne sie geben kann. Die Evolution schläft nie; die Welt dreht sich auch ohne die Menschheit weiter. Als Melanie die Hoffnung aus der Büchse entweichen lässt, entspricht diese keinesfalls dem, was ihre vier Mitreisenden erwartet hatten. Und doch ist es das Beste, was sie tun konnte. Sie ist Anfang und Ende, alles in einem.

Normalerweise fasse ich mich in Rezensionen kürzer, doch im Fall von „The Girl With All The Gifts“ hielt ich es für wichtig, etwas auszuholen und euch noch einmal die Sage der Pandora ins Gedächtnis zu rufen, weil diese viel mit der Geschichte des Buches zu tun hat. Es ist einfach wunderbar, wie M.R. Carey detaillierte Wissenschaft und tiefgründige Philosophie ineinander greifen ließ. Der Roman kommt wie das übliche Zombie-Spektakel daher; das Ende jedoch gibt „The Girl With All The Gifts“ einen so umfassenden Dreh, dass man hier eindeutig nicht mehr von einem genretypischen Vertreter sprechen kann. Es ist etwas Besonderes.
Ich denke, „The Girl With All The Gifts“ ist eine Lektüre für geduldige LeserInnen, die auf eine tiefsinnige Wendung auch mal länger warten können. Der Aufwand wird sich lohnen.

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