Oliver Dierssen – Fledermausland

Cover des Buches "Fledermausland" von Oliver Dierssen

Autor_in: Oliver Dierssen

Format: Taschenbuch

Seitenzahl: 448 Seiten

Verlag: Heyne

Sprache: Deutsch

ISBN-10: 3453266633

Genre: Fantasy > Urban Fantasy

Ausgelesen: 23.03.2018

Bewertung: ★★☆☆☆

Oliver Dierssen, Jahrgang 1980, ist hauptberuflich Kinder- und Jugendpsychiater. Nach drei eher unglücklichen Schreibversuchen setzte er sich 2008 an seinen Debütroman „Fledermausland“. Die Idee war, „ein Buch zu schreiben, das man in der Bahnhofsbuchhandlung Hannover kauft, dann im ICE nach München flott durchliest und in München gut gelaunt aussteigt“. Statt das Manuskript einfach an Verlage zu schicken, nahm Dierssen an dem Heyne-Schreibwettbewerb „Schreiben Sie einen magischen Bestseller“ teil und schaffte es unter die besten Fünf. 2009 veröffentlichte Heyne den Roman; 2010 erhielt er den Deutschen Phantastik Preis als „Bester deutschsprachiger Debütroman“. Ich entschied mich, „Fledermausland“ im März 2018 zu lesen, weil ich nach „Vaterland“ von Robert Harris dringend etwas zum Lachen brauchte.

Fragte man Sebastian Schätz, wann genau sein Leben völlig außer Kontrolle geriet, würde er ohne zu zögern antworten: in der Nacht der Fledermaus. Seit ihn das fürchterliche Biest heimtückisch angriff, ist nichts mehr, wie es sein sollte. Erst muss er sich mit unwirschen Sanitätern herumplagen, die sein Fledermausproblem nicht ernstnehmen. Tags darauf wird er auf der Kinotoilette von einem depressiven Typen überfallen, der sich als Theodor vorstellt und behauptet, ein Vampir zu sein. Und wann ist eigentlich dieser Domowoj in seinem Spülschrank eingezogen? Sebastians Leben mutiert rasant zu einem chaotischen Mahlstrom, dabei will er doch eigentlich nur seine umwerfende Angebetete Kim davon überzeugen, endlich seine Freundin zu werden. Ist denn die ganze Welt verrückt geworden? Als dann auch noch Zwerge von der GEZ auf seiner Couch sitzen und ihm verbieten wollen, Kim jemals wiederzusehen, reicht es Sebastian. Es wird Zeit, den Dingen auf den Grund zu gehen, ob es diese Dinge nun geben sollte oder nicht!

Humor ist eine vertrackte Angelegenheit. Deshalb lese ich selten lustige Literatur. Sicher habt ihr euch schon einmal über euren eigenen Witz scheckiggelacht, während euch alle Anwesenden verständnislos anstarrten. Oder ihr wart diejenigen, die zweifelnd den Kopf schüttelten, während sich jemand anderes gar nicht mehr einkriegte. Genau das war mein Problem mit „Fledermausland“. Oliver Dierssen und ich befinden uns überhaupt nicht auf derselben humoristischen Wellenlänge. Ich fand seinen Debütroman nicht komisch, sondern überdreht und schrill. Ich lache über Absurditäten, wenn sie trocken und selbstverständlich geschildert werden, sodass sie natürlich für sich selbst wirken können. Sir Terry Pratchett beispielsweise war ein Meister dieser ulkigen Subtilität. Dierssen hingegen fühlte sich genötigt, jede groteske Situation zu kommentieren und selbst die Kindeskinder seiner Witze ins Rampenlicht zu zerren. Er lässt seine Scherze nicht für sich arbeiten, nutzt sie nicht, um die Handlung voranzutreiben und zu unterstreichen. Nein, seine Scherze sind die Handlung. Er erzählt meiner Meinung nach keine schlüssige Geschichte, die pointiert mit Humor garniert ist, sondern kettet mit Gewalt Kalauer an Kalauer, als müsse er beweisen, was für ein gewiefter Witzbold er ist. Striche man all die albernen Possen weg, bliebe nicht viel übrig. Ich hatte das Gefühl, „Fledermausland“ wäre auch mit 200 Seiten weniger gut ausgekommen, hätte Dierssen nicht versucht, seine Leser_innen auf Teufel komm raus zum Lachen zu bringen. Erklärungen liefert er viel zu spät; ich verstand während der ersten Hälfte des Romans gar nicht, was eigentlich vor sich geht und als er sich endlich dazu herablässt, Kontext anzubieten, sind seine Erläuterungen fragmentarisch, als operiere er nach strengem Need-to-know-Prinzip. Weniger Unfug, mehr Inhalt, das hätte ich mir gewünscht. Eventuell wäre dem Autor dann ebenfalls aufgefallen, dass die grundlegende Motivation seines Protagonisten und Ich-Erzählers Sebastian irgendwie gruselig ist. Sebastian ist ein Loser, wie er im Buche steht. Er ist ständig pleite, kriegt nichts auf die Reihe und arbeitet lieber in einem Asia-Shop, als sich für eine verbindliche berufliche Laufbahn zu entscheiden. Ich konnte nichts mit ihm anfangen und fragte mich, wie sich der Typ allein erfolgreich die Schuhe zubindet. Da ihm sonst nichts gelingt, richtet er all seine Energie darauf, die atemberaubend schöne Kim zu erobern. Seine Fixierung erschien mir ungesund und obsessiv. Er stalkt sie und mit seinen latent sexistischen Beschreibungen ihrer oberflächlichen Vorzüge fühlte ich mich unwohl. Er wirkte wie eine katastrophal chaotische Version von Edward aus „Twilight“. Wie zu erwarten ist er weder der Held noch die bestimmende Figur seiner Geschichte. Er wird von den Entwicklungen erfasst, ohne Einfluss darauf nehmen zu können und rasselt letztendlich mit Karacho in eine Pointe, die wenig originell erschien und mir demzufolge lediglich ein müdes Schmunzeln abrang. Ein Witz auf Kosten der Bürokratie – geht es vielleicht noch ein bisschen ausgelutschter?

Humoristische Literatur rezensiert sich immer besonders schwer, weil mir allzu bewusst ist, wie unterschiedlich Humor wahrgenommen wird. Mich brachte „Fledermausland“ nicht zum Lachen, doch ich werfe Oliver Dierssen nicht vor, dass sein Buch meinen Humor nicht trifft. Das kann passieren. Ich werfe ihm allerdings durchaus vor, dass er sich meiner Ansicht nach zu sehr auf die närrische Ebene seiner Geschichte verließ. Es gibt nur sehr wenige Bücher, die als schriftgewordener Ulk funktionieren. „Fledermausland“ ist für mich keines dieser Bücher. Das plumpe, aufdringliche Witz-Feuerwerk, das Dierssen auf mich abschoss, sollte darüber hinwegtäuschen, dass die Geschichte inhaltlich und strukturell deutliche Defizite aufweist. Ich fand das billig. Aber wer weiß, vielleicht müssen andere Leser_innen so laut lachen, dass kritische Gedanken schlicht übertönt werden. Dann spielen die Mängel vielleicht keine Rolle mehr – und das ist völlig in Ordnung. Schade, dass ich nicht dazugehöre.

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