Kapitel 3

Kapitel 3

Mythenschmiede nach Texas-Art

Teil 2

Teil 2

Bevor Robert E. Howard davon träumen konnte, die Literatur zu revolutionieren, musste er sich erst einmal einen Namen machen. Diesen langen, steinigen Weg begann er mit zwei Genres, die ihn sein Leben lang begleiteten: Historische Fiktion und lustige Western im Stil der Tall Tales.

Erste Mythen und Geschichten

Laut einem Brief an seinen Freund und Kollegen H. P. Lovecraft thematisierte die erste Geschichte, die Robert E. Howard jemals schrieb, die Abenteuer eines gewissen Boealf, ein junger, dänischer König, der gegen die Kelten und Sachsen antritt, bevor er sich am Hof von Knut dem Großen niederlässt. Anhand dieser historischen Referenz war die Erzählung demnach im 11. Jahrhundert angesiedelt, denn Knut der Große war in dieser Epoche König über ein großnordisches Reich, das England, Dänemark, Norwegen und Südschweden umspannte.

Außer dieser vereinzelten Erwähnung gegenüber Lovecraft ist über diese Geschichte meines Wissens nach leider nichts bekannt. Sie ist nicht erhalten; weder weiß man, wann Robert sie schrieb noch wie sie hieß oder ob sie überhaupt je existierte. Er hatte vermutlich keinen Grund, seinen Freund anzulügen, aber sicher ist das nicht. Wenn er sie tatsächlich schrieb, ging sie vermutlich im Sand der Zeit verloren. Oder vielleicht auf einem der vielen Umzüge der Familie Howard.

Aufgrund der Informationen, die Robert Lovecraft über diese mysteriöse Geschichte gab, sehen wir, dass die Erziehung seiner Mutter Wirkung zeigte und seine Interessen von Beginn an formte. Hester war die Erste, die ihn mit Historie und Folklore in Kontakt brachte und lenkte seine frühkindliche Bildung in eine bestimmte Richtung. Es ist garantiert kein Zufall, dass sein erster Versuch als Autor im Rahmen der historischen Fiktion geschah.

Ebenso wenig ist es Zufall, dass die erste Geschichte, die er schrieb und an das Pulp Magazin Adventure schickte, als er 15 Jahre alt war (1921), ein humoristischer Western war. „Bill Smalley and the Power of the Human Eye“ war wenig bemerkenswert und wurde zurecht abgelehnt, zeigte aber bereits die Anfänge des charakteristischen Stils, den Robert in seinen späteren lustigen Erzählungen verfeinerte und perfektionierte. Die Merkmale der Tall Tales, mit denen er aufwuchs, sind schon in diesem jugendlichen literarischen Vorstoß deutlich zu erkennen, vor allem in den eingesetzten Übertreibungen und dem unzuverlässigen Erzähler.

Foto von Robert E. Howard, Truett Vinson und Tevis Clyde Smith (1920er Jahre), auf dem sie mit Schwertern posieren

Robert E. Howard, Truett Vinson & Tevis Clyde Smith (vermutlich 1920er Jahre), als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

Obwohl „Bill Smalley and the Power of the Human Eye“ vermutlich in einer Schublade verschwand, ohne jemals wieder hervorgeholt zu werden, hatte Robert nun Blut geleckt. Er wollte Schriftsteller werden und war bereit, hart an sich zu arbeiten und sich mühsam beizubringen, was eine gute Geschichte ausmacht, um sein Ziel zu erreichen.

In der High School in Brownwood lernte er zwei seiner engsten Freunde kennen, Tevis Clyde Smith und Truett Vinson und entdeckte das erste Medium, das es ihm ermöglichte, seine tapsigen Ergüsse zu veröffentlichten. Im Dezember 1922 erschienen in der Schulzeitung The Tattler zwei seiner Geschichten: Die sentimentale, gerechtfertigt unbesungene „Golden Hope Christmas“ und „West is West“, in der Robert erneut auf die Tradition der Tall Tales zurückgriff.

Letztere schildert das Erleben eines unerfahrenen Reitanfängers, dem ein unzähmbares Pferd zugeteilt wird, mit vorhersehbar amüsantem Ergebnis. Dieses Motiv tritt in der Tall Tale – Folklore des Südwestens der USA sehr häufig auf und war für Robert eine Quelle der Inspiration für seine spätere Schöpfung des lustigen Cowboys Breckinridge Elkins, auf den wir noch zu sprechen kommen.

In den Jahren 1922 und 1923 nutzte er The Tattler als Spielwiese und experimentelles literarisches Labor, er schickte aber auch wiederholt Geschichten an Pulp Magazine. Alle wurden abgelehnt.  Irgendwann in dieser Zeit änderte sich die Thematik seiner Geschichten grundlegend. Er nahm Abstand von der netten, lustigen Verarbeitung der lokalen Kultur und begann, seine pessimistischen Ansichten, die sich aus seinem historischen Interesse und seiner Beobachtung des Zeitgeschehens ergaben und die er bereits im Alter von 17 Jahren recht deutlich artikulieren konnte, metaphorisch einfließen zu lassen.

Ich habe keine Erklärung für diese Wandlung gefunden. Niemand konnte mir erläutern, warum er sich auf einmal so weit vom Material der Tall Tales und Western entfernte. Daher muss ich hier auf meine eigenen Schlussfolgerungen zurückgreifen. Ich denke, dass Robert E. Howard am Anfang seiner Bemühungen, Schriftsteller zu werden, glaubte, er müsste schreiben, was das Publikum lesen wollte. Deshalb schrieb er Geschichten, die ihm in seinem Alltag begegneten und von denen er wusste, dass die Leute sie mögen.

Im Laufe seiner Entwicklung begriff er jedoch offenbar, dass er besser und authentischer sein konnte, wenn er über das schrieb, was ihn persönlich beschäftigte. Ich denke, er erkannte, dass das Geheimnis der Schriftstellerei nicht darin liegt, es der Leserschaft rechtzumachen, sondern darin, sie für die eigenen Gedankengänge zu begeistern. Keine Ahnung, ob es wirklich so war, doch es muss irgendeinen Grund dafür gegeben haben, dass er sich 1923 plötzlich anderen thematischen Schwerpunkten widmete, „The Last White Man“ verfasste und anfing, das Volk der Pikten als Held_innen in Betracht zu ziehen.

Aufstieg der Barbaren

„The Last White Man“ wurde glücklicherweise nie veröffentlicht. Es ist meines Wissens die einzige Geschichte von Robert E. Howard, die in der Zukunft spielt und ohne jeden Zweifel ausgesprochen rassistisch. Er porträtiert das Jahr 2000 und inszeniert eine Rebellion der People of Color, deren Zahl bei 600 Millionen liegt, gegen die fett und bequem gewordene weiße Bevölkerung. Auftritt seines Helden, der verdächtig an einen Wikinger erinnert und dessen Aufgabe natürlich in der Rettung der weißen Rasse besteht, was ihm allerdings nicht gelingt.

Nach heutigen Maßstäben ist diese Geschichte abstoßend und inakzeptabel, aber wie wir bereits in seiner Biografie erörtert haben, war sie zu Roberts Lebzeiten durchaus vertretbar und von seiner Seite keineswegs ein Ausdruck systematischen Hasses. Der dargestellte ethnische Konflikt diente ihm lediglich dazu, zum ersten Mal das Motiv des „Aufstiegs der Barbaren“ literarisch zu untersuchen. Mark Finn urteilt, dass sie zusätzlich zu ihrem rassistischen Tenor nicht besonders gut ist, was uns dankenswerterweise vor einer Veröffentlichung bewahrte.

Letztere schildert das Erleben eines unerfahrenen Reitanfängers, dem ein unzähmbares Pferd zugeteilt wird, mit vorhersehbar amüsantem Ergebnis. Dieses Motiv tritt in der Tall Tale – Folklore des Südwestens der USA sehr häufig auf und war für Robert eine Quelle der Inspiration für seine spätere Schöpfung des lustigen Cowboys Breckinridge Elkins, auf den wir noch zu sprechen kommen.

In den Jahren 1922 und 1923 nutzte er The Tattler als Spielwiese und experimentelles literarisches Labor, er schickte aber auch wiederholt Geschichten an Pulp Magazine. Alle wurden abgelehnt.  Irgendwann in dieser Zeit änderte sich die Thematik seiner Geschichten grundlegend. Er nahm Abstand von der netten, lustigen Verarbeitung der lokalen Kultur und begann, seine pessimistischen Ansichten, die sich aus seinem historischen Interesse und seiner Beobachtung des Zeitgeschehens ergaben und die er bereits im Alter von 17 Jahren recht deutlich artikulieren konnte, metaphorisch einfließen zu lassen.

Ich habe keine Erklärung für diese Wandlung gefunden. Niemand konnte mir erläutern, warum er sich auf einmal so weit vom Material der Tall Tales und Western entfernte. Daher muss ich hier auf meine eigenen Schlussfolgerungen zurückgreifen. Ich denke, dass Robert E. Howard am Anfang seiner Bemühungen, Schriftsteller zu werden, glaubte, er müsste schreiben, was das Publikum lesen wollte. Deshalb schrieb er Geschichten, die ihm in seinem Alltag begegneten und von denen er wusste, dass die Leute sie mögen.

Im Laufe seiner Entwicklung begriff er jedoch offenbar, dass er besser und authentischer sein konnte, wenn er über das schrieb, was ihn persönlich beschäftigte. Ich denke, er erkannte, dass das Geheimnis der Schriftstellerei nicht darin liegt, es der Leserschaft rechtzumachen, sondern darin, sie für die eigenen Gedankengänge zu begeistern. Keine Ahnung, ob es wirklich so war, doch es muss irgendeinen Grund dafür gegeben haben, dass er sich 1923 plötzlich anderen thematischen Schwerpunkten widmete, „The Last White Man“ verfasste und anfing, das Volk der Pikten als Held_innen in Betracht zu ziehen.

Aufstieg der Barbaren

„The Last White Man“ wurde glücklicherweise nie veröffentlicht. Es ist meines Wissens die einzige Geschichte von Robert E. Howard, die in der Zukunft spielt und ohne jeden Zweifel ausgesprochen rassistisch. Er porträtiert das Jahr 2000 und inszeniert eine Rebellion der People of Color, deren Zahl bei 600 Millionen liegt, gegen die fett und bequem gewordene weiße Bevölkerung. Auftritt seines Helden, der verdächtig an einen Wikinger erinnert und dessen Aufgabe natürlich in der Rettung der weißen Rasse besteht, was ihm allerdings nicht gelingt.

Nach heutigen Maßstäben ist diese Geschichte abstoßend und inakzeptabel, aber wie wir bereits in seiner Biografie erörtert haben, war sie zu Roberts Lebzeiten durchaus vertretbar und von seiner Seite keineswegs ein Ausdruck systematischen Hasses. Der dargestellte ethnische Konflikt diente ihm lediglich dazu, zum ersten Mal das Motiv des „Aufstiegs der Barbaren“ literarisch zu untersuchen. Mark Finn urteilt, dass sie zusätzlich zu ihrem rassistischen Tenor nicht besonders gut ist, was uns dankenswerterweise vor einer Veröffentlichung bewahrte.

Foto der ehemaligen New Orleans Bibliothek Canal Street

Gebäude in der Canal Street in Mid-City New Orleans, das einst die öffentliche Bibliothek beherbergte (Foto von 2009). Lizenz: Infrogmation of New Orleans, CanalLibraryBeautyCollegeOct09NOLA, CC BY-SA 3.0

Ebenfalls 1923 spielte Robert E. Howard mit dem Gedanken, eine Geschichte zu schreiben, in der das historische Volk der Pikten auftritt. Wir wissen anhand seiner Briefe an H. P. Lovecraft, dass er über die Pikten erstmals 1919 stolperte, als er mit seinen Eltern New Orleans besuchte, weil sein Vater Isaac Howard dort an einer medizinischen Weiterbildung teilnahm. Robert verbrachte scheinbar eine Menge Zeit in der Stadtbibliothek (zu Hause in Cross Plains gab es ja keine) und entdeckte ein Buch, das die britische Geschichte von der Prähistorie bis zur normannischen Eroberung für Schulkinder verdaulich aufrollte.

Robert schrieb, dass er sofort heftige Sympathie für dieses Volk empfand, das vom Autor als verschlagen, hinterhältig und kriegsscheu charakterisiert wurde und sie vom Fleck weg als seine Verbindung zur Antike adoptierte. In seiner Vorstellung waren sie starke, kriegerische Barbaren und er schenkte ihnen einen großen, fiktiven König: Bran Mak Morn. Bran Mak Morn ist demnach eine der ältesten Figuren in Roberts Kanon. Im Oktober 1923 berichtete er seinem Freund Tevis Clyde Smith, dass er an einer Geschichte arbeitete, in der es um die früheren Inkarnationen des Erzählers ging. Eine dieser Inkarnationen war Bran Mak Morn.

Foto der ehemaligen New Orleans Bibliothek Canal Street

Gebäude in der Canal Street in Mid-City New Orleans, das einst die öffentliche Bibliothek beherbergte (Foto von 2009). Lizenz: Infrogmation of New Orleans, CanalLibraryBeautyCollegeOct09NOLA, CC BY-SA 3.0

Er stellte diese Geschichte nie fertig, aber sie beweist, wie früh sich die Idee vergangener Leben in seinen Schriften niederschlug und dass die Pikten, die er später zu einer Metapher des Verhältnisses zwischen Eroberern und Eroberten ausbaute und als „Underdogs der Geschichte“ inszenierte, deren Untergang schicksalhaft vorgezeichnet war, schon in seiner Jugend durch seine Gedanken spukten.

Robert knackt Weird Tales

Seinen ersten Erfolg als Schriftsteller bescherten ihm allerdings nicht die Pikten, sondern ein actionreicher Kampf zwischen Cro-Magnon-Mensch und Neandertaler um eine schöne Frau. „Spear and Fang“ schrieb Robert 1924 und schickte sie, gemeinsam mit einigen anderen Erzählungen, im Sommer vor seiner Ausbildung zum Stenografen in Brownwood an diverse Pulp Magazine. In der Woche vor Thanksgiving erhielt er ein Antwortschreiben des Herausgebers von Weird Tales, Farnsworth Wright, dass die Geschichte akzeptiert wurde. Es erübrigt sich wohl, zu erläutern, wie bedeutsam dieser Schritt war.

Kurz nach Weihnachten erwartete ihn gleich die nächste schöne Überraschung: Wright wollte auch „The Hyena“ drucken und zeigte Interesse an „The Lost Race“, in der die Pikten nun endlich ihren großen Auftritt hatten, verlangte allerdings ein paar Änderungen. Da Mark Finn sich nicht zum Schreibprozess dieser Werke äußert und der Zeitpunkt passt, nehme ich an, dass sie beide zu dem Stapel gehörten, den Robert im Sommer abgeschickt hatte.

Wrights Rückmeldung war jedoch nicht nur aufgrund der Annahmen wichtig für ihn, sondern auch, weil er nun erste Anhaltspunkte erhielt, was sich auf dem Pulp-Markt verkaufen ließ. Er bekam ein Feedback. Bisher hatte er in den blauen Dunst geschrieben und lediglich aus der Position des Lesers heraus vermuten können, wonach die Magazine suchten. Jetzt erfuhr er aus erster Hand, was funktionierte und wie er die Bedürfnisse des Marktes umsetzen konnte, während er sich selbst treu blieb. Dass er „The Lost Race“ in der überarbeiteten Fassung im Januar 1925 an Weird Tales verkaufte, ist ein Zeugnis dieses Prozesses.

Cover von Weird Tales vom April 1926

"Wolfshead" als Coverfeature von Weird Tales im April 1926, mit freundlicher Genehmigung von Galactic Central

Bis 1927 hatte Robert leider weniger Gelegenheit, sein neuerworbenes Wissen anzuwenden, als ihm lieb war. Mit seinem Abschluss in Stenografie in der Tasche begann er im Frühling 1925, in Cross Plains und Umgebung zu arbeiten. Er durchlief innerhalb weniger Monate nicht weniger als sieben verschiedene Jobs, um seine Ausgaben zu decken. Diese Stellen raubten ihm Zeit und Kraft, die er lieber in das Schreiben investiert hätte. Er verkaufte Wright die unheimliche Werwolfgeschichte „In the Forest of Villefère“ und die Fortsetzung „Wolfshead“, die von der legendären Bestie des Gévaudan und der französischen Folklore um Werwölfe inspiriert waren, darüber hinaus verzeichnet Mark Finn keine Verkäufe.

Im August 1926 ließ Robert sich auf eine Vereinbarung mit seinem Vater ein und kehrte ans College in Brownwood zurück, um einen Buchhalter-Kurs zu absolvieren. An der Howard Payne Business School nutzte er erneut die Schulzeitung – diesmal The Yellow Jacket – für schriftstellerische Experimente mit humoristischer Literatur. Er versuchte sich an modernen, umgangssprachlichen Dialogen und verließ sich abermals auf die Strukturen der Tall Tales, um seine Leserschaft zu erheitern.

Eine dieser Geschichten ist seine erste erhaltene Box-Erzählung „Cupid vs. Pollux“, für die er sich selbst (unter dem Namen Steve) und seinen Freund Lyndsey Tyson (Spike) als Figuren einsetzte und karikierte. Steve und Spike trainieren für einen wichtigen Kampf, Spike ist allerdings abgelenkt, weil er unsterblich verliebt ist.

Daraus ergeben sich amüsante Situationen, die Robert aus der Ich-Perspektive von Steve schildert. Die überspitzte Darstellung seiner selbst und seines Freundes Tyson, die Entscheidung für die Ich-Perspektive und die Pointe am Ende der Geschichte sind Merkmale aus dem Lehrbuch der Tall Tales. Dennoch vergingen noch zwei Jahre, bis er seine Tall Tales kommerziell etablierte.

Nach seiner Ausbildung zum Buchhalter erhielt Robert E. Howard von seinem Vater ein Jahr Zeit, um den (finanziellen) Durchbruch als Autor zu schaffen. Dieses Unterfangen begann er im August 1927 mit der Geschichte „The Shadow Kingdom“, die er in der Vergangenheit mehrfach umgeschrieben hatte, im September desselben Jahres fertigstellte und an Weird Tales schickte. Entgegen seiner späteren Behauptungen, alle Geschichten um König Kull wären ihm zugeflogen, war der erste Auftritt dieser Figur, die in gewisser Weise als Vorgänger von Conan bezeichnet werden kann, also kein Spaziergang und verlangte Robert eine Menge Arbeit ab. Nicht überraschend, schließlich begründete er damit ein neues Genre: Die Sword and Sorcery.

König Kull: Pionier der Sword and Sorcery

„The Shadow Kingdom“ stellt Leser_innen König Kull vor und ebnet den Weg für die Konflikte, mit denen er in all seinen Abenteuern konfrontiert ist. König Kull ist ein atlantischer Barbar und Exilant, der seit kurzem über das fiktive antike Reich Valusia herrscht, dessen Glanzzeit längst vergangen ist. In den 1920ern wurde das legendäre versunkene Atlantis aufgrund archäologischer Entdeckungen (1922 grub Howard Carter das Grab von Tutanchamun aus) und der Fortschritte in der Kartierung der Erde gesellschaftlich heiß diskutiert. Indem Robert E. Howard einen Bezug zwischen Valusia und Atlantis herstellte, gab er seinen Leser_innen einen konkreten Rahmen für Kulls Regentschaft: Valusia war bereits alt, als Atlantis noch keine hochentwickelte Kultur war.

Nach Roberts Logik bedeutete das natürlich, dass die Nation langsam verrottete und angreifbar wurde. Demzufolge thematisieren die meisten Kull-Geschichten Verrat, Intrigen und mehr oder weniger subtile Komplotte, ihm seinen Thron zu entreißen. In „The Shadow Kingdom“ muss Kull Valusia mit seinem Schwert gegen übernatürliche Schlangenmenschen verteidigen, die planen, die Menschheit zu unterwandern und von innen zu zerstören. Die Inspiration für die fantastischen Elemente in Kulls actionreichen Abenteuern fand Robert wahrscheinlich in der Bibel und in den Schriften der Heimbibliothek seines Vaters, der stets bemüht war, sich als Arzt weiterzubilden und sich dafür auch bereitwillig mit unkonventionellen, esoterischen Ansätzen beschäftigte.

Kull erkennt, dass er niemandem trauen kann – außer dem anderen Barbaren der Geschichte, dem piktischen Krieger Brule, obwohl Valusia eigentlich mit den Pikten verfeindet ist. Im Kontext der Kull-Geschichten untersuchte Robert das Motiv des Aufstiegs der Barbaren also aus einem anderen Blickwinkel als im unrühmlichen „The Last White Man“: dieses Mal sind die Barbaren nicht das Problem, sondern die (temporäre) Lösung.

Kull ist ein nachdenklicher Held, dessen grüblerische Ausstrahlung die Erzählungen prägt. Er reflektiert oft den Widerspruch zwischen seiner Rolle als König einer Zivilisation und den barbarischen, gewalttätigen Mitteln, die er einsetzen muss, um diese Zivilisation und seine Rolle darin zu schützen. Er hinterfragt seine Identität als Teil einer Gesellschaft, in der er immer abseitssteht, weil er weniger kultiviert, weniger zivilisiert ist, deren Fortbestehen er aber genau deswegen zu sichern vermag. Seine Regentschaft ist dementsprechend nicht nur äußerlich konfliktbehaftet, sondern auch innerlich.

Kulls Zerrissenheit kann als Manifestation des Selbstfindungsprozesses gedeutet werden, den Robert E. Howard in dieser Phase durchlebte. Seine Korrespondenz aus dieser Zeit zeigt, dass er versuchte, herauszufinden, wer er war, was ihn antrieb und wo sein Platz in der Welt und Cross Plains war. Durch sein Interesse für die noch junge Disziplin der Psychologie war ihm damals überaus bewusst, dass er aus seiner Erlebens- und Gedankenwelt nicht ableiten konnte, was in anderen Menschen vorging und er Wege erkunden musste, mit dieser Diskrepanz umzugehen. Kull spiegelt all das wider und ist dadurch die vermutlich introspektivste Figur in Roberts Gesamtwerk.

Leider war Farnsworth Wright von der Mischung aus tiefsinniger Selbstreflexion und handfester Action eher mäßig beeindruckt. Von den sechs Kull-Geschichten, die Robert 1927 schrieb, kaufte Wright lediglich zwei für Weird Tales, „The Shadow Kingdom“ und „The Mirrors of Tuzun Thune“. Der Rest wurde erst nach Roberts Tod veröffentlicht. Sein erster Versuch, eine Serienfigur zu etablieren, schlug demnach fehl, doch das hielt Robert selbstverständlich nicht auf. Anfang 1928 arbeitete er bereits an der nächsten Geschichte, in der er erneut mit seinem Konzept der Sword and Sorcery experimentierte, die sich inhaltlich jedoch stark von König Kull unterscheidet.

Solomon Kane: Rächer der Unterdrückten

Cover der Weird Tales Ausgabe vom August 1928

"Red Shadows" als Coverfeature von Weird Tales im August 1928 © Galactic Central

Die Abenteuer des Solomon Kane sind im 16. Jahrhundert angesiedelt und somit sowohl weniger antik als auch weniger fantastisch, obwohl Magie dennoch ein Teil der Welt der Hauptfigur ist. Unser Held Solomon Kane ist ein puritanischer Schwertkämpfer, der um den Globus reist, für Gerechtigkeit eintritt, Unschuldige schützt und Schuldige bestraft. Er ist ein selbsternannter Rächer, der Inbegriff der Selbstjustiz und folgt ausschließlich seinem eigenen moralischen Kodex.

In seinem ersten Abenteuer, das Robert ursprünglich für Argosy konzipierte, dann allerdings unter dem Titel „Red Shadows“ im August 1928 bei Weird Tales erschien, jagt Kane den Anführer einer Piratenbande bis nach Afrika. Im Dschungel verbündet er sich mit einem Hexendoktor, der ihn magisch dabei unterstützt, seinen Feind zu stellen. Es wird viel gekämpft, Blut spritzt, die Gerechtigkeit obsiegt. Die Handlungsstruktur ist im Großteil der Solomon Kane – Geschichten ähnlich und dementsprechend recht simpel, einige Details sind jedoch durchaus bemerkenswert.

Kane durchlebt die meisten seiner Abenteuer in Afrika und setzt sich dort für die indigene Bevölkerung ein. Seine Gegner sind überwiegend weiße Europäer. Als Verbrecher, Piraten und ganz allgemein Gesetzlose sind sie Produkte des Degenerationsprozesses der Zivilisation, die die urtümliche afrikanische Stammeskultur bedrohen.

Cover der Weird Tales Ausgabe vom August 1928

"Red Shadows" als Coverfeature von Weird Tales im August 1928 © Galactic Central

Die Geschichten um Solomon Kane beleuchten den Konflikt zwischen Zivilisation und Barbarei demzufolge aus einem wieder anderen Blickwinkel: die Barbaren müssen gegen die Auswüchse einer faulenden Zivilisation geschützt werden. Auf den ersten Blick ist Kane ebenfalls ein Vertreter dieser Zivilisation, bei genauerer Betrachtung wirkt er hingegen eher wie ein Grenzgänger, der zwischen beiden Welten steht.

Robert inszenierte Kane als Puritaner, was ihm theoretisch einen spezifischen Verhaltensrahmen diktiert, er verstößt jedoch ständig gegen puritanische Glaubensgrundsätze. Weder dürfte er Toleranz für die „heidnischen“ Religionen der afrikanischen Völker aufbringen noch sollte er Gewalt zur Friedensstiftung anwenden. Durch diesen Widerspruch und seine Wertvorstellungen qualifiziert sich Kane beinahe selbst als Barbar, der weit mehr mit denjenigen gemeinsam hat, die er verteidigt, als mit denjenigen, gegen die er antritt, obwohl sie eine Herkunft teilen.

Solomon Kane ist jedoch nicht nur eine weitere Spielart des Motivs „Zivilisation vs. Barbarei“, sondern auch Robert E. Howards Antwort auf den Ölboom in seiner texanischen Heimat. Laut seiner Korrespondenz kam Robert die Idee für Solomon Kane, als er 16 Jahre alt war. Damals, 1922, befand sich Cross Plains voll und ganz in den Fängen des schwarzen Golds. Wie wir wissen, hasste Robert die Ölindustrie, die seine Stadt seiner Meinung nach ausbeutete und hätte gern etwas dagegen unternommen.

Dass er sich ausgerechnet in dieser Phase Solomon Kane ausdachte, der Verbrechen straft und seine persönliche Auffassung von Gerechtigkeit kompromisslos und knallhart durchsetzt, war sicher kein Zufall. Es fällt gar nicht schwer, sich Kanes Gegner als metaphorische Spiegelbilder all der Menschen vorzustellen, die im Windschatten des Öls Kriminalität, Gewalt und Unruhe nach Cross Plains brachten.

Verbalisiert Kane seinen Gerechtigkeitssinn, erinnert er darüber hinaus verdächtig an eine männliche Autoritätsperson in Roberts Leben: Seinen Vater, Dr. Isaac Howard. Dr. Howard neigte dazu, jeglichen Groll mit sehr deutlichen Worten auszudrücken. Er regte sich schnell auf, war nachtragend und ruppig und verlangte oft nach nahezu biblischen Vergeltungsmaßnahmen. Kanes Persönlichkeit weist dieselben Eigenschaften auf. Äußerlich ist er Isaac mit seinen dunklen Haaren, den eisblauen Augen und der dunklen Kleidung ebenfalls ähnlich. Man darf demzufolge annehmen, dass Robert seinen Vater als Inspiration nutzte.

Es ist interessant, dass Roberts Freunde und Bekannten hingegen urteilten, dass Solomon Kane ihm selbst von all seinen Figuren am ähnlichsten war. Meiner Ansicht nach heißt das im Umkehrschluss, dass Vater und Sohn definitiv viele Gemeinsamkeiten hatten. Der Äpfel fällt eben nicht weit vom Stamm.

Ich kann leider keine exakte Aussage darüber treffen, wie lange Robert sich mit Solomon Kane beschäftigte und wie viele Geschichten er schrieb. Mark Finn geht auf diese Fragen in „Blood & Thunder“ nicht ein, deshalb kann ich mich lediglich an Roberts Bibliografie, wie sie bei Wikipedia verzeichnet ist, orientieren. Zu seinen Lebzeiten verkaufte er sieben Kane-Geschichten, die bis einschließlich Juli 1932 in Weird Tales veröffentlicht wurden. Erhalten sind außerdem einige Fragmente und Gedichte. Das heißt allerdings nicht, dass Robert auch bis 1932 an Solomon Kane arbeitete, denn die schwer nachvollziehbare Veröffentlichungspolitik von Weird Tales lässt solche Ableitungen nicht zu. Es ist möglich, dass einige der Manuskripte jahrelang in einer Schublade von Farnsworth Wright auf ihr Erscheinen im Magazin warteten.

Ebenso möglich ist es, dass Robert weit mehr Geschichten um seinen düsteren Rächer verfasste, die er dann nie abschickte, die abgelehnt wurden oder deren Ausgangsmaterial er später für andere Erzählungen verwendete. Persönlich vermute ich, dass er sich 1930 neuen Projekten zuwandte und Kane zu seinen Akten legte. In dieses Jahr fielen der Beginn seiner Brieffreundschaft mit H. P. Lovecraft, der unermesslichen Einfluss auf sein Werk hatte und die Erstausgabe von Oriental Stories; es erscheint mir deshalb logisch, dass er um diese Zeit herum das Bedürfnis hatte, andere Konzepte, Strukturen und Genres zu erkunden. Ich möchte jedoch hervorheben, dass es sich hierbei ausschließlich um eine Mutmaßung von meiner Seite handelt, für die ich keine Belege gefunden habe.

Schreib doch mal was ohne Magie und Monster

Robert E. Howard hatte ein Händchen und ein Faible für fantastische Literatur. Sobald er begriff, wie überzeugend und produktiv er die Themen und Motive, die ihn beschäftigten, als Metaphern in einem mehr oder weniger fantastischen Kontext einsetzen konnte, nutzte er sie häufig, um seine Weltsicht indirekt darzulegen. Nichtsdestotrotz gab er die realistische(re) Fiktion nie auf.

1928 drängten ihn seine Freunde, endlich auch mal Geschichten ohne Magie und Monster zu verfassen. Ich kann mir ihre Vorwürfe lebhaft vorstellen. Robert war die Meinung seiner Freunde wichtig, ganz egal, wie oft er sich als Einzelkämpfer inszenierte. Keiner dieser frühen Versuche wurde zu seinen Lebzeiten veröffentlicht, aber darunter sind zwei Werke, die durch zwei Besonderheiten ins Auge stechen: Robert schrieb Cross Plains und sich selbst in die Geschichten.

„Spanish Gold on Devil Horse” ist ein moderner, ernsthafter Western, der eine Schatzsuche, Schmuggeldrama und eine Dame in Nöten kombiniert. Die Erzählung spielt in einer ehemaligen Öl-Boomtown, die den recht eindeutigen Namen Lost Plains trägt und in einer Gegend liegt, deren geografische Merkmale stark an die Umgebung von Cross Plains erinnern. Inhaltlich ist sie laut Mark Finn kaum der Rede wert, unter anderem, weil Roberts Alter Ego Mike Costigan ein bisschen zu sehr nach Wunschtraum riecht: Er ist mit nicht einmal 30 Jahren ein sehr erfolgreicher Schriftsteller und wird in seiner Heimatstadt für seine Arbeit anerkannt und geschätzt.

Doch in der Konstruktion des Settings gelang es Robert, die Realität einer texanischen Kleinstadt zu seiner Zeit präzise abzubilden. Vor allem arbeitete er die Gegensätzlichkeit von Fortschritt und Rückständigkeit authentisch heraus. Im Rahmen einer Analyse von Robert E. Howard als texanischer, regionaler Autor stellt „Spanish Gold on Devil Horse“ deshalb einen entscheidenden Entwicklungsschritt dar, denn literarisch exakt zu beschreiben, was er tagtäglich sah, ohne Metaphern zu verwenden, war neu für ihn.

Das zweite Werk war Roberts erster Versuch, ein ganzes Buch zu schreiben. „Post Oaks and Sand Roughs“ wurde erst nach seinem Tod veröffentlicht und betitelt; ich weiß nicht, ob er das Manuskript je an Verlage schickte. Es handelt sich um eine Art fiktionalen Enthüllungsroman, der lose auf Roberts Erfahrungen mit dem Ölboom in Cross Plains von seinem 18. bis zu seinem 21. Lebensjahr basiert. Sein Alter Ego heißt Steve Costigan, ein Name, der uns später noch mehrfach begegnen wird.

Vielleicht lag es am Thema, vielleicht befand sich Robert in keiner guten Verfassung, als er sich Ende 1928 an die Schreibmaschine setzte – was auch immer der Grund war, „Post Oaks and Sand Roughs“ ist Mark Finn zufolge ein äußerst negatives Buch, das um Roberts Hass auf den Ölboom kreist und in dem er mit allen Menschen seines Umfelds harsch ins Gericht ging, sogar mit seinen engsten Freunden. Steve Costigan stemmt sich als moderner Barbar gegen eine verabscheuungswürdige Zivilisation, die ihn grundsätzlich unfair und respektlos behandelt. Er ist der Einzige, der beurteilen kann, was richtig und gerecht ist, womit sich Robert eine anmaßende Deutungshoheit zuschreibt.

Das Buch ist eine der unrühmlicheren Stationen seiner Karriere und ist wahrscheinlich höchstens insofern wertvoll, als dass es eine Einschätzung zulässt, wie Robert die vielen Jobs empfand, die er erfüllte, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Ich glaube Mark Finn, wenn er urteilt, dass Robert nicht sehr gut darin war, sich selbst direkt und objektiv zu porträtieren.

Header-Bildquellen

  • Wild West – Landschaft: Seita/Shutterstock.com

  • Schwert im Felsen: KUCO/Shutterstock.com

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