DSCF8924Das Thema meines heutigen Eintrags ist mehr als ernst und liegt mir so sehr am Herzen, dass es wohl ein längerer Text wird, den ich hier verfassen werde. Ich war heute, begleitet von meinem Partner und meiner Hündin, auf dem Bebelplatz (vormals Opernplatz) in meiner Heimatstadt Berlin. Dort fand eine Veranstaltung der Partei Die Linke statt, die jährlich am heutigen Datum begangen wird; gegen das Vergessen, für das Erinnern.
Am 10. Mai 1933, also heute vor genau 81 Jahren verbrannten Studenten der Berliner Humboldt – Universität im Zuge der nationalsozialistischen „Aktion wider den undeutschen Geist“ auf dem Bebelplatz/Opernplatz etwa 25.000 Bücher von insgesamt 94 jüdischen, pazifistischen und/oder links eingestellten Autoren.
Kennt ihr die Szene aus „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“, in der die deutsche Archäologin Dr. Elsa Schneider einer Bücherverbrennung in Berlin beiwohnt und ihr Tränen über die Wangen laufen, obwohl sie mit den Nazis zusammen arbeitet? Für diejenigen, denen die Szene nicht geläufig ist, ich habe sie für euch verlinkt. Der Youtube-Clip ist zwar auf Englisch, doch das spielt keine Rolle, mir geht es nur um die Emotion, die Dr. Schneider vermittelt: Szene aus „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“ (etwa ab Minute 01:00). Genau das, was Dr. Schneider in dem Film empfindet, fühle auch ich jedes Mal, wenn ich an dieses abscheuliche Verbrechen an der Literatur vor 81 Jahren denke.
DSCF8926Darum war es für mich selbstverständlich, dass ich an der heutigen Veranstaltung der Linken teilnehme. Sie trägt das Motto „Lesen gegen das Vergessen“ und beinhaltet Lesungen einiger öffentlicher Personen aus Texten, die entweder am gleichen Ort 1933 verbrannt wurden oder die aufgrund ihres Inhalts verbrannt worden wären. Eingerahmt wird diese Lesung von der Aktion „Ein Ort zum Lesen“; diese einfache, aber wunderschöne Kunstinstallation besteht aus 30 Stühlen (lt. Website der Aktion), die rund um eine Regalskulptur aufgestellt wurden. Sowohl auf den Stühlen als auch im Regal selbst wurden Werke platziert, die der „Liste der verbrannten Bücher“ entstammen. Dank der Zusammenarbeit mit dem Netzwerk „Bookcrossing“ sind all diese Bücher ausdrücklich zum Verschenken gedacht; ein Stück Geschichte, das mit nach Hause genommen werden kann.
Die Lesung selbst wurde von Gesine Lötzsch geleitet und musikalisch von der Big Soul DSCF8922Band der Gustav-Heinemann-Schule untermalt. Ich empfand das ganze Event als sehr schön und dem Gedenken der Bücherverbrennungen 1933 würdig.
Als wir ankamen, war es bereits ziemlich voll (für so eine Veranstaltung, wenn zeitgleich Hertha BSC zu Hause gegen Borussia Dortmund spielt) und wir waren auch ein wenig spät dran, um 15 Uhr sollte es losgehen. Daher hatten wir nicht mehr viel Zeit, um in den Büchern der Aktion „Ein Ort zum Lesen“ zu DSCF8923schmökern und auch unsere Hoffnungen auf einen Sitzplatz verflogen recht schnell. Uns blieb also nichts anderes übrig, als uns ein Plätzchen hinter den Bankreihen zu suchen und dort Aufstellung zu beziehen. Immerhin konnte ich so ein paar annehmbare Fotos für euch schießen. :)
Als erstes las die mittlerweile 103 – jährige (!) Autorin Elfriede Brüning. Leider habe ich gepennt, als angesagt wurde, was sie vorlesen wird und habe mir keine Notizen dazu gemacht, aber ich vermute ganz stark, dass es die Novelle „Der Frankfurter Buchbrand“ von Heinrich Eduard Jacob war, die 1933 in der Sammlung „Novellen deutscher Dichter der Gegenwart“ erschien. Jacob selbst nannte das Werk die „Goethe – Novelle“, da er darin schildert, wie der 14 – jährige Goethe eine Bücherverbrennung erlebt. Unglücklicherweise konnte ich im Netz keine Version dieser Novelle finden. Ich fand es schwer, Frau Brüning zu folgen, da ihre Stimme natürlich nicht mehr ganz so kräftig ist. Trotzdem hat mich das, was sie gelesen hat, berührt, daher ist es umso enttäuschender, dass die Novelle online nicht zu finden ist. Micha Ullman
Vor dem nächsten Beitrag holte Gesine Lötzsch den israelischen Künstler Micha Ullman auf die Bühne, der das Mahnmal zum Gedenken an die Bücherverbrennung geschaffen hat. Das Denkmal ist eine unterirdische, leere, mit einer Glasplatte bedeckte Bibliothek. Ullman sagte im Wortlaut, dass es gerade die Leere seiner Bibliothek sei, die für sich spräche und ich muss ihm da zustimmen. Von den Bronzeplatten, die den Besucher über das Mahnmal aufklären, habe ich Fotos machen können.
Als nächstes las die Sängerin Barbara ThalheimBarbara Thalheim über ihren Vater. Ich muss zugeben, dass das Zuhören für mich ein wenig befremdlich war. Ihr Vater war Kommunist und flüchtete 1933 vor dem NS-Regime erst nach Frankreich und später nach Algerien, wurde jedoch von der Gestapo festgenommen und im KZ Dachau interniert, welches er glücklicherweise überlebte. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie es sein mag, wenn die Vergangenheit des eigenen Vaters von Flucht, Gewalt und Angst geprägt war. Barbara Thalheim selbst sagte, dass sie mit ihrem Vater nie viel über die Umstände während der Nazizeit gesprochen hätte.
Während Barbara Thalheims Beitrag relativ lang war, glänzte der evangelische Theologe und ehemalige Rektor der Humboldt – Universität, Heinrich Fink, durch prägnante, eingängige Kürze. Er las aus seinem eigenen Werk „Wie die Humboldt – Universität gewendet wurde“ und erinnerte daran, dass das von Magnus Hirschfeld geleitete Heinrich FinkInstitut für Sexualwissenschaft am 06. Mai 1933 überfallen, die umfangreiche Bibliothek geplündert und zerstört, sowie der Bestand der Bibliothek später verbrannt wurde, das Institut jedoch bis heute nie wieder aufgebaut wurde.
Anschließend hieß es, Gojko Mitić würde nun lesen. Mitić, Mitić, Mitić… Den Namen kannte ich bereits. Doch woher? Ich fand es erst heraus, als ich zu Hause die verschiedenen LeserInnen recherchierte. Mitić wird auch der „Winnetou des Ostens“ genannt; er spielte in zahlreichen Gojko MiticDDR-Produktionen Vertreter der nordamerikanischen indigenen Bevölkerung. Heute las er Kurt Tucholskys „An das Publikum“ und Erich Kästners „Hymnus auf die Bankiers“. Bedenkt man, das beide Texte um 1930 herum erschienen sind, überraschen sie durch eine frappierende Aktualität. Ich kann nur empfehlen, sie beide zu lesen.
Die Schauspielerin und Sängerin Gina Pietsch wählte einen Text von Volker Braun; auch hier kann ich jetzt nicht mehr rekonstruieren, welchen sie vorlas. Das ist schade, weil mich Frau Pietsch Gina Pietsch 1durchaus beeindruckte, da sie ihren gesamten Beitrag auswendig rezitieren konnte, ohne ablesen zu müssen.
Als nächstes war ein Gruppe StudentInnen von der University of Michigan an der Reihe, die ein sehr kurzes Stück aufführten, von dem ich glaube, dass es um die Gefahren mangelnder Individualität ging. Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, da die StudentInnen zum Teil erst seit Januar diesen Jahres Deutsch lernen und dementsprechend nicht so gut zu verstehen waren. Im Anschluss rezitierte ihre Dozentin gemeinsam mit einem etwas fortgeschritteneren Studenten und einer Violinistin das „Kriegslied“ von Erich Mühsam, ein wunderschönes Gedicht über die Sinnlosigkeit und Gewalt eines Krieges. Ich kannte es schon, doch es hat mir auch heute wieder einen Schauer über den Rücken gejagt.
Ernst-Georg SchwillDie Bühne wurde dann erneut an einen Schauspieler übergeben, nämlich an Ernst-Georg Schwill, der sich ebenfalls für einen Text von Kurt Tucholsky entschieden hatte: „Der Mensch“. Diesen verfasste Tucholsky jedoch unter dem Pseudonym Kaspar Hauser. Diese Wahl gefiel mir sehr gut, denn es ist ein satirisch-ironische Betrachtung der Gattung Mensch, die Schwill letztendlich auch einige Lacher einbrachte.
Es folgte der Auftritt der Schauspielerin Nadja Engel, die aus Käthe Reichels Werk „Dämmerstunde. Erzähltes aus der Kindheit“ vorlas. Ihre Lesung gefiel mir am besten, denn in dem Ausschnitt geht es um Demokratie und die Parallelen zwischen Gegenwart und Vergangenheit; er regte mich zum Nachdenken an und ich werde wohl versuchen, das Buch zu erstehen.
Nach diesem für mich beeindruckenden Auftritt folgte ein meines Erachtens nach eher schwacher: die Schauspielerin und Regisseurin Ursula Karusseit las den Epilog aus Ernst Tollers „Das Schwalbenbuch“. Dieser ist ein nette kleine Anekdote, die thematisiert, dass auch die Nazis in ihrem Kontrollwahn keine allumfassende Macht erreichen konnten. Symbolisch steht hier eine Schwalbenfamilie für den Widerstand im Dritten Reich. Mich hat dieser Text nicht sonderlich berührt, vermutlich unter anderem, weil ich mit Vögeln nicht viel anfangen kann. Zusätzlich war mir die Symbolik ein bisschen zu offensichtlich.
Nun wurde das Publikum erneut mit Kurt Tucholsky beglückt: der Student Fabian Wolf präsentierte „Aussage eines Nationalsozialisten vor Gericht“. Ich möchte zu diesem Text nicht zu viel sagen, da er sehr kurz ist und herrlich für sich selbst spricht. Bitte lest ihn einfach. :)
Erneut kam im Folgenden eine Sängerin zu Wort, Johanna Arndt. Sie hatte sich für drei kurze Texte entschieden, den Anfang machte Masha Kalékos Gedicht „Emigranten-Monolog“, das die Vertreibung wertvoller deutscher LiteratInnen und PoetInnen thematisiert. Als zweiten Text hatte sie Erich Kästners Zeugnis der Bücherverbrennung in Berlin ausgewählt. Als Augenzeuge erlebte Kästner hautnah mit, wie seine Werke auf dem Scheiterhaufen landeten. Ich kann mir kaum vorstellen, wie es sich für den großartigen Autor anfühlte, sein Schaffen in Flammen aufgehen zu sehen. Zu guter Letzt trug Frau Arndt noch ein weiteres Gedicht vor, allerdings ist mir auch hier der Titel entfallen. Ich habe mir zwar eine einprägsame Zeile notiert, doch leider reichte diese nicht aus, um das Gedicht im Netz zu finden.
Eine Rezitation ohne Ablesen finde ich immer beeindruckend. Doch der Schauspieler Jens-Uwe Bogadtke Jens Uwe Bogadtkeüberzeugte mich auch durch seine volle, alles einnehmende Stimme und den lebhaften Stil seines Vortrags. Er hätte das Mikro nicht gebraucht. Er hat mich wirklich in die zwei Gedichte von Heinrich Heine, die er präsentierte („Die Wahlesel“ und „Die Wanderratten“), mitgenommen. Heine ist nicht immer leicht zu verstehen, doch Bogadtkes Intonation vereinfachte es, ihm zu folgen.
Der folgende Auftritt war vermutlich der emotionalste von allen. Beate Klarsfeld, Journalistin und sehr aktiv in der Aufklärung und Verfolgung von NS-Verbrechen, hatte sich Auszüge aus dem „Tagebuch der Denise Bardet“ herausgesucht und las diese vor. Denise Bardet war eines von 642 Opfern des Massakers von Oradour in Oradour-sur-Glane und obwohl sie bereits vor ihrem gewaltsamen und grausamen Tod Schwierigkeiten durch die deutsche Besatzung durchlebte, empfand sie keinerlei Hass auf die Deutschen. Auf die Nazis, ja, vielleicht. Aber sie war in der Lage, zwischen Deutschen und Nazis zu unterscheiden, eine zu dieser Zeit wirklich außergewöhnliche Fähigkeit. Frau Klarsfeld konnte man die unterdrückten Tränen in ihrer Stimme anhören. Das hat mich berührt. Ich möchte Denise Bardets Tagebuch in jedem Fall haben und selbst Bekanntschaft mit dieser freundlichen jungen Frau machen.
Gregor Gysi 1Zu guter Letzt trat nun noch der vermutlich bekannteste „Promi“ auf, Linksfraktionsvorsitzender Gregor Gysi. Er las aus dem „Heeresbericht“ von Edlef Köppen, der vor 81 an genau der gleichen Stelle verbrannt worden war. Dieser ist quasi ein pazifistisches Manifest, das der Autor schrieb, um seine Erlebnisse im Ersten Weltkrieg zu verarbeiten. Köppen betont die Sinnlosigkeit des Krieges; dass Krieg, egal ob gewonnen oder verloren, immer mit Blut, Gewalt und Tod einhergeht.
Ich empfand diesen Auszug als gelungenen Abschluss der Lesung.
Mein Beitrag ist nun wirklich sehr lang geworden; so lang, dass ich nicht viel Hoffnung habe, dass ihn überhaupt jemand zur Gänze liest. Doch es war mir ein intensives Anliegen, von meinen heutigen Erfahrungen ausführlich zu berichten; Autoren und Werke zu verlinken und sie euch somit näher zu bringen. Vielleicht konnte ich ein paar unter euch ja auch dazu bewegen, sich ebenfalls an Aktionen wie dieser zum Gedenken an die Bücherverbrennung 1933 zu beteiligen. Erinnern ist wichtig. Vergessen ist gefährlich. Und es geht so schnell. Ich finde, wir müssen lernen, einen Bezug zu den Verbrechen unserer Vergangenheit aufzubauen, um niemals wieder zuzulassen, dass solche Gräueltaten begangen werden können. Ich möchte mit einem Zitat von Peter Suhrkamp schließen, das er 1947 auf eben jenem Bebelplatz/Opernplatz formulierte:
„Die Flammen, die zuerst über den Bücherhaufen prasselten, verschlangen später im Feuersturm unsere Städte, menschliche Behausungen, die Menschen selbst. Nicht der Tag der Bücherverbrennung allein muß im Gedächtnis behalten werden, sondern diese Kette: von dem Lustfeuer an diesem Platz über die Synagogenbrände zu den Feuern vom Himmel auf die Städte.“
Book_Burning_by_MaruLovesStamps
++ACHTUNG: Dieser Beitrag wurde übertragen. Erstellungsdatum ist der 10.05.2014!++

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