Hallo ihr Lieben! :)

Ich bin fast fertig mit meiner Geschichte über James Frey und Full Fathom Five. Obwohl ihr es sicher schon ahnt, werde ich euch am Ende dieses Posts verdeutlichen, was mich bewogen hat, die „Lorien Legacies“ abzubrechen. Dies ist der letzte Beitrag. Wenn ihr die Reihe noch einmal komplett lesen wollt, folgt einfach diesen Links:
Teil #1: Münchhausens Erbe
Teil #2: Literatur vom Fließband
Teil #3: Full Fathom Five – Ein Ausbeuterbetrieb?

Im gestrigen, dritten Beitrag habe ich euch offenbart, wie ein Vertrag zur Anstellung als Autor_in bei Full Fathom Five aussieht. Ihr wisst nun, unter welchen Bedingungen Suzanne Mozes dort schreiben sollte. Nun müssen wir uns nur noch der Frage stellen, welche Motivation James Frey dazu brachte, Full Fathom Five ins Leben zu rufen. Wie kann ein Autor andere, junge Autor_innen vorsätzlich ausbeuten wollen?

Die Frage, wieso James Frey Full Fathom Five überhaupt gründete, beschäftigte mich lange. Dieser Schritt schien so gar nicht zu ihm zu passen, denn seine eigenen Romane sind weit entfernt von jeglicher Genreliteratur. Da ich auf diese Frage keine konkrete, befriedigende Antwort fand, habe ich mir selbst eine Erklärung zusammengereimt.

Ich glaube, dass Full Fathom Five Freys ganz persönlicher Rachefeldzug an der literarischen Welt, aber vor allem am literarischen Amerika ist, der einer etwas verdrehten Logik folgt. Das Buch, das ihm wirklich etwas bedeutete, war „A Million Little Pieces“. All sein Herzblut steckte darin. Ich denke, er hat der Buchbranche nie verziehen, dass es in Fetzen gerissen wurde. Er glaubt noch immer, dass ihm Unrecht getan wurde und vielleicht stimmt das sogar, denn schließlich wissen wir nicht, ob sein ehemaliger Verleger Doubleday tatsächlich darüber informiert war, dass „A Million Little Pieces“ höchstens ein autobiografischer Roman, aber keinesfalls eine Autobiografie ist. Der Skandal zerstörte alles, was er sich aufgebaut hatte und er zerstörte das Bild, dass Frey von sich selbst entworfen hatte, wie er sich selbst vermutlich sehen wollte. Der harte Hund war eine Illusion. Niemand wird gern darauf hingewiesen, dass die eigene Selbstauffassung verzerrt ist. Erstaunlicherweise scheint Frey allerdings nicht den Journalist_innen von The Smoking Gun zu grollen, die direkt dafür verantwortlich waren, dass sein Traum platzte, sondern der Buchbranche. Über TSG sagt er, dass sie nur ihren Job erledigten. Ihn scheint die Hexenjagd, die folgte, mehr verbittert zu haben, als der Artikel, der sie auslöste. Auf gewisse Weise kann ich das verstehen, denn wie mit ihm umgesprungen wurde, war meiner Ansicht nach übertrieben. Ich bin überzeugt, dass die Gründung von Full Fathom Five eng mit dieser Erfahrung zusammenhängt. Frey wurde in eine Ecke getrieben, ihm wurde vorgeworfen, ein ganzes Genre in Verruf gebracht zu haben. Was tut er also? Er inszeniert sein Comeback durch eine Firma, die streng in einem bestimmten Genre agiert und rein auf Profit ausgerichtet ist. Eine Firma, die Romane produziert, die auf den unersättlichen Appetit des Marktes eingehen, aber keinerlei Leidenschaft enthalten, weil sie Auftragsarbeit sind. Romane, die in kurzer Zeit ohne Herzblut runtergeschrieben werden. Sterile, vernunftbasierte Ideen, aufpoliert, bis sie glänzen wie Chrom. Romane, die keine Wärme verströmen. Romane, die das genaue Gegenteil von „A Million Little Pieces“ sind.

Embed from Getty Images

 

James Freys eigenes Herzprojekt wurde torpediert, bis dessen Wert fast vollständig hinter der Geschichte des Skandals verschwand. Auf mich wirkt es, als hätte er entschieden, es der literarischen Welt heimzuzahlen, indem er einfach nur noch Bücher auf den Markt bringt, die ihm im Grunde gleichgültig sind. Bücher, die nicht darauf abzielen, die Welt zu verändern und gar nicht erst versuchen, die Seelen ihrer Leser_innen zu berühren. Rein konsumorientierte Literatur; Zeitfüller, die keinen tieferen Eindruck hinterlassen. Sein lebensveränderndes Buch wurde diskreditiert bis nichts mehr von seiner ursprünglichen Wirkung übrig war, also stopft er der Buchbranche Trivialität in den Rachen, bis sie daran zu ersticken droht. Das nennt man eine Trotzreaktion.
Diese Interpretation von James Freys Motiven beruht nicht nur auf rohen Fakten. Sie ist auch durch meinen Eindruck der vier Bände der „Lorien Legacies“, die ich gelesen habe, begründet. Ich habe beim Lesen gespürt, dass die Bücher ohne Enthusiasmus geschrieben wurden. Weder Hughes, noch Frey, noch die unbekannte Person, die ab dem dritten Band als Co-Autor_in fungierte, brannten für die Idee. Sie brannten für den Gedanken, mit der Reihe reich zu werden, ja, aber nicht für die Geschichte. Keine liebevollen Details, keine Szenen, die mit einem Augenzwinkern bestechen, keine Freiheit für die Figuren, keine Überraschungen. Alles wirkt am Reißbrett entworfen, kühl, distanziert und berechnend. Leidenschaft lässt sich nicht vortäuschen oder imitieren.

Durch den Eklat um „A Million Little Pieces“ wurde James Frey auf eine Weise gebrandmarkt, die ihn für lange Zeit als Bad Boy der amerikanischen Literatur abstempeln wird. Wenn diese unschöne Episode denn überhaupt je vergessen wird. Ihn begleitet das Stigma des Lügners, wohin er auch geht und was er auch tut. Nun, ist der Ruf erst ruiniert… Da kann man schon mal über die Stränge schlagen. Man kann eine Firma gründen, die auf alles spuckt, was der Buchbranche heilig ist. Man kann junge, hoffnungsvolle Autor_innen ausbeuten – die Welt nimmt ja sowieso das Schlimmste an, also kann man ruhig beweisen, dass man noch böser ist, als sich alle vorstellen können. Ein eiskalter Bastard.
Wisst ihr, selbst wenn die Verträge von Full Fathom Five heute anders aussehen als in ihrem ersten Jahr, glaube ich nicht, dass dies der Ausdruck eines plötzlich wiederentdeckten Gewissen ist. Ich glaube, James Frey hatte keine andere Wahl, weil er sonst den Erfolg seiner Firma riskiert hätte. Ich kann mir vorstellen, dass die Buchbranche indirekt Druck auf ihn ausgeübt hat. Frey konnte sich keinen weiteren Skandal leisten, also musste er den kritischen Stimmen ein wenig entgegenkommen. Er musste in der Lage sein, all die Bedenken wegzuwischen und seine Geschäftspartner zu beruhigen. Nein, wir beuten hier nicht aus, der Artikel beschreibt den Einzelfall einer verschmähten Autorin, alle Verträge werden individuell ausgehandelt, ach und übrigens, haben Sie schon von unserem neusten Projekt gehört?

Embed from Getty Images

 

Ich kann in James Frey nicht den Wohltäter sehen, als der er sich darstellt. Ich kann nicht vergessen, dass er ein Mann ist, der zwanghaft nach Anerkennung dürstet, so sehr, dass er sogar bereit war, Millionen von Leser_innen dreist anzulügen. So ein Mann hat keine Ader für Selbstlosigkeit. So ein Mann lehnt sich nicht zurück und lässt anderen den Vortritt. So ein Mann fördert nicht ohne Gegenleistung. Jobie Hughes kann ein Lied davon singen. Und so einem Mann ist auch nicht egal, was die Welt von ihm denkt. Meiner Meinung nach legt James Frey etwas zu viel Wert darauf, cool zu erscheinen. Er gibt sich zu viel Mühe, darzustellen, dass ihn all die Kritik an seiner Person nicht berührt. Ich denke, das einzige Mal, dass ich den Eindruck hatte, dass er einen Teil seiner Fassade fallen ließ, war in einem Interview mit Oprah Winfrey 2011. Oprah blickte für eine TV-Reihe auf ihre denkwürdigsten Gäste zurück und Frey gehörte selbstverständlich dazu. Obwohl er mir auch in dieser Gesprächssituation sehr kontrolliert erschien, denke ich doch, dass ihm das erneute Aufeinandertreffen mit Oprah naheging. Ich war kurz davor, ihn leiden zu können. Aber knapp daneben ist eben auch vorbei. Ich empfinde James Frey als extrem unangenehme Person. Er wirkt immer gehetzt, was durch seinen starken Wunsch, der Welt seinen Stempel aufzudrücken, begründet sein könnte. Ich möchte ihn niemals treffen.

Ebenso wenig möchte ich irgendetwas mit Full Fathom Five zu tun haben. Ich verabscheue das Prinzip, nach dem diese Firma konzipiert ist. Ich verabscheue ihre Auffassung von Literatur und ich verabscheue ihre Profitorientierung. Ich verabscheue, wie übel sie jungen Autor_innen mitgespielt haben. Ich verabscheue, dass James Frey sie für seine private Fehde mit der Buchbranche missbrauchte. Ich möchte Full Fathom Five unter keinen Umständen unterstützen, weil sie alles pervertieren, was ich am Lesen großartig finde. Deswegen werde ich die „Lorien Legacies“ nicht weiterverfolgen. Ich werde Full Fathom Five mit sofortiger Wirkung boykottieren.

Ich weiß natürlich, dass mein Boykott weder für James Frey noch für Full Fathom Five einen Unterschied macht. Ich weiß auch, dass FFF vermutlich nicht die einzige Firma in der Buchbranche ist, die sich ethisch fragwürdig verhält. Sie sind nur die einzigen, von denen ich weiß.
Dorothy Must DieIch habe keine andere Möglichkeit, meinen Empfindungen Konsequenzen folgen zu lassen. Ich muss für mich persönlich eine Entscheidung zu treffen. Ich muss bei mir selbst anfangen, selbst wenn es bedeutet, Abstriche zu machen und Mühen auf sich zu nehmen. Irgendwo muss ich eine Grenze ziehen hinsichtlich der Frage, was ich bereit bin, in Kauf zu nehmen und zu akzeptieren.
In Zukunft werde ich jedes englischsprachige Buch, das ich auf meine Wunschliste setzen möchte, mit der Veröffentlichungsliste von Full Fathom Five abgleichen. Was dort zu finden ist, fliegt sofort von meinem Radar, unabhängig davon, wie neugierig ich auf die Geschichte bin. Ich habe bereits meine aktuelle Wunschliste überprüft und „Dorothy Must Die“ (Dorothy Must Die #1) von Danielle Paige kurzerhand gestrichen. Ja, das tat weh. Ja, ich hätte das Buch unheimlich gern gelesen. Aber ich kann es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Meine Abneigung Full Fathom Five gegenüber ist so stark, dass ich lieber auf eine potentiell gute Geschichte verzichte, als ein meiner Meinung nach abartiges Geschäftsmodell zu unterstützen. Ich empfinde dabei keinerlei Genugtuung. Ich empfinde bloß die beruhigende Gewissheit, auch morgen noch in den Spiegel sehen zu können.

Abschließend möchte ich betonen, dass diese Beitragsreihe nicht die Absicht verfolgte, euch zu der gleichen Entscheidung zu zwingen, die ich getroffen habe. Das ist nicht meine Art. Ich bekehre nicht, ich sensibilisiere. Ich fand einfach, dass ihr es wissen solltet. Ihr habt ein Recht darauf, zu erfahren, was ich über James Frey und seine Firma Full Fathom Five herausgefunden habe. Was ihr mit diesem Wissen macht, ist eure Sache. Es ist euch überlassen, ob ihr Konsequenzen daraus zieht oder nicht. Ich verurteile niemanden und ich unterstelle euch auch nicht, dass euer Gewissen nicht ausgeprägt genug ist, wenn ihr entscheidet, dass ihr weiterhin Bücher lesen möchtet, die von Full Fathom Five produziert wurden. Ich verstehe es sogar. Meine einzige Hoffnung ist, dass ich euch ein erhöhtes Bewusstsein vermitteln konnte.
Ich weiß, dass wir Bücherwürmer am liebsten glauben möchten, dass alle Bücher auf eine ähnlich märchenhafte Entstehungsgeschichte wie die „Harry Potter“ – Bände zurückblicken können. Ich erwähnte ja bereits im ersten Beitrag, dass ein Teil von mir wünschte, ich hätte nie erfahren, wer James Frey ist. Leider entspricht das nicht der Realität. Auch die Buchbranche hat eine hässliche Seite und ich finde es wichtig, sich darüber im Klaren zu sein. James Frey und Full Fathom Five sind ein Paradebeispiel für diese Schattenseite. Nicht einmal die wundervolle Welt der Bücher ist fehlerlos.

Alles Liebe,
Elli

P.S.: Falls ihr euch gefragt habt, ob der erwähnte James Frey der gleiche James Frey ist, unter dessen Namen die populäre „Endgame“-Trilogie erschienen ist – ja. Ein und derselbe.

Embed from Getty Images

 

P.P.S.: Goodreads bietet eine praktische Übersicht über die Bücher, die von Full Fathom Five produziert wurden. Diese Liste findet ihr HIER. Auf diese Weise müsst ihr nicht zwangsläufig ihre Website besuchen, denn wir wissen ja, Klicks sind heutzutage bares Geld.

Quellen:
James Frey bei Wikipedia DE
James Frey bei Wikipedia EN
„A Million Little Pieces“ bei Wikipedia EN
Richtigstellung / Entschuldigung von James Frey an seine Leser_innen
Jobie Hughes bei Wikipedia DE
Jobie Hughes Website
I am Number Four bei Wikipedia EN
Lorien Legacies bei Wikipedia EN
Full Fathom Five Website
Suzanne Mozes‘ Website
W.W. Norton & Company, Inc. Website
William Heinemann Website
McCormick and Williams Website
A Million Little Lies: Exposing James Frey’s Fiction Addiction | The Smoking Gun (04.01.2006)
The Awful Untruth | Artikel von Sheelah Kolhatkar für den New York Observer (23.01.2006) – via WebArchive
How Oprahness Trumped Truthiness | Artikel von David Carr für die New York Times (30.01.2006)
James Frey Admits Memoir’s Alterations | Artikel von Hillel Italie für Breitbart.com (01.02.2006) – via WebArchive
Frey settles suits over ‘Million Little Pieces’ | Today (AP Meldung) (12.09.2006)
The man who rewrote his life | Interview mit James Frey von Laura Barton für The Guardian (15.09.2006)
Stephen King on James Frey’s ”Million Little Pieces” | Kommentar von Stephen King für Entertainment Weekly (01.02.2007)
Oprah vs. James Frey | Artikel von für das TIME Magazine (30.07.2007)
Book Deal for Writer Who Fabricated Parts of Memoir | Artikel von Motoko Rich für die New York Times (13.09.2007)
James Frey’s Fiction Factory | Artikel von Suzanne Mozes für das New York Magazine (12.11.2010)
Read the Brutal Contract from James Frey’s Fiction Factory | Daily Intelligencer (12.11.2010)
James Frey forced to defend literary ethics, four years after Oprah attack | Artikel von Ed Pilkington für The Guardian (21.11.2010)
James Frey’s Mug Shot | The Smoking Gun (vermutlich Juli 2011)
How James Frey’s “IP Factory” is Re-imagining Book Packaging | Artikel von Rachel Aydt für Publishing Perspectives (17.01.2013)
Say No To James Frey: Why I’m Boycotting Full Fathom Five | Blogbeitrag von Bibliodaze (07.04.2014) | LEIDER NICHT MEHR ABRUFBAR (Februar 2021)
„US-Präsidenten verzeiht man Lügen eher als mir“ | Artikel von Iris Alanyali für DIE WELT (20.10.2014)

Bewerte diesen Beitrag!