Anthony Ryan – Tower Lord

Cover des Buches "Tower Lord" von Anthony Ryan

Reihe: Raven’s Shadow #2

Autor_in: Anthony Ryan

Format: Taschenbuch

Seitenzahl: 733 Seiten

Verlag: Orbit

Sprache: Englisch

ISBN-10: 0356502430

Genre: Fantasy > High Fantasy

Ausgelesen: 09.12.2019

Bewertung: ★★★★☆

Anthony Ryan begann seine Autorenkarriere als Selfpublisher. Nach dem Erfolg seines Debüts „Blood Song“ nahm er ein Angebot des Verlagsriesen Penguin an, denn er wünschte sich, seine Trilogie „Raven’s Shadow“ so vielen Leser_innen wie möglich zugänglich zu machen, was durch die Kontakte des Verlages zum internationalen Markt und traditionellen Buchhandel leichter ist. Den zweiten Band „Tower Lord“ schrieb er bereits unter der Schirmherrschaft von Penguin.

Es war eine neue Erfahrung für ihn, mit einer Deadline zu arbeiten. Er konnte es sich nicht länger leisten, inkonsequent zu sein und produzierte trotz seines Vollzeitjobs 2.000 Worte täglich, sodass „Tower Lord“ nur ein Jahr nach „Blood Song“ erschien.

Ihr Leben lang wurde Reva darauf vorbereitet, zu Ehren des Weltvaters Großes zu vollbringen. Endlich, nach Jahren der erbarmungslosen Ausbildung, wurde ihr ihre Mission offenbart. Sie soll den Mörder der Wahrklinge stellen und sein heiliges Schwert zurück in die Hände der Gläubigen bringen. Der Priester warnte sie, dass die Dunkelklinge wahrscheinlich der schrecklichste Gegner ist, der ihr je begegnen wird. Sie war jedoch nicht darauf gefasst, dass er nicht das Monster ist, das ihr beschrieben wurde.

Er erzählt ihr eine völlig andere Geschichte vom Tod der Wahrklinge und hinterfragt alles, woran sie je glaubte. Könnte der Priester sie getäuscht haben? Ist jedes Wort über ihren Auftrag eine Lüge, um zu verschleiern, dass er nicht dem Weltvater, sondern einer finsteren Macht dient? Reva schwört, die Wahrheit aufzudecken und gerät zwischen die Fronten im Eroberungsfeldzug des Volarianischen Kaiserreichs, das danach trachtet, die Vereinigten Königslande zu unterwerfen. Plötzlich lastet das Schicksal ihrer Heimat auf ihren Schultern und der einzige, dem sie trauen kann, ist der Mann, den sie töten sollte: Vaelin Al Sorna.

Ich danke Anthony Ryan von Herzen für die Öffnung der Perspektive in „Tower Lord“. Ich bezweifle, dass ein weiterer Band aus dem exklusiven Blickwinkel von Vaelin Al Sorna für mich gut ausgegangen wäre. Nach der Lektüre von „Blood Song“ begriff ich, dass ich Schwierigkeiten mit dem Protagonisten der „Raven’s Shadow“-Trilogie habe, die meine Leseerfahrung negativ beeinflussten. Deshalb war ich wahnsinnig erleichtert, dass „Tower Lord“ drei weitere Perspektivcharaktere anbietet, die mir endlich eine Identifikation ermöglichten und die Handlung facettenreicher gestalteten, weil sie unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte repräsentieren. Es fiel mir erheblich leichter, emotionale Verbindlichkeit herzustellen und mich über die intellektuelle Ebene hinaus für das zu interessieren, was ich las.

Ich nahm dabei eine Gewichtung der Erzählstränge wahr: Obwohl Vaelins ehemaliger Ordensbruder Frentis, Prinzessin Lyrna und natürlich Vaelin selbst ebenfalls wichtig sind, folgt der rote Faden des zweiten Bandes der jungen Kriegerin Reva. Ihr Weg führt die Leser_innen zu den bedeutenden Scheidepunkten der Geschichte. Mir kam das sehr entgegen, denn zu ihr baute ich die stabilste Verbindung auf. Reva wuchs unter der brutalen Fürsorge eines Priesters einer fanatischen Konfession der Religion des Weltvaters auf. Seit frühester Kindheit wurde sie indoktriniert und ist überzeugt, das Richtige zu tun, als sie loszieht, um Vaelin zu töten.

Angesichts dieses Hintergrundes fand ich es etwas unglaubwürdig, wie mühelos Vaelin die Grundfesten ihres Glaubens erschüttert und welche Entwicklung sich daraus ergibt. Reva durchläuft eine Blitzwandlung von einer fanatischen Rotzgöre zu einem patriotischen, strategischen Genie, deren Vergangenheit wie ein Accessoire erscheint, durch das Anthony Ryan sie lediglich in die benötigte Position bringt. Unabhängig davon, dass ich sie sehr mochte, fehlte mir Selbstreflexion, um Ryan ihre 180-Grad-Wende vorbehaltlos abzunehmen.

Mit Frentis hatte ich ähnliche Probleme. Auch er war mir sympathisch, doch sein Erzählstrang ist meiner Ansicht nach nicht konsequent durchdacht. In „Tower Lord“ muss Frentis einer fiesen, volarianischen Hexe dienen, die ihn mit ihrer Magie kontrolliert. Sie benutzt ihn, missbraucht ihn und quält ihn in jeder vorstellbaren Art und Weise – physisch, mental, emotional und ebenso sexuell. Kurz gesagt, sie vergewaltigt ihn. Frentis reagiert so gut wie überhaupt nicht auf den Missbrauch.

Oh, er hasst seine Peinigerin, aber all die zu erwartenden Reaktionen wie Ekel, Angst und Selbsthass bleiben aus. Er wirkt nicht traumatisiert, wodurch ich mich schwertat, sein Martyrium in vollem Umfang anzuerkennen. Es ist nicht realistisch, dass die Grausamkeit seiner Sklaverei minimale Narben bei ihm hinterlässt.

Nichtsdestotrotz fand ich die Einblicke in das Worldbuilding, die Frentis vermittelt und die durch Vaelins und Lyrnas Erzählstränge unterstützt werden, sehr wertvoll. Ryans Universum ist spannend und vielfältig und die Pläne, die das Volarianische  Kaiserreich durchzusetzen versucht, ließen mir alle Haare zu Berge stehen. Demzufolge überzeugte mich die Handlung mehr als die Charaktere, die sie transportieren.

Meine Lektüre von „Tower Lord“ war definitiv erfolgreicher als meine Erfahrung mit „Blood Song“. Die Distanzierung von Vaelin wirkte für mich Wunder, sodass ich mit dieser Fortsetzung deutlich mehr Spaß hatte, obwohl ich nicht abstreiten kann, dass sie sich trotz dessen etwas schwerfällig las. Die neuen Perspektivcharaktere offenbaren, wie komplex das Universum der „Raven’s Shadow“-Trilogie ist und geben Aufschluss darüber, wohin Anthony Ryan die Handlung zu führen gedenkt.

Ich empfand es nicht als allzu tragisch, dass mich die Konstruktion seiner Figuren nicht voll und ganz überzeugte, weil es mir wesentlich wichtiger war, dass ich sie in meinem Herzen spüren konnte. Dennoch glaube ich nicht, dass Ryan je einen Platz unter meinen Lieblingsautor_innen ergattern wird. Dafür ist mir seine High Fantasy dann doch etwas zu durchschnittlich.

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