Montagsfrage: Literarische Ersatzfamilien?

Hallo ihr Lieben 😊

Montags-Feiertage sind doch immer noch die Besten, oder? Ich hoffe, ihr könnt den freien Tag heute schön entspannt verbringen und das lange Wochenende genießen. Für mich ist der Tag der deutschen Einheit dieses Jahr der Auftakt in zwei wundervolle Wochen Urlaub. Okay, ja, offiziell natürlich erst ab morgen, aber frei ist frei. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie dringend ich diese Pause brauche. Die letzten Monate waren auf Arbeit sehr anstrengend für mich. Ich muss runterkommen, ausspannen und mir viel Zeit für mich selbst, den Lieblingsmenschen (der ebenfalls Urlaub hat), Saverio und meine Familie nehmen.

Mir ist jetzt erst aufgefallen, wie leer meine Akkus wirklich sind. Eigentlich wollte ich über das Wochenende schon die nächste Rezension fertigstellen. Ich konnte nicht. Ich kann gerade keine Besprechung schreiben. Es ist, als wäre mein Kopf völlig verklebt und nicht fähig, kreative Gedanken zustande zu bringen. Ich glaube, ich werde noch einige Tage brauchen, um diese Blockade aufzulösen. Ich muss mich auf Werkseinstellungen zurücksetzen und wieder Raum in meinem Geist für Kreativität schaffen. Das geht wahrscheinlich am besten, indem ich alles loslasse, was da im Moment feststeckt.

Deshalb habe ich beschlossen, die nächsten zwei Wochen ruhig anzugehen und einfach auf mich zukommen zu lassen. Voraussichtlich werde ich also von meiner normalen Blog-Routine abweichen – vielleicht gehen Rezensionen online, vielleicht nicht. Kein Druck, kein Zwang. Ich nehme mir keine offizielle Pause, aber ich möchte die Blockade nicht noch verschlimmern, weil ich das Gefühl habe, abliefern zu müssen. Ich will jeden Tag impulsiv und spontan gestalten, keine To Do – Liste abarbeiten. Wenn das heißt, dass ich lieber lese oder schlafe als zu schreiben, ist das für mich okay.

Darum kommt meine Antwort zur aktuellen Montagsfrage von Sophia von Wordworld heute auch deutlich später als sonst: Ich habe mir den Luxus gegönnt, ein bisschen auszuschlafen. Schließlich muss ich morgen nicht früh raus. 😉 Außerdem möchte ich mir heute ganz viel Zeit für die Beantwortung nehmen. Dafür eignet sich die Frage nämlich hervorragend.

Found Family Trope – Welche Bücher, in denen Figuren in eine neue Famile oder einen Familienersatz finden, kennt Ihr?

Ich habe mir die Frage bereits letzte Nacht vor dem Schlafengehen durchgelesen und dementsprechend recht lange darüber nachgedacht, in welchen Kontexten mich das Motiv der Ersatzfamilie besonders berührt. Ich kam zu dem Schluss, dass ich einige meiner schönsten und emotionalsten literarischen Momente mit Wahlfamilien in der High Fantasy hatte – wie könnte es anders sein. Bitte rollt jetzt nicht gleich mit den Augen und schaltet ab, denn in diesem Fall geht es um ein spezifisches Phänomen, das ich euch gern erklären möchte.

High Fantasy und Low Fantasy zeigen Figurenkonstellationen, die es in anderen Genres sonst eher selten gibt. Das liegt daran, dass in diese beiden Kategorien Konflikte häufig groß, umspannend und folgenreich behandeln: Als Kriege. Aber während Krieg in vielen anderen Genres ebenfalls eine Rolle spielt, zumindest als Hintergrundkulisse, als Bedrohung oder mögliche Eskalation, erlebe ich die intime Vorstellung der Armeen, die in diesen Kriegen kämpfen (müssen), fast ausschließlich in diesem Rahmen. In High und Low Fantasy sind Armeen oft keine gesichtslose Masse, sondern eine Zusammenkunft von Lebewesen (nicht immer sind es Menschen), deren Schicksale sie aus sehr individuellen Gründen dazu brachten, sich den Truppen anzuschließen.

Daraus ergeben sich Dynamiken, für die ich ungemein empfänglich bin. Mein Herz geht auf, wenn ich von der Loyalität, dem Zusammenhalt und der Treue in Fantasy-Armeen lese. Oft fühle ich mich den Figurengruppen so nahe, dass ich am liebsten in das Buch springen würde, um mit ihnen in die Schlacht zu ziehen. Ich fühle mich als Teil der Ersatzfamilie, die sie in den Reihen ihrer Kamerad_innen finden. Diese Form der Freundschaft, in der es tatsächlich oft um Leben und Tod geht, um die Frage, ob man bereit ist, füreinander zu sterben, bewegt mich mehr als jedes andere Ersatzfamilien-Motiv. Weil der Einsatz so hoch ist, sind die Emotionen, die gute Autor_innen in diesem Kontext vermitteln, intensiver. Und ich liebe es.

Heute möchte ich euch deshalb zuerst drei High Fantasy – Epen vorstellen, in denen Armeen als Ersatzfamilien bei mir besonders viel auslösten. Danach habe ich noch ein, zwei Tipps für diejenigen unter euch, die Ersatzfamilien lieber in anderen Kontexten kennenlernen.

Armee als Ersatzfamilie

„The Faithful and the Fallen“ ist ein fantastisches Epos, das ein bisschen Zeit braucht, bis es in die Gänge kommt, dann aber besonders mit herausragenden Charaktersierungen der Figuren überzeugt. Die Ersatzfamilie, die der Protagonist Corban in der Rebellenarmee findet, die sich zur Rettung der Verbannten Lande zusammenschließt, ist herzerwärmend. Ich habe im Verlauf von John Gwynnes Tetralogie immer wieder geweint, weil ich so berührt von ihren Beziehungen war. Es nahm mich mit, wie viel sie einander bedeuten und wie weit sie füreinander gehen würden.

Im dritten Band „Ruin“ gibt es diese Szene, in der der Widerstand Corban ganz offiziell die Treue schwört. Es ist ein Eid, den beide Parteien ablegen, kein einseitiger Schwur. Das war für mich so emotional, dass ich wünschte, ich könnte live dabei sein. Auch in dieser Szene habe ich vor Rührung geweint.

Dazu ist John Gwynne vielleicht nicht der originellste Autor, aber jemand, der es versteht, extreme Nähe zu erzeugen und damit Spannung aufzubauen. Die finale Schlacht im letzten Band „Wrath“ hat mich völlig zerstört, weil ich solche Angst um die Figuren hatte. Ich wollte sie alle beschützen, bei ihnen sein, in den Weg ihrer Feinde springen und mit Schwert und Schild mitten unter ihnen stehen. Ich wollte mit ihnen für das Gute kämpfen. Gwynne ist es gelungen, eine der denkwürdigsten Ersatzfamilien zu konzipieren, die mir je untergekommen sind.

Brian McClellan war der erste Autor, der mir gezeigt hat, dass ich Fantasy mit einem starken militärischen Aspekt schätze. Seine „Powder Mage“-Trilogie stellt den charismatischen Feldmarschall Tamas in den Mittelpunkt, der im ersten Band „Promise of Blood“ gerade einen erfolgreichen Militärputsch gegen die Monarchie seiner Heimat Adro durchgeführt hat. In der Folge kämpft er mit den Konsequenzen dieser Maßnahme – natürlich unterstützt von seinen unerschrockenen Truppen, die ihn nahezu verehren. Ich konnte ihre Gefühle für ihn sowie einander komplett nachvollziehen, war mitgerissen und wäre gern mit ihnen marschiert, vor allem im Finale „The Autumn Republic“.

Möchte man das Heer von Adro als Ersatzfamilie betrachten, ist Tamas eindeutig ihr Vater, das Familienoberhaupt, dem alle treu ergeben sind. Und das zurecht. Er besitzt eine unglaubliche Überzeugungskraft; wer seinen Worten lauscht, hat keinen Zweifel mehr daran, für das Gute zu kämpfen und dass seine Ideen es wert sind, das eigene Leben für eine bessere Zukunft zu geben. Er hält diese Ersatzfamilie zusammen, er ist ihr Herz und ihr Verstand. Mit ihm ist Brian McClellan eine Persönlichkeit gelungen, die mich so tief beeindruckte, dass ich ihn sogar in der Folge-Trilogie „Gods of Blood and Powder“ schmerzlich vermisste. Nicht, weil der Geschichte etwas gefehlt hätte, sondern weil er ein so faszinierender Charakter ist, der nachhaltig Spuren hinterließ.

Cover des Buches "Gardens of the Moon" von Steven Erikson

Sprechen wir über Armeen als Ersatzfamilien, müssen wir über die Malazaner_innen sprechen. Ja, ich weiß, ihr könnt meine Schwärmerei über Steven Eriksons monumentales Epos „The Malazan Book of the Fallen“ wahrscheinlich schon nicht mehr hören (lesen), aber hier muss die Reihe einfach genannt werden. Unter den malazanischen Truppen finden sich so viele individuelle Charaktere, die eine so enge Bindung miteinander erleben, dass ich mich jedes Mal darauf freue, wenn Kapitel aus ihrer Sicht geschildert werden. Ich habe noch keine Armee gesehen, die so viel Raum für Persönlichkeit lässt und einer Familie deshalb so ähnlich ist.

Was die Malazaner_innen von den meisten anderen Armeen unterscheidet, ist ein Grundsatz, der zur Zeit des alten Imperators von Dassem Ultor eingeführt wurde: Jede_r darf die eigene Meinung äußern. Im malazanischen Heer ist es erwünscht, dass selbst die frischsten Rekrut_innen ihren Senf zu Befehlen und Strategien dazugeben, wenn sie glauben, dass sie eine bessere Idee haben oder das Vorhaben zum Scheitern verurteilt ist. Befördert wird nur aufgrund von Kompetenz, ein Einkaufen des Adels ist nicht möglich. Dadurch fördert das Imperium ganz direkt Individualität und verhindert, dass Soldat_innen zu geistlosen Marionetten werden.

Das heißt natürlich nicht, dass es keine Befehlskette oder Autorität gäbe, ganz im Gegenteil. Die enge Verbundenheit der Malazaner_innen entsteht durch das Vertrauen darauf, dass Befehlshaber_innen ihre Soldat_innen ernstnehmen, respektieren und sich bis zu einem gewissen Grad auf Augenhöhe mit ihnen befinden. Unterstützt wird die familiäre Atmosphäre auch dadurch, dass das malazanische Imperium riesig ist und mehrere Kontinente umspannt. Wer sich rekrutieren lässt, gibt alles auf: Heimat, Freundschaften, Blutsbande. An ihre Stelle treten die Kamerad_innen, diejenigen, die mit dir Gräben ausheben, kilometerweit marschieren, dasselbe Gewicht schultern müssen und ihr Leben riskieren.

Dafür liebe ich die Reihe vielleicht am meisten. Neben all der Brillanz von Worldbuilding und Handlungskonstruktion sind es die zutiefst menschlichen, realistischen Dynamiken in der malazanischen Armee, die mich stets aufs Neue von Steven Erikson überzeugen.

Weitere Ersatzfamilien

Nach diesen drei Empfehlungen (Oh ja, es sind definitiv Empfehlungen, ihr solltet alle drei Epen unbedingt lesen) aus der High Fantasy möchte ich nun noch fix zwei Reihen vorstellen, in denen mir die Ersatzfamilie-Beziehungen ebenfalls sehr nahegingen, auch wenn sie keine militärischen Einschlag haben.

Cover des Buches "Lycidas" von Christoph Marzi

Ich glaube, Ersatzfamilien sind immer dann besonders bewegend, wenn wir es den Figuren sehr gönnen, dass sie jemanden finden, der sich um und für sie sorgt. Das ist in Christoph Marzis „Uralter Metropole“ der Fall. Auch von dieser Reihe habt ihr mich schon oft schwärmen hören. Die Protagonistin Emily ist ein Waisenkind, das zu Beginn der Reihe in einem grauenhaften Londoner Waisenhaus lebt, das nicht grundlos an Charles Dickens erinnert. Durch mysteriöse, entschieden übernatürliche Umstände wird sie in die Uralte Metropole, die Stadt unter der Stadt eingeführt und findet dort, was sie sich immer wünschte: Eine Familie.

Im Laufe der Handlung der Reihe findet sie heraus, wer ihre leibliche Familie ist, stellt aber bald fest, dass Blutsverwandtschaft kein Garant für Liebe ist. Familie beginnt im Herzen. Es sind die Menschen, die für uns da sind, denen wir etwas bedeuten, die unsere Familie ausmachen. Gemeinsam vergossenes Blut ist dicker als Fruchtwasser. Emily begreift, dass ihr Mentor Wittgenstein, ihre beste Freundin Aurora, ihr bester Freund Neil und ihre weiteren Weggefährt_innen für sie weit wichtiger als ihre Verwandten. Das hat mich immer sehr berührt, weil ich ihr diese Erkenntnis von Herzen gewünscht habe. Eine ungewöhnliche, aber ganz zauberhafte Ersatzfamilie.

Cover des Buches "Lycidas" von Christoph Marzi

Eine ähnliche Lektion erteilt Marissa Meyer ihren Figuren in ihrer Reihe „The Lunar Chronicles“. Diese futuristischen Märchenadaptionen lehren die nominellen Prinzessinnen, dass es nicht wichtig ist, woher sie kommen. Sie werden nicht dadurch definiert, wer ihre Familien sind, sondern dadurch, wen sie zu ihrer Familie machen. Mich hat daran besonders beeindruckt, wie sehr Marissa Meyer weibliche Freundschaft in den Mittelpunkt ihrer vierbändigen Geschichte stellt. Gerade vor dem Hintergrund der alten Märchen war es inspirierend zu erleben, wie viel Kraft die Protagonistinnen aus ihren Beziehungen untereinander schöpfen. Sie bekommen natürlich alle ihren eigenen Prinz, aber am Ende brauchen sie sie nicht, um sich oder den Tag zu retten.

Ich finde es toll, dass Meyer demnach eine Ersatzfamilie porträtiert, die vor allem jungen Leserinnen zahlreiche Identifikationsmöglichkeiten und positive Vorbilder bietet. Sie zeigt, dass all die Vorurteile über Frauen-Freundschaften überholt sind. Frauen zanken sich nicht ständig, sie konkurrieren nicht permanent um Männer, sie können stark und unabhängig sein und auch ohne männliche Unterstützung viel bewegen. Ich halte das für eine enorm wichtige und empowernde Botschaft, die die Reihe aus meiner Sicht zu einer der wertvollsten der modernen Young Adult – Literatur macht.

So, ich denke, das waren nun genug Empfehlungen zum Thema Ersatzfamilien. Ich bin gespannt, was ihr von meiner Auswahl haltet und ob ihr euch ebenso mit loyalen Armeen identifizieren könnt wie ich.

Welche literarischen Ersatzfamilien haben euch besonders bewegt?

Ich freue mich wie immer sehr auf eure Beiträge und Kommentare und wünsche euch allen einen harmonischen Start in die neue Woche!
Alles Liebe,
Elli ❤️

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