Montagsfrage: Political Correctness in Buechern?

Hallo ihr Lieben 😊

Ostern ist vorbei, mein Urlaub leider auch und der normale Alltag hat mich wieder. Gibt es etwas zu berichten aus meinen freien Tagen? Eigentlich nicht, ich habe wie angekündigt nicht viel erlebt. Ich war mit Saverio in der Natur unterwegs, habe gelesen, Rezensionen geschrieben und Serien geschaut. Das war es im Grunde schon und ich kann euch sagen, das war genau die Erholung, die ich dringend brauchte.

Aktuell beschäftigt mich auch eher die nahe Zukunft als die vergangenen Wochen. Am kommenden Sonntag steht der Welttag des Buches an. Ich habe mir letztes Jahr vorgenommen, 2023 wieder ein kleines Special zu veranstalten, weil ich den höchsten Feiertag für Bücherwürmer nicht dauerhaft übergehen möchte. Diese Woche werde ich also daran arbeiten, für Sonntag die nächste Ausgabe meines Bingos vorzubereiten, das 2021 sehr gut bei euch angekommen ist. Freut euch, das literarische Bullshit Bingo geht in die nächste Runde!

Nachdem die Aktion letzte Woche aufgrund der Feiertage ausgefallen ist, geht auch die Montagsfrage von Sophia von Wordworld in die nächste Runde. Und die hat es heute wirklich in sich.

Wie steht Ihr zur Political Correctness in klassischen (Kinder-)Büchern?

Ei, das ist eine heikle Frage, die übrigens von Jay von Bücher wie Sterne stammt. Zum Glück habe ich mir über dieses Thema bereits intensiv Gedanken gemacht, weil es ja in den letzten Jahren in den Medien oft kontrovers diskutiert wurde. Sonst hätte ich wahrscheinlich Schwierigkeiten, aus dem Stegreif meine Meinung zu formulieren.

In der Debatte bezüglich Political Correctness in der klassischen Literatur, vor allem in Kinderbüchern, geht es hauptsächlich um die Frage, ob Klassiker nachträglich umgeschrieben werden sollten, um nach heutigen Standards inakzeptable Formulierungen und Bezeichnungen zu entfernen. Der Gedanke ist, dass rassistische, sexistische und generell diskriminierende Begriffe im Sprachgebrauch entnormalisiert werden sollten. Kritiker_innen halten dagegen, dass dadurch Authentizität verloren ginge und der historische Kontext überschrieben würde. Ein beliebtes Beispiel ist „Pippi Langstrumpf“ von Astrid Lindgren, in dessen Übersetzung das N-Wort auftaucht.

Soweit zum Kontext. Nun noch ein kleiner Disclaimer, bevor ich mit meiner Antwort starte. Die Forderung nach Political Correctness in klassischen Büchern löst bei vielen Menschen hochgradig emotionale Reaktionen aus. Ich möchte heute niemanden vor den Kopf stoßen, angreifen oder anderweitig beleidigen und/oder verletzen. Bei dieser Antwort handelt es sich ausschließlich um meine persönliche Meinung, die ich so plausibel wie möglich zu verargumentieren versuche. Lasst uns sachlich bleiben, okay? Gut. Dann mal los.

Grundsätzlich halte ich nichts davon, in Originaltexte einzugreifen. Literatur ist Kunst; Schriftsteller_innen sind Künstler_innen. Meiner Ansicht nach dürfen Kunstwerke nicht nachträglich verändert werden, weil es sich dabei um das geistige Eigentum einer Person handelt und unsere Gesellschaft kein Recht hat, dieses geistige Eigentum zu modifizieren – nicht einmal im Sinne der Political Correctness und wenn das Urheberrecht erloschen ist. Ich glaube, dass wir geistiges Eigentum unter allen Umständen respektieren müssen.

Darüber hinaus bin ich überzeugt, dass es unserer Gesellschaft nicht hilft, die Spuren der Vergangenheit einfach zu beseitigen, als hätten sie nie existiert. Wenn wir so tun, als wäre es früher nicht akzeptabel gewesen, Bezeichungen zu verwenden, die wir heute als rassistisch oder anderweitig diskriminierend beurteilen, kann keine Aufarbeitung stattfinden. Political Correctness darf niemals dazu führen, dass wir keine Vergangenheitsbewältigung betreiben und reflektieren, was verschiedenen Bevölkerungsgruppen in den vergangenen Jahrhunderten angetan wurde.

Ohne diesen extrem wichtigen Prozess können wir uns nicht weiterentwickeln, weil wir dann nicht verstehen, auf welche Ursprünge unser heutiges Verhalten zurückgeht. Wir können die Kolonialgeschichte Europas nicht einfach leugnen, um nur ein Beispiel zu nennen. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, um erkennen zu können, welche historisch gewachsenen Strukturen bis heute bestehen. Klassische Literatur zu überschreiben, um der Political Correctness gerecht zu werden, erscheint mir wie ein Äquivalent für den Satz „Ich sehe keine Hautfarben“, der die reale Existenz von strukturellem Rassismus gefährlich ignoriert.

Deshalb denke ich nicht, dass es der richtige Weg ist, Political Correctness mit der Modifizierung von Originaltexten auszudrücken. Stattdessen plädiere ich dafür, Bücher und andere Werke, die in den vergangenen Jahrhunderten entstanden sind, einzuordnen, sie zu besprechen und problematische Passagen, Sätze und Begriffe offen zu benennen. Kunst braucht Kontext. Kunstschaffende werden ebenso vom Zeitgeist, von gesellschaftlich vorherrschenden Meinungen und Ansichten geprägt wie alle anderen Menschen auch.

Ich habe das schon mal in meinem Blogprojekt „Robert E. Howard & Conan der Barbar“ erläutert. Robert E. Howard lebte von 1906 bis 1936. Damals war es völlig normal, Menschen in Rassen zu kategorisieren und diese Rassen mit Formulierungen zu beschreiben, die uns heute die Haare zu Berge stehen lassen. Solche rassistischen Beschreibungen finden sich auch in Howards Conan-Geschichten. Deshalb war er aber noch lange kein glühender Rassist. Er empfand keinen Hass, keine Ablehnung gegenüber People of Color. Er reproduzierte lediglich den damaligen gesellschaftlichen Standard. Von Political Correctness hatte zu dieser Zeit noch nie jemand gehört. Es existierte keine Sensibilität für Alltagsrassismus.

Wir müssen bei der Bewertung solcher Werke daher immer einbeziehen, unter welchen Umständen sie entstanden sind und sollten früheren Generationen gegenüber eine gewisse Nachsicht walten lassen. Wir sollten sie nicht dafür verurteilen, dass sie noch nicht von den enormen gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte profitieren konnten. Sie wussten es eben wirklich nicht besser.

Natürlich gilt das nicht für Werke, die bewusst geschaffen wurden, um Hass, Misstrauen und Diskriminierung zu verbreiten. Um diese geht es in der Diskussion aber auch nicht und ich vertraue darauf, dass der mittlerweile vorherrschende gesellschaftliche Minimalkonsens hinsichtlich Political Correctness von selbst dafür sorgt, dass diese Propagandaprodukte sang- und klanglos in der Versenkung verschwinden.

Eine Frage, die in diesem Zusammenhang häufig auftaucht, ist die, ob man Kindern zumuten kann, solche Gespräche mit ihnen zu führen und sie früh mit der globalen Historie von Ungleichheit, Gewalt und Unrecht zu konfrontieren. Ich glaube, dass es ab einem gewissen Alter absolut unverzichtbar für die Erinnerungskultur ist, dass Eltern sich dieser Herausforderung stellen.

Bestimmt gab es in eurer Kindheit Bücher, bei denen eure Eltern urteilten, dass ihr „noch zu jung“ für sie wart. Bei mir war es jedenfalls so (obwohl mir meine Eltern nie explizit verboten haben, ein Buch zu lesen). Ich denke, solche Erziehungsentscheidungen können auch für Bücher getroffen werden, die eine Einordnung im Sinne der Political Correctness, wie ich sie mir vorstelle, verlangen.

Ja, das kann bedeuten, dass Kinder bestimmte Bücher erst später und vielleicht nur mit der engen Betreuung ihrer Eltern lesen können. Das halte ich aber nicht für einen Einschnitt in ihre Kindheit, im Gegenteil. Es gilt ja als erwiesen, dass es die Entwicklung von Kindern begünstigt, wenn Medien (also auch Bücher) gemeinsam mit den Eltern entdeckt und reflektiert werden.

Wenn wir jüngeren Generationen historische Zusammenhänge erklären und ihnen aufzeigen, inwiefern und warum sich unsere Vorfahr_innen inakezptabel verhielten, tragen wir dazu bei, dass in diesen Generationen ein Bewusstsein, eine Sensitivität für diese Themen entsteht. Es fördert ihr Verständnis von Richtig und Falsch. „Nie wieder“ funktioniert nur, wenn junge Menschen wissen, was nie wieder passieren soll.

So, nun habe ich lang und breit für die Unversehrtheit von Originalliteratur argumentiert. Ganz anders sieht das meiner Meinung nach aber bei neuen Übersetzungen, Adaptionen und anderen Formen der Literaturverwertung aus. Der Verlag Oetinger hat zum Beispiel eine Neuübersetzung von „Pippi Langstrumpf“ veröffentlicht, die auf das N-Wort verzichtet. Das finde ich völlig legitim, weil ich es für vertretbar halte, neue Produkte dem Zeitgeist und damit auch der Political Correctness anzupassen – solange weiterhin eine Aufarbeitung der Vergangenheit stattfindet. Schließlich ist das kein Eingriff in das Original.

Bleiben wir mal beim Beispiel der Übersetzung. Eine Übersetzung zielt nie darauf ab, das Original völlig zu verfälschen, sondern sich so nahe wie möglich am ursprünglichen geistigen Eigentum des_der Schreibenden zu bewegen. Wisst ihr, ob Astrid Lindgren im schwedischen Original wirklich das N-Wort verwendete? Oder war das lediglich dem deutschen Zeitgeist geschuldet, der während den ersten Übersetzungen Ende der 1940er, Anfang der 1950er Jahre vorherrschte?

Ich weiß es nicht, aber ich weiß, dass der Band „Pippi in Taka-Tuka-Land“ wörtlich aus dem Schwedischen übersetzt eigentlich „Pippi Langstrumpf in der Südsee“ heißt. Hätte das für mich als Kind irgendeinen Unterschied gemacht? Nein. Für Menschen, die unter Rassismus leiden, aber vielleicht schon.

Solange das Original intakt bleibt, empfinde ich es nicht als problematisch, Übersetzungen zu erneuern. Das passiert in anderen Kontexten ständig. Stephen King ist dafür ein passendes Beispiel. Einige seiner alten Bücher wurden bei ihrem Erscheinen zuerst für den deutschsprachigen Markt in Österreich übersetzt, nicht für den Markt in Deutschland. Darum enthalten diese ersten Übersetzungen Formulierungen, die in Österreich geläufig, in Deutschland aber eher unbekannt sind. Als Heyne diese Bücher ins Programm aufnahm, beauftragte der Verlag keine neue Übersetzung. Jahrzehnte später wurden die Romane dann neu verlegt und die Übersetzungen in diesem Zuge aktualisiert.

„Brennen muss Salem“ ist so ein Fall. Hier nahm das österreichische Übersetzungsduo sogar gravierende Kürzungen und eine Zensur von Kraftausdrücken vor, deshalb ist meine Ausgabe von 1993 nur etwa halb so lang wie die Neuauflage von 2020. Es war hier also sogar dringend notwendig, eine neue Übersetzung vorzunehmen, um dem Original gerecht zu werden. Darüber beschwert sich niemand. Wenn eine neue Übersetzung die Intention des Autors oder der Autorin weiterhin korrekt oder sogar noch besser wiedergibt und dazu noch der Political Correctness genüge tut, sehe ich darin keine Verletzung des Werkes.

Abschließend möchte ich noch sagen, dass es für mich grundsätzlich nicht nachvollziehbar ist, dass sich einige Menschen von der Political Correctness bedroht fühlen. Für mich ist das eine ganz einfache Kosten-Nutzen-Rechnung. Wenn ein sensiblerer Sprachgebrauch meinerseits dazu führt, dass einige Menschen sich nicht länger beleidigt, ausgeschlossen oder verletzt fühlen – super, ist für mich ja kein großer Akt, hat aber eine große Wirkung für andere. Schließlich ist es nicht meine Absicht, mit meiner Sprache anderen Menschen wehzutun. Ich tue mich schwer damit, zu verstehen, warum manche Personen nicht dazu bereit sind, kleine Gewohnheiten zu ändern, um anderen das Leben leichter zu machen.

Political Correctness kann nicht alle Fehler der Historie korrigieren und ist auch nicht immer der richtige Weg dafür. Doch solange sie nicht dazu missbraucht wird, die Vergangenheit umzuschreiben oder völlig missverstanden wird, empfinde ich es als sehr wertvollen Fortschritt in unserer Gesellschaft, dass wir versuchen, sensibler miteinander umzugehen. Schließlich stecken wir alle gemeinsam auf dieser blauen Kugel fest und müssen miteinander auskommen.

Wie sollte Political Correctness eurer Meinung nach in Büchern umgesetzt werden?

Ich freue mich wie immer sehr auf eure Beiträge und Kommentare, wünsche euch allen einen zauberhaften Start in die neue Woche und am Sonntag einen leseintensiven Welttag des Buches!
Alles Liebe,
Elli ❤️

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