Abschiedsschmerz, Wehmut und tiefe Liebe

Erfahrungsbericht zum Reread von „Harry Potter und Die Heiligtümer des Todes“

Am 27. Oktober 2007 endete eine Ära. Der letzte Band der „Harry Potter“ – Reihe erschien auf dem deutschen Markt. Ich war damals 18 Jahre alt. Ich werde euch nicht anlügen. Ich werde nicht behaupten, ich hätte Erinnerung daran, wie ich diese erste Lektüre des Finales empfand. Natürlich gibt es diverse kurze Gefühlsfetzen, die ich mit „Harry Potter und Die Heiligtümer des Todes“ verbinde, aber ich kann keine allgemeine Einschätzung meiner damaligen Leseerfahrung anbieten. Ich weiß es wirklich nicht mehr. Ich glaube jedoch, dass sich meine Emotionen nicht allzu stark davon unterschieden, was ich heute vor dem Reread des siebten Bandes empfand. Wehmut. Abschiedsschmerz. Neugier. Aufregung.

Rowling Joanne K. Harry Potter und Die Heiligtuemer des Todes Harry Potter

Als ich „Die Heiligtümer des Todes“ am 01. April 2017 aus dem Regal zog, war ich definitiv nervös. Ich zweifelte nicht daran, dass mir das Finale noch immer gefallen würde, doch ich sorgte mich, was die Lektüre mit mir anstellen würde. Dumbledores Tod am Ende von „Der Halbblutprinz“ zerstörte mich; selbst nach all den Jahren weinte ich fürchterlich und hatte Mühe, meiner Trauer Herr zu werden. Ich wusste, dass in „Die Heiligtümer des Todes“ weitere Todesfälle auf mich warteten und die Handlung des letzten Bandes insgesamt viele äußerst traurige Momente beinhaltet. Ich wusste, dass die Lektüre eine emotionale Herausforderung sein würde.

Trotz dessen führte natürlich kein Weg daran vorbei und ich wollte Harry ja auch bei seinem letzten großen Abenteuer begleiten. Der Reread war so gut wie abgeschlossen. Fast ein Jahr hat es Marina aka DarkFairy und mich gekostet, uns noch einmal durch Harrys Geschichte zu lesen. Es war eine wundervolle Erfahrung, die nun kurz vor ihrer Vollendung stand. Ich war es Harry schuldig, mich an seiner Seite ein letztes Mal zusammenzureißen und mutig seinem Schicksal zu begegnen, um endlich das Happy End erleben zu können, das wir beide verdienten.

Ich kann nicht leugnen, dass ich von Vornherein aufgewühlt war und meine Gefühle verrücktspielten. Ich reagierte bereits auf die rührende blitzförmige Widmung und die Zitate von Aischylos und William Penn zu Anfang des Buches empfindlich und musste heftig schlucken, um mich wieder unter Kontrolle zu kriegen. Für mich war es daher hilfreich, dass „Die Heiligtümer des Todes“ nicht mit Harry beginnt, sondern mit Lord Voldemort im Haus der Malfoys. Marina hatte mich auf diese erste Szene vorbereitet, da sie mit dem Reread einen Tag eher gestartet war, dadurch war ich nicht überrascht, obwohl ich dieses Detail vergessen hatte.

Ich fand es interessant, wie sehr sich die Gefühle der Malfoys für ihren finsteren Meister verändert haben. Mir ist es früher nie aufgefallen, aber Lucius Malfoy ist nicht gerade ein Vorzeige-Todesser. Man weiß selbstverständlich nicht, wie sein Verhältnis zu Voldemort vor dessen Fall war und offiziell ist er dem dunklen Lord treu ergeben, doch ich denke, seine Loyalität ist zum Zeitpunkt des letzten Bandes kaum mehr als ein reines Lippenbekenntnis, das aus Angst geboren wird. Meiner Ansicht nach ist Lucius schon lange nicht mehr von den Zielen und Plänen Voldemorts überzeugt, weil sie seinen eigenen Ambitionen zuwiderlaufen. Oh, natürlich nutzte er sein furchteinflößendes Image als Ex-Todesser all die Jahre aus, um seine Karriere voranzutreiben und bemühte sich nach Kräften, das Bild des skrupellosen Zauberers mit einem Hang zu schwarzer Magie zu pflegen, doch das bedeutet ja noch lange nicht, dass er die alten Zeiten zurücksehnte.

War Lucius vielleicht gar nicht besonders glücklich über Voldemorts Rückkehr? Als er das dunkle Mal auf seinem Arm brennen spürte, muss er gewusst haben, dass die fetten Jahre vorbei sind. Nicht nur konnte er nicht sicher sein, dass Voldemort ihm verzeiht, behauptet zu haben, unter dem Imperius-Fluch gestanden zu haben, ihm muss auch klar gewesen sein, dass er erneut würde dienen müssen, wollte er das Leben seiner Familie nicht aufs Spiel setzen. Ich denke nicht, dass diese bittere Pille leicht zu schlucken war. Lucius Malfoy war ohne Voldemort besser dran und ich glaube, das ist ihm selbst schmerzlich bewusst, genauso wie seiner Frau Narzissa.

Narzissa Malfoy stammt aus einer Familie (den Blacks), die die Sache des dunklen Lords stets unterstützte. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet sie sich eines Tages in einer ähnlichen Situation wiederfinden würde wie Lily Potter vor ihrem Tod? Als sich Voldemort gegen die Malfoys wendet, weil sie ihn seiner Meinung nach enttäuschten, spielen politische Ansichten für Narzissa plötzlich keine Rolle mehr. Sie ist nicht länger die Ehefrau eines Todessers. Sie ist keine radikale Reinblüterin mehr. Sie ist nur noch eines: Eine Mutter, die ihr Leben geben würde, um ihren Sohn zu schützen.

Dass besagter Sohn ein widerliches Ekel von einem Frettchen ist, tut hierbei nichts zur Sache, sie liebt ihn, wie eben ausschließlich eine Mutter lieben kann. Obwohl Narzissa in „Die Heiligtümer des Todes“ kaum präsent ist, sind ihre kurzen Auftritte von einer greifbaren Verzweiflung geprägt, die vermutlich auch nur eine Mutter dermaßen überzeugend und realistisch herausarbeiten konnte. Das ist beeindruckend. Ich habe keine Kinder, aber ich hatte Mitleid mit Narzissa, weil ich verstehe, wie sie empfinden muss. Mir ist klar, dass sie mein Mitgefühl nicht verdient, doch ihre Verwandlung von einer Eiskönigin zu einem menschlichen Wesen erreichte mich dennoch.

Nach diesem ersten Kapitel ging es für mich emotional steil bergab. Meine weinerliche Grundstimmung vertrug sich nicht mit den dramatischen Ereignissen der ersten 100 Seiten. Ich hatte vergessen, wie traurig die Handlung von „Die Heiligtümer des Todes“ beginnt und war nicht im Mindesten bereit dafür.

Wir begegnen Harry wie immer im Ligusterweg Nummer 4 – doch dieses Mal ist alles anders. Die Dursleys planen ihre Abreise, weil Harrys Volljährigkeit naht und der Schutzzauber, der ihr Haus all die Jahre vor Lord Voldemorts Blicken verbarg, mit seinem 17. Geburtstag seine Wirkung verliert. Sie müssen so weit weg von Harry wie nur möglich, um zu vermeiden, dass sie seinetwegen in Gefahr geraten. Betreten stehen sie während des Abschieds voreinander, ohne sich etwas zu sagen zu haben. Wenn das nicht tragisch ist … Ich hätte mich erinnern müssen, dass sich weder Vernon noch Petunia dazu überwinden können, auch nur ein freundliches Wort für Harry zu erübrigen, aber ich wünschte es ihm so sehr, dass ich die leise, piepsige Stimme meines Gedächtnisses ignorierte.

Dudley hingegen erfüllte meine Hoffnungen. In Dudleys zugegebenermaßen überschaubarem Hirn kam offenbar nicht an, dass Harry sie nicht in den magisch überwachten Zeugenschutz begleiten wird. Er reagiert auf diese „Neuigkeit“ mit einem entsetzen Unverständnis, das ich ganz zauberhaft fand. Die Selbstverständlichkeit, mit der er davon ausging, dass sie zusammenbleiben würden, ist ein versehentliches Eingeständnis von Zuneigung, das ich Dudley niemals zugetraut hätte. Möglicherweise sind seine Gefühle für Harry weitaus komplizierter, als die vorangegangenen Bände vermittelten. Trotz all ihrer Konflikte gehörte Harry doch von Kindesbeinen an zu Dudleys Leben und im Gegensatz zu seinen Eltern hinterfragte er Harrys Platz in ihrer Familie niemals. Ja, er ärgerte ihn. Man kann sicher von Mobbing sprechen. Aber tief in seinem Herzen scheint er Harry auf seine eigene, verdrehte Art zu akzeptieren. Und wer weiß, vielleicht bleiben sie als Erwachsene ja sogar in Kontakt. Marina und ich halten das jedenfalls für wahrscheinlicher, als eine plötzlich entdeckte Nähe zu Vernon und Petunia.

Harry selbst wird von den Mitgliedern des Ordens des Phönix abgeholt und in einem beispiellosen Täuschungsmanöver in ein sicheres Versteck gebracht: den Fuchsbau. Die Reise dorthin ist alles andere als ungefährlich, da Voldemort und seine Todesser nur darauf lauern, dass Harry sich zeigt. Unter dem recht großen Kommando, das sich in Petunias klinisch geputzter Küche einfindet, ist natürlich auch Tonks, die erst kürzlich unseren Lieblingswerwolf Remus Lupin heiratete. Ich war, ähnlich wie Marina, immer ein bisschen beleidigt, dass Joanne K. Rowling ihre Leser_innen bei dieser Hochzeit nicht dabei sein ließ. Wieso Bill und Fleur, aber nicht Tonks und Lupin, zu denen ich eine viel intensivere Bindung habe? Heute sehe ich das deutlich entspannter, vor allem weil ich glaube, dass Rowling mit Bedacht versuchte, eben diese Bindung sanft ein wenig aufzulösen. Aber dazu später mehr.

Mithilfe des berüchtigten Vielsafttranks verwandelt sich die Hälfte von Harrys Eskorte in Abbilder seiner Person (wie bizarr) und schon sind die Zweiergrüppchen fertig zur Abreise. Ich erinnerte mich an diesen turbulenten Flug. Ich wusste, dass alles schiefgehen würde, was nur schiefgehen konnte. Mir grauste vor dieser Unausweichlichkeit. Trotzdem ging die Bedeutung von Harrys Reisepartner nicht an mir verloren: er fliegt mit Hagrid auf Sirius‘ magisch modifizierten Motorrad. Der Kreis schließt sich; ich fand es großartig, dass Harry nun als Quasi-Erwachsener erneut an Hagrids Seite auf dieser Höllenmaschine unterwegs ist, wie bereits damals als Baby. Ein schönes Detail.

Die Gruppe hebt geschlossen ab, doch kaum dass sie den Himmel erreicht haben, werden sie von Todessern angegriffen. Es entbrennt ein erbitterter Kampf, den nicht alle unbeschadet überstehen. Ich nahm fälschlicherweise an, sie seien von Kingsley unter Einfluss des Imperius-Fluchs verraten worden, weil ich mir anders nicht erklären konnte, wie die Todesser von Harrys Abreise erfahren haben sollten. Ich weiß nicht, warum ich ausgerechnet Kingsley verdächtigte und mir mein Gedächtnis steif und fest vorgaukelte, ihm sei nicht zu trauen. Später stellt sich heraus, dass diese Information auf völlig anderen Wegen in Voldemorts Hände gelangte und Kingsley nicht das Geringste damit zu tun hatte. Sorry.

Tatsächlich war der Verrat sogar notwendig, um Harrys Flucht überhaupt zu ermöglichen. Nichtsdestotrotz fordert der Kampf am Himmel bedeutende Opfer. Hedwig, Harrys treue Schneeeule, wird von einem Avada Kedavra – Fluch getroffen und kippt tot aus dem Beiwagen des Motorrads. Snape sprengt George Weasley ein Ohr weg. Voldemort geht direkt auf Mad-Eye Moody los und erwischt ihn mit einem Fluch mitten im Gesicht. Harry selbst kann sich nur mit knapper Not in die Sicherheit der Schutzzauber auf Tonks‘ Elternhaus retten und schafft es via Portschlüssel einigermaßen unversehrt in den Fuchsbau.

Das Warten auf das Eintreffen der einzelnen Gruppen im Fuchsbau fand ich grauenvoll. Mir war angst und bange, weil ich nicht mehr wusste, wer überlebt und wen es erwischt. Ich war todunglücklich. Ich fühlte mich resigniert, als hätte ich nicht mehr genug Hoffnung übrig, um daran zu glauben, dass alles gut wird. Die angespannte Atmosphäre dieser Szenen übertrug sich voll und ganz auf mich. Als ich erfuhr, dass Moody ermordet wurde, starb etwas in mir. So viele wurden in dem verzweifelten Kampf gegen Voldemort nun bereits getötet, dass ich das Gefühl hatte, es hört nie auf. Ich kam mir klein und unbedeutend angesichts dieses skrupellosen, scheinbar übermächtigen Feindes vor und wollte mich nur noch verkriechen. Auch hatte ich den Überblick verloren, wer alles zu Harrys Eskorte gehörte und konnte mich daher über die Neuankömmlinge nicht so recht freuen, weil ich permanent erwartete, gleich eine weitere Hiobsbotschaft zu erhalten. Erst ganz am Ende, als klar wird, dass der Großteil seines Schutzkommandos überlebt hat, konnte ich die Erleichterung zulassen.

Ein Thema, das während der Wartezeit alle beschäftigt, ist Voldemorts Fähigkeit, ohne Hilfsmittel zu fliegen. Marina merkte an, dass ihre Verwunderung über dieses Kunststück ein deutlicher Hinweis auf die Macht des dunklen Lords ist. Offenbar ist es selbst in der magischen Welt ungewöhnlich, weder auf Besen, Thestrale, fliegende Teppiche oder was auch immer zurückgreifen zu müssen, um durch die Lüfte zu segeln. Mich persönlich interessiert daran vor allem die theoretische, technische Seite. Wie macht er das? Ich gehe zwar davon aus, dass Voldemort kaum mehr als eine Fliege wiegt, da sein wiedererlangter Körper ja stets als… nun ja, halb verhungert beschrieben wurde (Mal so nebenbei, man sieht Voldemort nie essen, muss er überhaupt noch Nahrung zu sich nehmen?), aber die Schwerkraft ist und bleibt ein Faktor, der auch auf ihn Einfluss haben müsste. Wie trickst er sie aus?

Als Sirius‘ Motorrad auf Harrys Flucht abstürzt, versucht er, den Beiwagen mithilfe von Wingardium Leviosa in der Luft zu halten – ein Schwebezauber, den er bereits in seinem ersten Schuljahr im Zauberkunstunterricht erlernte. Der Zauber hilft ihm jedoch lediglich, seinen Fall kurzzeitig aufzuhalten, an eine Steuerung ist nicht zu denken. Das heißt für mich im Umkehrschluss, dass Voldemort keinen Schwebezauber verwendet, um zu fliegen, denn er ist durchaus in der Lage, seinen Flug nach Belieben zu lenken. Vielleicht ist es eine Verbindung verschiedener Zauber: eine Reduktion seines ohnehin geringen Gewichts kombiniert mit der Manipulation der Luftströmungen. In diesem Fall bräuchte er bloß eine Art Initialzündung, die ihn nach oben katapultiert, was eine seiner leichtesten Übungen sein sollte.

Ich habe mittlerweile den Eindruck, dass Voldemort ein Meister darin ist, Zauber beiläufig über einen längeren Zeitraum aufrecht zu erhalten. Er scheint in der Lage zu sein, einen Teil seines Bewusstseins abzuspalten, um gewisse Zauber permanent weiterbrennen zu lassen, ohne die dafür nötige Konzentration einzubüßen. Er ist offenbar fähig, sich auf mehrere magische Prozesse gleichzeitig zu fokussieren. Das ist ohne Zweifel bemerkenswert. Möglicherweise helfen ihm seine Horkruxe dabei, obwohl ich nicht erklären könnte, wie, weil wir in der Vergangenheit ja gelernt haben, dass er keine bewusste Verbindung zu seinen Seelensplittern hat.

Trotz der schrecklichen Verluste muss das Leben weitergehen und schnell vereinnahmen die Vorbereitungen für Bill und Fleurs Hochzeit alle Bewohner_innen des Fuchsbaus. Mrs. Weasley bürdet Harry, Ron und Hermine jede Menge Arbeit auf, um sie davon abzuhalten, Pläne für ihre Suche nach den verbleibenden Horkruxen zu schmieden (obwohl sie natürlich nicht weiß, was genau die drei vorhaben). Harry selbst wagt einen Versuch, seine beiden besten Freunde davon zu überzeugen, ihn nicht zu begleiten. Den Hermine und Ron selbstverständlich gnadenlos abschmettern. Sie beweisen, dass ihnen vollkommen klar ist, welches Risiko die Mission darstellt und erklären, inwiefern sie sich darauf bereits vorbereitet haben. Sie sind wirklich erwachsen geworden. Früher hätten sie sich vielleicht Hals über Kopf in dieses Abenteuer gestürzt, heute treffen sie Vorkehrungen.

Hermine veränderte die Gedächtnisse ihrer Eltern so weit, dass sie sowohl vergessen haben, wer sie sind, als auch, dass sie eine Tochter haben. Stellt euch vor, eure Eltern wüssten von jetzt auf gleich nicht mehr, dass ihr existiert. All die Jahre voller Liebe und gemeinsamen Erinnerungen – puff, weg. Ich habe ein sehr enges Verhältnis zu meinen Eltern und musste daher angesichts dieses unfassbaren Opfers heftig gegen den Kloß in meinem Hals ankämpfen. Ich finde Hermines Tat unglaublich selbstlos und bezweifle, dass ich selbst in der Lage gewesen wäre, so zu handeln. Ich wäre zu egoistisch gewesen, hätte eher versucht, meine Eltern zu verstecken, statt die schwere Entscheidung zu treffen, ihrem Schutz zuliebe alle Verbindungen zu mir zu kappen. Ich bewundere Hermine für ihre Charakterstärke.

Bevor die Hochzeitsglocken läuten, steht Harrys 17. Geburtstag an. Meines Wissens nach ist das sein erster Geburtstag, den er nicht im Ligusterweg verbringt (korrigiert mich, falls ich mich irre) und somit auch seine erste richtige Geburtstagsparty. Er ist jetzt volljährig. Ihr wisst, was das bedeutet? Harry darf endlich offiziell außerhalb der Schule zaubern! Meine Güte, wie habe ich diesen Moment herbeigesehnt! Natürlich ist der „Erlass zur Vernunftgemäßen Beschränkung der Zauberei Minderjähriger“ sinnvoll und berechtigt, aber ich war von dieser Vorschrift immer nur genervt. Was nützt es, ein Zauberer zu sein, wenn man die Magie im Alltag nicht einsetzen darf?

Ich jubelte ausgelassen darüber, dass Harry nun endlich zaubern darf, wann immer es ihm passt. Ich kann sehr gut verstehen, dass er an seinem Geburtstag so gut wie nichts mehr von Hand macht, sondern jede Aufgabe magisch löst. Ich hätte ganz genauso gehandelt. Brille vom Nachttisch nehmen, Schuhe zubinden, Geschirr tragen – für jeden noch so kleinen Handgriff hätte ich zum Zauberstab gegriffen. Völlig egal, dass das vielleicht in gewissen Situationen umständlicher ist. Es geht ums Prinzip. Genau wie Harry hätte ich es getan, weil ich es kann, nur deshalb.

Seine Party ist angesichts der aktuellen Umstände kein richtiges Fest, es ist ein gemeinschaftliches Essen mit all den Menschen, die Harry etwas bedeuten. Mrs. Weasley hat sich mit den Speisen selbst übertroffen und besonders die riesige Torte in Form eines Schnatzes ist ein echter Hingucker. Leider muss das Abendessen ein wenig verschoben werden, weil Arthur Weasley bei seiner Heimkehr hohen Besuch mitbringt. Der Zaubereiminister Rufus Scrimgeour (der für mich noch immer eine blasse Figur ist, die ich vermutlich schnell wieder vergesse) wünscht, Harry, Ron und Hermine zu sprechen.

Mr. Weasley kündigt seine Begleitung vor ihrem Eintreffen via Patronus an, was Tonks und Lupin veranlasst, kurzerhand abzutauchen. Ich fand diese Reaktion dermaßen seltsam, dass ich mir den Kopf darüber zerbrochen habe, warum sich das junge Ehepaar so verhält. Ich meinte mich dunkel daran zu erinnern, dass die beiden ein süßes Geheimnis hüten: Tonks ist schwanger. Ich war mir diesbezüglich nicht mehr sicher; später stellte sich meine Vermutung jedoch als korrekt heraus. Ein Baby. Hach, ich gönnte es ihnen so sehr, obwohl ich zugegebenermaßen Schwierigkeiten habe, mir die quirlige, wilde, verrückte Tonks als verantwortungsbewusste Mutter vorzustellen. 😉

Scrimgeour schaut auf Harrys Geburtstagsfeier nicht zum Gratulieren vorbei, nein, er hat ein Anliegen. Dumbeldores Testament muss vollstreckt werden. Der Schulleiter vererbte Harry, Ron und Hermine jeweils einen besonderen Gegenstand: die „Märchen von Beedle dem Barden“ für Hermine, der Deluminator für Ron und der alte Schnatz, den er in seinem ersten Quidditch-Spiel fing, für Harry. Ich gestehe, ich erinnerte mich an keines der drei Objekte. Ich wusste nur noch, dass Dumbledore Harry zusätzlich das Schwert von Godric Gryffindor vermacht, welches ihm jedoch nicht ausgehändigt wird, weil der Zaubereiminister behauptet, es habe Dumbledore nicht zugestanden, es überhaupt zu vererben.

Die Situation eskaliert, da Scrimgeour versucht, aus den dreien herauszubekommen, was Dumbledore mit seinem Testament bezweckte. Die Freunde stellen sich absichtlich dumm, obwohl sie selbst ebenfalls keinen blassen Schimmer haben und reizen Scrimgeour damit bis aufs Blut. Ich denke, hätte sich Scrimgeour von Anfang an zugänglicher und verständnisvoller gezeigt, hätte er sich beispielsweise für die Narben auf Harrys Handrücken (das ewige Andenken an Dolores Umbridge) entschuldigt, wäre speziell unser Held aufgeschlossener ihm gegenüber gewesen.

Scrimgeours großer Fehler besteht darin, dass er stets eine extrem autoritäre, aggressive Ausstrahlung an den Tag legt. Er verlangt Respekt, ohne ihn selbst zu zollen. Ich verstehe, dass er in der Öffentlichkeit stark und unnachgiebig erscheinen will und muss, aber hinter verschlossenen Türen hindert ihn niemand daran, sich ein wenig versöhnlicher zu geben. Er hatte die Chance, sich die Loyalität des Ordens des Phönix zu sichern und hat es kolossal vergeigt. Hätte er sich mit Harry gut gestellt, hätte dieser seine Verbündeten wahrscheinlich davon überzeugen können, sich auf ein Bündnis einzulassen. Vielleicht wäre es dann niemals zu den furchtbaren Ereignissen auf Bill und Fleurs Hochzeit gekommen. Hochmut kommt vor dem Fall.

Die Vermählung von Bill und Fleur beginnt zauberhaft; alle sind da, alle sind fröhlich (außer Tantchen Muriel vielleicht) und die Feier ist in vollem Gange, als das Undenkbare geschieht. Voldemort und seine Todesser übernehmen das Zaubereiministerium. Alle Schutzzauber auf dem Fuchsbau stürzen mit einem Mal zusammen und die Hochzeit wird gestürmt. Mir tat das Brautpaar von Herzen leid. Der Tag ihrer Trauung, der der glücklichste ihres Lebens sein sollte, wird für immer mit Voldemort assoziiert werden. Ich bin wahrlich keine große Romantikerin und träume selbst nicht von einer rauschenden Hochzeit, aber das wünsche ich keinem. Sie werden sich niemals unbelastet an ihre Hochzeit erinnern können. Auf ewig wird es der Tag sein, an dem Voldemort das Zaubereiministerium unter seine Kontrolle brachte. Wie gemein. Da finde ich den dunklen Lord gleich noch ein bisschen abstoßender, als ohnehin schon.

Harry, Ron und Hermine entkommen dem Chaos im Fuchsbau, indem sie binnen eines Wimpernschlags in eine belebte Straße in London disapparieren. Ich kann Hermine nur meinen allerhöchsten Respekt dafür aussprechen, dass sie auf genauso eine Entwicklung vorbereitet war. Bereits Tage zuvor belegte sie ihre winzige, perlenbesetzte Handtasche mit einem fabelhaften Ausdehnungszauber und verstaute in ihr alles, was die drei für ihre Suche nach den Horkruxen brauchen könnten. Ein Zelt, Klamotten, Bücher – in den unendlichen Weiten ihres Täschchens findet sich alles. Man, wie sehr wünschte ich, so einen Zauber ebenfalls anwenden zu können. Jede Reise, jeder Festivalbesuch wäre so viel einfacher, hätte ich lediglich eine kleine Tasche, in der all mein Gepäck sicher verwahrt ist. Von all den Zaubern, die in der Reihe auftauchen, ist dieser meiner Meinung nach mit Abstand der praktischste. Nie mehr Schlepperei, nie mehr verzichten, nie mehr entscheiden, was nun wirklich wichtig ist und was zu Hause bleiben muss. Im Grunde könnte man darin ja sogar einen Generator mitnehmen und demzufolge auch lauter technische Geräte, die Strom benötigen, wie zum Beispiel eine Kaffeemaschine. Urlaub mit dem höchstmöglichen Maß an Luxus. Herrlich.

Vorerst brauchen Harry, Ron und Hermine jedoch ein Versteck, um ihr weiteres Vorgehen zu planen. In einem Nachtcafé diskutieren sie ihre Möglichkeiten und bemerken dabei nicht, dass zwei Todesser das Lokal betreten. Ihr Auftauchen ist selbstverständlich kein Zufall, aber ich konnte mich beim besten Willen nicht daran erinnern, wie sie die drei ausfindig machen konnten. Es kommt zum Kampf, den Harry, Ron und Hermine glücklicherweise für sich entscheiden können. Geschockt liegen beide Gegner am Boden. Harry schlägt vor, ihre Gedächtnisse zu modifizieren, um sie von ihrer Fährte abzulenken. Ron stimmt zu, bemerkt allerdings, dass er noch nie einen Gedächtniszauber vorgenommen hat. Darauf erwidert Hermine etwas, das nicht mir als Logikloch aufgefallen ist, sondern Marina. Sie sagt (und ich zitiere):

„Ich auch nicht“, sagte Hermine, „aber ich kann es theoretisch.“ (S. 174)

Ähm… und ihre Eltern? Das kann nicht stimmen, sie muss einen Gedächtniszauber verwendet haben, um ihren Eltern eine neue Vergangenheit bzw. neue Erinnerungen zu verpassen. Wenn man beide Augen und alle Hühneraugen zudrücken möchte, könnte man eventuell argumentieren, dass sie dafür einen anderen Zauber nutzte, der statt dem Kurzzeitgedächtnis das Langzeitgedächtnis angreift, doch selbst wenn das der Fall wäre, müsste sie diesen soweit abändern können, dass sie ihn auf die beiden Todesser anwenden kann. Fakt ist, sie hat definitiv schon einmal einen Gedächtniszauber gebraucht und ihre Aussage ist dementsprechend ein Schnitzer seitens Joanne K. Rowlings, der leicht hätte vermieden werden können.

Letztendlich entscheiden sich Harry, Ron und Hermine dafür, im Grimmauldplatz Nummer 12 Unterschlupf zu suchen, trotz des Risikos, dass Snape sie dort findet. Ihnen bleibt keine Wahl, weil es keinen anderen Ort gibt, an dem sie in Sicherheit wären. Hätte ich sie begleitet, ich hätte mich dieser Entscheidung lediglich zähneknirschend gefügt. Das Haus ist mir einfach unheimlich, besonders jetzt, da es verlassen ist und leer steht. Ich glaube nicht, dass ich mich dort sicher gefühlt hätte.

Für die drei ist ihr Aufenthalt im Grimmauldplatz allerdings äußerst wichtig. Harry entdeckt in Sirius‘ altem Zimmer einen Brief seiner Mutter, den diese an Sirius als Dankeschön für sein Geschenk zu Harrys erstem Geburtstag schickte. Ich gebe es zu, ich hätte fast geheult. Schon wieder. Harry weiß so wenig über seine frühe Kindheit und plötzlich stolpert er über so einen Schatz. Ich habe mich von Herzen für ihn gefreut.

Der Grimmauldplatz enthält jedoch nicht nur wertvolle Erinnerungsstücke, sondern bietet auch Antworten auf die Frage, wer der mysteriöse R.A.B. war, der Voldemorts Medaillon-Horkrux durch eine Fälschung ersetzte: Regulus Arcturus Black, Sirius‘ jüngerer Bruder. Das wusste ich zur Abwechslung mal noch, obwohl mir Regulus‘ Geschichte mehr oder weniger entfallen war. Die drei durchsuchen sein Zimmer, in der Hoffnung, irgendwo das originale Medaillon ausfindig machen zu können. Leider vergeblich. Hermine fällt dann wieder ein, dass ihnen während der tagelangen Putzaktion im Grimmauldplatz ein Medaillon in die Hände fiel, das niemand öffnen konnte. Es wurde aussortiert.

Ihre einzige Chance ist nun Kreacher, der viele der ausrangierten Besitztümer der Blacks für sich selbst beiseiteschaffte. Sie befragen den alten Hauselfen und erfahren von seiner tragischen Vergangenheit und der Geschichte des Medaillons. Kreacher musste auf Regulus‘ Wunsch Voldemort kurze Zeit zu Diensten sein. Es ist ja wirklich nicht leicht, Kreacher zu mögen, aber was ihm angetan wurde – wissentlich von Voldemort und unwissentlich von Regulus – war großes Unrecht. Er tut mir unendlich leid. Er ist eine kaputte, verwundete kleine Seele, misshandelt und ausgenutzt. Ich kann Hermines Bemühungen, die Hauselfen zu befreien, durch seine Geschichte definitiv besser nachvollziehen. Diese allumfassende Sklaverei ist abstoßend; die Selbstverständlichkeit, mit der Zauberer und Hexen Unaussprechliches von den Hauselfen verlangen, die keinerlei Möglichkeit haben, sich zu wehren oder auch nur zu widersprechen, eine Schande.

Ich frage mich mittlerweile, wie diese ausbeuterische Beziehung zwischen Menschen und Hauselfen überhaupt zu Stande kam. Wann und wie hat das angefangen? Die Hauselfen können doch nicht zum Dienen geschaffen worden sein, das kann ich mir nicht vorstellen. Die magische Bindung, die sie zu ihren Herren haben, muss irgendwann in der Vergangenheit künstlich erzeugt worden sein. Es muss einmal einen Zauberer oder eine Hexe gegeben haben, der oder die von einem bedingungslos loyalen Diener träumte. Diese Person muss dann einen Zauber gewoben haben, der einen Elfen auf ewig an sie fesselte. Vielleicht haben sich dann andere Zauberstabträger ein Beispiel daran genommen; vielleicht war der Zauber auch stärker als erwartet und breitete sich wie ein Krebsgeschwür unter den Elfen aus, bis sie zu den Hauselfen wurden, die wir heute kennen. Was auch immer geschehen ist, es muss widerrufen werden, vollkommen egal, wie lange es dauert. Ich hoffe, dass Hermine dieses Thema als Erwachsene im neuen Band „Harry Potter und Das verwunschene Kind“ nicht aus den Augen verlor.

Harry berührt Kreachers entsetzliche Geschichte so sehr, dass er sich ab sofort große Mühe gibt, ihn besser zu behandeln. Er schenkt ihm das falsche Medaillon, das Regulus gehörte und sichert sich so seine Loyalität (Schmuck gilt übrigens nicht als Kleidungsstück, interessant, oder?). Kreacher berichtet, dass Mundungus Fletcher derjenige war, der das echte Medaillon entwendete und erklärt sich auf Harrys Bitte hin bereit, diesen ausfindig zu machen und in den Grimmauldplatz zu bringen. Der Hauself ist mehrere Tage verschwunden und Harry, Ron und Hermine bleibt nichts anderes übrig, als geduldig auf seine Rückkehr zu warten.

Währenddessen erhalten sie überraschend Besuch: Remus Lupin schaut im Grimmauldplatz vorbei, um die drei auf den neusten Stand zu bringen und seine Hilfe bei ihrer Mission anzubieten. Was im ersten Moment als großzügiges Angebot erscheint, ist in Wahrheit nur eine Flucht. Lupin ist bereit, Tonks – und sein ungeborenes Kind – allein zu lassen, weil er an seiner Entscheidung, sie zu heiraten, zweifelt. Er glaubt, dass er ihr damit keinen Gefallen getan hat und egoistisch war. Ich verstehe seine Bedenken, weil es Werwölfe in der magischen Gesellschaft tatsächlich sehr schwer haben, doch sein Vorhaben ist schlicht und ergreifend feige. Er hat Angst davor, sich den Konsequenzen seiner Partnerschaft mit Tonks zu stellen. Statt mutig Seite an Seite mit ihr den Verurteilungen der breiten Masse zu trotzen, will er den leichten Ausweg wählen, die Notbremse ziehen und einfach abhauen. Das nutzt im Endeffekt natürlich lediglich ihm selbst.

Dementsprechend ist sein Entschluss, weggehen zu wollen, weit egoistischer, als es die Hochzeit mit Tonks je war, bei der sie ja auch ein Wörtchen mitzureden hatte. Sie wusste, wer und was er ist und hat sich bewusst auf diese Beziehung eingelassen, ist ihrem Herzen gefolgt. Es liegt nicht an Tonks oder dem Kind, dass er fliehen will. Das hat nur mit ihm selbst zu tun, mit seiner persönlichen Feigheit. Ich war zutiefst enttäuscht von Lupin und war sehr erleichtert, dass Harry sein Hilfsangebot fassungslos ausschlägt. Obwohl Harry sehr harsche Worte wählt und seinen ehemaligen Lehrer heftig vor den Kopf stößt, kann ich seine Wut vollkommen nachvollziehen. Da sitzt er, der Junge, dessen Eltern bei dem Versuch, sein Leben zu retten, ermordet wurden; der Junge, der als Waise aufwachsen musste. Dieser Junge muss sich anhören, wie jemand, den er sehr schätzt, in Betracht zieht, seine Frau und sein Kind im Stich zu lassen. Es ist richtig, dass er Lupin seine Feigheit vor Augen hält und ihm ganz deutlich sagt, was sein Vater James davon seiner Meinung nach gehalten hätte: Gar nichts.

Über den Streit mit Lupin geriet Kreacher in Vergessenheit, daher sind alle reichlich erschrocken, als er mit einem lauten Knall plötzlich in der Küche auftaucht, Mundungus im Schlepptau. Mundungus ist von dieser Art der Behandlung selbstverständlich absolut unbegeistert, doch da er ein ziemlicher Waschlappen ist, verrät er Harry, Ron und Hermine widerwillig, was er mit dem Medaillon gemacht hat. Er schenkte es Dolores Umbridge, als Bestechung. Schlimmer wäre es vermutlich nur, hätte er das Ding direkt an Voldemort persönlich verscherbelt. Gut, den dreien bleibt also nichts anderes übrig, als Umbridge das Medaillon wieder abzunehmen. Dafür müssen sie sich ins Zaubereiministerium schmuggeln, eine Episode, die ich, wie ich zu meiner Schande gestehen muss, völlig vergessen hatte. Nach wochenlanger Vorbereitung steht ein Plan, den man getrost als irrwitzig bezeichnen kann. Doch wie verrückt er auch sein mag, er funktioniert.

Sie schaffen es unbemerkt ins Ministerium und machen sich auf die Suche nach dem Medaillon. Harry verschlägt es in die oberen Stockwerke und während er durch die Korridore streift, fiel mir auf, dass das Zaubereiministerium durchaus eine gewisse kafkaeske Atmosphäre umgibt. In seiner Weite und Undurchsichtigkeit ist es unmöglich, festzustellen, wie viel Macht diese Behörde tatsächlich besitzt. Hunderte, wenn nicht gar tausende Mitarbeiter_innen, zahllose Abteilungen, hat da überhaupt noch jemand einen Überblick? Die Zauber und Flüche, die alle sicheren Häuser und den Fuchsbau schützten, stammten ausnahmslos vom Ministerium und wehrten jeden Vorstoß der Todesser erfolgreich ab, folglich muss es extrem mächtig sein, nicht nur auf politischer und sozialer, sondern auch auf physischer Ebene. Interessant wäre auch zu wissen, ob es eigentlich in jedem Land ein Zaubereiministerium gibt. Wird die Welt heimlich von magisch begabten Menschen regiert?

Aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz können Harry, Ron und Hermine das Medaillon bergen. Sie verursachen jedoch ziemlich viel Chaos und müssen in letzter Sekunde in die Wildnis fliehen. Die Zeit, die unsere drei HeldInnen mit der Suche nach den Horkruxen und einer Möglichkeit, diese zu zerstören, in der britischen Landschaft verbringen, hat sich in meinem Gedächtnis negativ eingeprägt. Ich erinnerte mich an ihre Ziel- und Planlosigkeit und die angespannte Stimmung, die letztendlich eskaliert und zu einem fürchterlichen Streit zwischen Harry und Ron führt, der letzteren veranlasst, seine Freunde vorübergehend zu verlassen. Ich verstehe zwar, dass sowohl Ron als auch Hermine enttäuscht von Harry sind, weil dieser wirklich keinen blassen Schimmer hat, aber zu seiner Verteidigung muss ich hier anmerken, dass ich auch nicht wochenlang mit Ron in ein Zelt gesperrt sein wollte. Ron ist ein toller Freund, loyal und zuverlässig – solange die Umstände stimmen. Solange alles gut ist, kann man sich nur wünschen, mit Ron befreundet zu sein.

Doch sobald es schwierig wird und nicht alles so läuft, wie er sich das vorstellt, wird er eklig. Ron ist kein Feigling und scheut sich nicht, sich Herausforderungen zu stellen, aber Harrys Aussage, dass Ron verwöhnt ist, enthält durchaus einen Funken Wahrheit. Er wurde stets geliebt, musste nie hungern, wurde immer umsorgt und behütet und ist es einfach nicht gewohnt, mit Verzicht zu leben. Natürlich sind die Weasleys keine wohlhabende Familie und Ron weiß, was es bedeutet, Klamotten auftragen zu müssen, weil kein Geld für neue Sachen da ist, aber trotz dessen war er nicht darauf vorbereitet, sich selbst versorgen zu müssen. Er kennt oberflächlichen Verzicht, doch in der Tiefe ist Ron ein junger Mann, der sich viel mehr auf seine Großfamilie verlässt, als er selbst zuzugeben bereit ist. Kein Wunder, dass er mit ihrer aktuellen Situation nicht umgehen kann und seine schlechte Laune an Harry und Hermine auslässt.

Auf sich gestellt treffen Hermine und Harry die Entscheidung, nach Godric’s Hollow zu reisen. Sie vermuten, dass Dumbledore dort Godric Gryffindors Schwert versteckte, mit dem sie die Horkruxe zerstören können. Für Harry ist das Schwert allerdings nur ein nebensächlicher Grund, das Dorf aufzusuchen. Er möchte die Gräber seiner Eltern und Bathilda Bagshot besuchen, von der er glaubt, dass sie Licht in die legenden- und gerüchteumwitterte Vergangenheit von Dumbledore bringen kann. Schon seit längerer Zeit hat Harry das Gefühl, Dumbledore gar nicht wirklich gekannt zu haben und nichts über ihn zu wissen. Rita Kimmkorn ist daran nicht ganz unschuldig, denn sie veröffentlichte ein skandalträchtiges Enthüllungsbuch über den mächtigen Zauberer, das diesen posthum mit jeder Menge Dreck bewirft. Ein echter Kimmkorn eben.

In Godric’s Hollow angekommen, begeben sich Hermine und Harry zuerst zum Friedhof. Diese Szene, in der Harry nach all den Jahren endlich an dem Ort steht, an dem seine Eltern ruhen, berührte mich zutiefst. Er vermisst sie so sehr, er fühlt sich so allein auf einer Ebene, die niemand, dessen Eltern lebendig sind, nachvollziehen kann, er kann nicht auf ihren Rat und ihre Unterstützung bei seinem Kampf gegen das pure Böse bauen – ich hätte ihm keinen Vorwurf gemacht, wäre er an dieser Stelle einfach zusammengebrochen, erdrückt von der unglaublichen Verantwortung, die auf seinen Schultern lastet und der überwältigenden Verzweiflung, die er empfinden muss. Aber er bricht nicht zusammen. Er bleibt aufrecht stehen. Deshalb ist Harry Potter mein Held. Dafür liebe ich ihn.

Als nächstes wollen Hermine und Harry bei Bathilda Bagshot vorbeischauen, da sie allerdings nicht wissen, wo genau die Historikerin wohnt, streifen sie auf der Suche nach ihrem Haus durch das Dorf. An der Ruine von Harrys Elternhaus begegnet ihnen eine merkwürdige Gestalt, die die beiden für Bathilda halten. „Bathilda“ führt sie in ein heruntergekommenes, vernachlässigtes Haus, das meiner Meinung nach ihr Misstrauen hätte wecken müssen. Sie beantwortet keine ihrer Fragen und schweigt die meiste Zeit, bis sie Harry bedeutet, ihr in den ersten Stock zu folgen. Ich verstehe, dass sowohl Harry als auch Hermine absolut verzweifelt sind, dass sie daran glauben wollen, dass „Bathilda“ ihnen das Schwert aushändigen wird und die alte Frau generell als „plemplem“ gilt, doch ihr Verhalten ist wirklich leichtsinnig. Ich wunderte mich darüber, dass sie die bedrohliche Aura nicht zu spüren scheinen, dass sie nicht erkennen, dass die ganze Situation laut „Gefahr!“ schreit und sie nicht merken, dass da etwas gewaltig nicht stimmt. Für mich war das mehr als offensichtlich.

Unglücklicherweise erinnere ich mich nicht mehr, ob ich die giftige Atmosphäre bei meiner ersten Lektüre von „Die Heiligtümer des Todes“ ebenfalls wahrgenommen habe. Es liegt durchaus im Rahmen des Möglichen, dass ich beim ersten Lesen ebenso unwissend und unbedarft in die Falle getappt bin wie Hermine und Harry und erst jetzt darauf reagierte, weil ich wusste, dass sie eine üble Wendung erwartet. Als Harry allein mit „Bathilda“ ist, beginnt seine Narbe zu schmerzen und aus der menschlichen Gestalt der alten Hexe bricht plötzlich eine riesige Schlange hervor: Nagini. Voldemort ließ sie in Godric’s Hollow zurück, weil er damit rechnete, dass Harry dort irgendwann auftauchen würde. Ein perfider Hinterhalt. Die echte Bathilda Bagshot ist vermutlich bereits seit einiger Zeit tot. Beinahe wäre es Nagini gelungen, Harry zu überwältigen, wäre Hermine nicht im entscheidenden Moment aufgetaucht. Sie rettet sein Leben, da sie ihnen die nötige Zeit verschafft, um wieder einmal in letzter Sekunde zu fliehen, kurz bevor Voldemort eintrifft.

Ich habe eine interessante Unterhaltung mit Marina über diese Szene in Bathilda Bagshots Haus geführt. Ich hatte stets Schwierigkeiten, mir diesen Moment, in dem Nagini aus Bathildas Körper hervorbricht, vorzustellen und Marina erging es ganz ähnlich. Es fiel ihr schwer, zu begreifen, wie eine Schlange eine menschliche Hülle tragen konnte und mit welcher Form von Zauber wir es zu tun hatten. Sie fragte mich, ob ich glaube, dass Nagini die Verwandlung selbst aufrechterhielt. Meiner Ansicht nach ist Nagini nicht selbst in der Lage, zu zaubern. Vielleicht unterstütze sie den Zauber durch ihre beachtliche Macht als Horkrux, aber ich denke, die magische Kraft kam von Voldemort.

Erneut könnte es sich um einen niedrigschwelligen Zauber handeln, also ein Zauber, der dauerhaft auf kleiner Flamme brennt und wenig Ressourcen angreift, ähnlich wie seine Fähigkeit, ohne Hilfsmittel zu fliegen. Da Nagini ja bereits ein magisches Wesen ist, musste Voldemort nur noch eine Hülle erschaffen, die sich lose mit ihrer Lebenskraft verbindet und ihr erlaubt, wie ein Mensch auszusehen und die grundlegendsten motorischen Fähigkeiten auszuführen. Ich vermute, dass Nagini Bathildas Körper nicht wie einen Mantel trug, sondern dass sie eher wie in einer Fruchtblase im Inneren herumschwappte und ihn durch gedankliche Impulse steuerte. Ein bisschen wie bei einem mechanischen Roboter, in dem ein Mensch sitzt. Mit dieser Theorie waren wir beide einigermaßen zufrieden, weil Naginis Status als Horkrux einiges erklärt, was sonst unmöglich erscheint.

Wieder auf dem Land, versuchen Hermine und Harry, sich von dem Angriff in Bathilda Bagshots Haus zu erholen. Hermine beichtet Harry, dass sein Zauberstab während des Kampfes stark beschädigt wurde, wodurch Harry nun unbewaffnet ist. Die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt und gerade, als ich dachte, schlimmer könnte es nicht mehr werden, beschließen die beiden, sich Rita Kimmkorns Enthüllungsbuch „Leben und Lügen des Albus Dumbledore“ vorzunehmen, das Hermine aus Bathildas Haus mitnahm. Was sie aus diesem Buch über ihren ehemaligen Schulleiter erfahren, ist tatsächlich schockierend. In seiner Jugend war Dumbledore mit Gellert Grindelwald befreundet. Gellert Grindelwald, der später zum gefürchtetsten schwarzen Magier vor Voldemort wurde; der plante, das Geheimhaltungsabkommen abzuschaffen und Muggel seiner Herrschaft zu unterwerfen.

Voldemorts Pläne sind dementsprechend nicht neu. Er ist nicht der erste, der eine neue Gesellschaftsordnung zu erschaffen gedenkt. Dumbledores und Grindelwalds Freundschaft war kurz, aber intensiv. Intellektuell ebenbürtig diskutierten sie viele Ideen und Theorien und es gelang Grindelwald, Dumbledore einerseits von der Existenz der mysteriösen Heiligtümer des Todes und andererseits von der Notwendigkeit einer magischen Herrschaft über die Welt und die Muggel zu überzeugen. Dumbledore schloss sich seinen Träumen an. Er philosophierte über den Herrschaftsanspruch von Hexen und Zauberern und die damit einhergehende Verantwortung, kokettierte nahezu mit den dunklen Künsten. Harry und Hermine sind entsetzt. Zu recht.

Ich erinnere mich daran, wie enttäuscht ich als 18-Jährige von Dumbledore war. Ähnlich wie Harry packte mich angesichts der Enthüllungen über den mächtigen Zauberer die Wut. Ich fühlte mich belogen, betrogen und empfand Dumbledore als miesen Heuchler, der seine wahren Ansichten absichtlich hinter einer Fassade aus Güte und Weisheit verbarg. Ich war schrecklich zornig und konnte Harrys Gefühle dementsprechend exakt nachvollziehen, während ich Hermine für ihre verständnisvolle Art am liebsten eine Ohrfeige verpasst hätte. „Sie waren jung“ – dieser Satz bedeutete mir damals nichts, denn ich war selbst jung. Fast 10 Jahre später hat sich meine Wahrnehmung dieser Szene um 180° gedreht.

Heute ist es Hermine, die meine Gefühle zum Ausdruck bringt, nicht Harry. Ich muss darüber lächeln, dass ich damals einfach nicht verstand, dass man manchmal dumme, gefährliche, furchtbare Dinge tut, denkt und glaubt, wenn man jung ist. Ich möchte nicht wie eine alte Schachtel klingen, doch nach so langer Zeit macht sich meine erweiterte Lebenserfahrung deutlich bemerkbar. Ich konnte mit 18 nicht kopfschüttelnd auf meine vergangenen Jahre zurückblicken, weil mir der Abstand fehlte. Heute bin ich dazu fähig und begreife, in welcher Phase sich Dumbledore während seiner Freundschaft mit Grindelwald befand. Es spielt für mich jetzt keine Rolle mehr, dass er als Jungspund irgendwann einmal glaubte, es sei sein gutes Recht, Macht über Muggel auszuüben. Wichtig sind nur seine Taten und in späteren Jahren bewies er, dass ihm die Rechte der Muggel und Muggelstämmigen sehr am Herzen lagen. Er setzte seine radikalen Ideen niemals in die Tat um, sondern änderte seine Meinung. Das ist legitim, denn er war jung.

Angeblich war Grindelwalds Einfluss auf Dumbledore unter anderem deshalb so groß, weil sich der junge Albus in seinen charismatischen Freund verliebt hatte. Ja, Joanne K. Rowling bestätigte 2007, dass Dumbledore schwul war. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber mir ist das vollkommen schnuppe. Ich habe nie über Dumbledores sexuelle Identität nachgedacht und es wäre mir auch nie eingefallen, zu hinterfragen, ob er nun auf Männer oder Frauen stand. Er war eine Autorität, eine Institution, er verdiente sich meinen Respekt durch Intelligenz, Wärme, Weisheit und vorausschauendes Planen. Es geht mich nichts an, mit wem er sein Bett teilte oder wem er sein Herz schenkte. Ich habe ihn weder als hetero- noch als homosexuell wahrgenommen. Er war einfach Dumbledore, brillantes Genie und Liebhaber von Süßigkeiten.

Die Theorie seiner romantischen Gefühle für Grindelwald widerspricht allerdings meiner Interpretation ihrer Beziehung. Mich erinnert diese eher an den Austausch und die Freundschaft zwischen Goethe und Schiller. Die enge Bindung zweier gleichberechtigter, ebenbürtiger Geister. Meiner Meinung nach kannten sich Dumbledore und Grindelwald für tiefergehende Gefühle viel zu kurz. Es ist mir sogar gleichgültig, dass Rowling auch diese Theorie bestätigte, ich fühle mich mit meiner Auffassung sehr viel wohler und bleibe daher dabei. Nicht, weil es mich stören würde, dass Dumbledore schwul war (das möchte ich ganz deutlich betonen), sondern weil ich der Meinung bin, dass eine romantische Ebene nicht zu ihrer Freundschaft passt. Glücklicherweise kann mir niemand verbieten, dieses Detail der Geschichte so zu deuten, wie es mir gefällt.

Nach diesen unschönen Offenbarungen über Dumbledore brauchen Harry und Hermine ganz dringend ein Erfolgserlebnis. Sie brauchen einen Sieg, um neuen Mut zu schöpfen. Die Mission steht auf Messers Schneide, sie sind kurz davor, alle Hoffnung fahren zu lassen und einfach hinzuschmeißen. Ich glaube, einen weiteren Rückschlag hätten sie nicht verkraftet. Anscheinend war das auch Joanne K. Rowling klar, denn sie schenkt ihnen dieses Erfolgserlebnis. In dieser Nacht ist es Harry überlassen, vor ihrem Zelt Wache zu halten. Stundenlang sitzt er in der Kälte vor dem Eingang, ohne dass etwas passiert. Gerade als die Nacht ihre dunkelste Stunde erreicht, geschieht es: eine silberne Hirschkuh taucht zwischen den Bäumen auf und führt Harry in den Wald. Mir war durchaus noch bewusst, dass die Hirschkuh ein Patronus ist und keine Gefahr von ihr ausgeht. Mein Gedächtnis flüsterte mir zu, dass sie zu einem Zauberer oder einer Hexe gehört, von dem/der man eine Einmischung keinesfalls erwarten würde. Aber ich will verdammt sein, ich kam einfach nicht drauf, wer das sein könnte. Ich ärgerte mich schwarz darüber, dass mir diese Information nicht einfallen wollte.

Harry folgt der Hirschkuh bis zu einem kleinen, zugefrorenen See. Der Patronus verschwindet und Harry steht allein am Ufer. Seine Augen schweifen über die vereiste Oberfläche und plötzlich entdeckt er den Grund für diese nächtliche Exkursion: das Schwert von Godric Gryffindor liegt am Grund des Sees. Kurzentschlossen zieht er sich aus und springt in das eiskalte Wasser, um das Schwert zu bergen. Bedauerlicherweise vergisst er, Voldemorts Horkrux abzunehmen. Das Medaillon reagiert auf die Nähe des Gegenstands, der es zerstören könnte und schnürt Harry unter Wasser die Luft ab. Er kämpft, hat gegen das verfluchte Ding aber keine Chance. Er wird ohnmächtig und wäre ertrunken, hätte ihn nicht gerade noch rechtzeitig jemand an Land gezogen. Ron ist zurück! Er ist wieder da, rettet Harry das Leben und holt außerdem das Schwert aus dem See. Kein schlechter Wiedereinstieg. Gemeinsam beschließen sie, dem Horkrux an Ort und Stelle zu Leibe zu rücken. Harry überlässt Ron die Ehre, der diese Aufgabe meistert, obwohl ihn der Horkrux mit fiesen Bildern und Behauptungen quält. Endlich. Einer weniger.

Nun kämpfen unsere drei HeldInnen erneut gemeinsam gegen Voldemort und für mich änderte sich mit ihrer Wiedervereinigung das Tempo meiner Leseerfahrung. Ich las wie hypnotisiert, tauchte vollkommen in die Geschichte ein. Die Handlung erschien mir ebenso spannend wie beim ersten Mal; ich konnte nicht aufhören und verschlang die restlichen 370 Seiten des Buches innerhalb einer Nacht. Der Besuch bei Xenophilius Lovegood, die Entdeckung der Legende von den Heiligtümern des Todes (Elderstab, Stein der Auferstehung und Tarnumhang), der Zusammenprall mit Voldemorts Schergen, die folgende Gefangenschaft in Malfoy Manor und ihre Flucht – ich rauschte durch die Ereignisse und kam nur kurzzeitig zu mir, als Dobby sein Leben gibt, um Harry und seine Verbündeten zu retten.

Dobbys Tod ist für mich mindestens ebenso schlimm wie Dumbledores Tod. Ich weinte fürchterlich um diesen tapferen kleinen Hauself, der unter seinen Artgenoss_innen ein Revolutionär war, weil er die Freiheit umarmte und genoss. Es ist so unfair, dass er sterben muss, weil er eigentlich nur ein Kollateralschaden ist. Durchbohrt von Bellatrix‘ Messer, das diese den Flüchtenden hinterher warf. Ich bezweifle, dass sie Dobby treffen wollte. Meiner Ansicht nach ist Dobby genauso ein Held wie Harry, weil es für ihn so viel schwerer war, sich dem Widerstand anzuschließen. Er tat es trotzdem. Aus Freundschaft. Aus Loyalität. Er hatte ein Herz aus Gold und ich wünschte, das Schicksal hätte es besser mit ihm gemeint. Dobby, du wirst niemals vergessen sein und für immer als freier Elf und Held in Erinnerung bleiben. Schnüff.

Nach dieser traurigen, herzzerreißenden Episode vergrub ich mich erneut in der Geschichte. Ich wollte nicht über Dobbys Tod nachgrübeln und mich von meiner Trauer überwältigen lassen, ich wollte diejenigen leiden sehen, die ihm das angetan hatten. Ich fieberte der Schlacht von Hogwarts entgegen, die meiner Meinung nach einer der aufregendsten Momente der Literaturgeschichte ist. Es passiert unheimlich viel gleichzeitig. Ich war aufgekratzt bis zum geht nicht mehr, wollte mir selbst einen Zauberstab schnappen und mich in den Kampf werfen. Ich war schon immer sehr anfällig für die Loyalität, die ein gemeinsamer Feind bewirken kann und die Kameradschaft vor und während einer Schlacht. All die Figuren in Hogwarts zu sehen, die ich seit Jahren kenne, die ich wie eine Familie liebe, an einem Ort, der auch mir wie ein Zuhause erscheint, berührte mich außergewöhnlich. Ich wollte ihnen so gern beistehen.

Die Schlacht entbrennt mit aller Bitterkeit. Harry, Ron und Hermine finden den letzten Horkrux und zerstören ihn. Nun ist es nur noch die Schlange. Voldemort versteckt sich mit ihr in der Heulenden Hütte. Snape ist bei ihm. Nacheinander kriechen Harry, Ron und Hermine durch den Tunnel unter der Peitschenden Weide und belauschen das Gespräch zwischen dem dunklen Lord und dem Mann, der Albus Dumbledore ermordete. Voldemort ist unzufrieden. Er brachte den Elderstab in seinen Besitz, schändete dafür sogar Dumbledores Grab, doch der Stab arbeitet nicht für ihn. Er vermutet das Problem darin, dass nicht er Dumbledore den Stab entriss, der der Legende zufolge gegen den Willen des Besitzers oder der Besitzerin genommen werden muss, sondern Snape. Er ist nicht sein wahrer Meister. Da Voldemort weder Gnade noch Skrupel kennt, gibt es für ihn lediglich eine logische Konsequenz: Snape muss sterben. Er hetzt Nagini auf ihn und verlässt die Hütte. Snape liegt blutend am Boden und sieht dem Tod ins Auge. Mit seinen letzten Atemzügen extrahiert er eine Erinnerung und überreicht sie Harry.

Voldemort stellt ein Ultimatum. Eine Stunde erhalten die mutigen Widerstandskämpfer, um ihre Verletzten und Toten zu bergen. Eine Stunde gewährt er Harry, um ihn im Verbotenen Wald aufzusuchen. Sollte Harry nicht erscheinen, wird die Schlacht fortgeführt. Weitere Verbündete und Freunde werden sterben. Harry treffen diese Worte tief. Sie hallen in seinem Kopf nach und verhöhnen ihn. Der Anblick der Toten ist zu viel für ihn: Fred Weasley, Remus Lupin, Tonks und noch so viele andere.

Ich gestehe, ich war immer ein bisschen wütend auf Lupin und Tonks, weil sie an der Schlacht teilnahmen. Während der Zeit, die Harry, Ron und Hermine in der Wildnis verbrachten, wurde ihr kleiner Sohn Teddy geboren. Ihre Entscheidung, sich in den Kampf einzumischen, machte Teddy zur Waise. Das ist nicht in Ordnung. Ich verstehe, dass sie ihre Freunde unterstützen wollten, aber das wird Teddy in der Zukunft ein schwacher Trost sein. Ja, sie sind HeldInnen. Doch was hat ihr Sohn davon? Der Stolz auf seine heroischen Eltern wird ihn nicht trösten, wenn er sich die Knie aufschlägt, einen Albtraum hat oder sich allein und verlassen fühlt. Ich finde das verantwortungslos und bin damit nicht einverstanden. Traurigerweise glaube ich, dass Lupins und Tonks‘ Tode geplant waren. Meiner Ansicht nach ließ Joanne K. Rowling uns deshalb nicht an ihrer Hochzeit teilnehmen. Sie wollte es uns leichter machen, sanft die Bindung aufweichen. Für mich hat das nicht funktioniert. Ich trauerte trotzdem. Um die beiden und um Teddy, den Sohn, der seine Eltern niemals kennenlernen wird.

Harry flieht aus der Situation. Er kann die Last der Schuld nicht ertragen und findet einen Zufluchtsort, der mit sehr vielen Erinnerungen verknüpft ist: das Büro des Schulleiters. Obwohl sich einiges verändert hat, steht Dumbledores Denkarium noch immer an seinem rechtmäßigen Platz. Von dem verzweifelten Wunsch getrieben, die Realität hinter sich zu lassen, stürzt sich Harry in Snapes Erinnerungen. Er sieht Snapes Jugend; erfährt, dass der schlaksige Junge mit den fettigen Haaren von Kindsbeinen an mit seiner Mutter Lily befreundet und verliebt in sie war; erlebt, wie die beiden alterten und sich zunehmend entfremdeten. Er wird Zeuge, wie Snape zum Doppelagenten wurde, weil Voldemort seine Bitte abschlug, Lily und ihre Familie zu verschonen.

Snape riskierte sein Leben, um Harry zu schützen, jahrelang. Die Hirschkuh ist sein Patronus. Dumbledore vertraute ihm; er vertraute ihm so sehr, dass Snape der einzige war, der wusste, dass Dumbledore todgeweiht war. Auf dem Ring-Horkrux lag ein Fluch, der ihn innerhalb eines Jahres umgebracht hätte, hätte er nicht Snape gebeten, ihm diesen Dienst zu erweisen. Severus Snape ermordete Albus Dumbledore nicht. Er tat ihm einen Gefallen. Einen furchterregenden, schrecklichen Gefallen, den er trotzdem mutig und ohne zu zögern ausführte, als die Zeit reif war. Doch vorher weihte Dumbledore ihn noch in sein größtes Geheimnis ein. Um Voldemort endgültig zu besiegen, muss Harry sterben. Ein Splitter von Voldemorts Seele lebt in Harry; solange Harry am Leben ist, wird auch Voldemort leben.

Snapes Rolle in der gesamten Geschichte der „Harry Potter“ – Reihe ist einer der wenigen Punkte, in denen Marina und ich nicht einer Meinung sind. Marina versteht Snape. Sie empfindet Mitleid für ihn. Ich hingegen … Ich tue mich schwer damit, ihm mehr als ein wenig Bedauern entgegen zu bringen. Intellektuell begreife ich, wie Severus Snape vermutlich fühlte und inwiefern seine Gefühle sein Verhalten beeinflussten. Ich erkenne, dass er deshalb all die Jahre so fies zu Harry war, weil er seinen Vater James Potter hasste, seine Mutter jedoch liebte. Harry ist die personifizierte Erinnerung an all das, was Snape gern mit Lily gehabt hätte und niemals haben konnte. Er ist seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten (bis auf die Augen) und doch ist er Lilys Vermächtnis. Ich sehe ein, dass das schwer für ihn war und ich bedauere es, dass er nie eine Chance auf wahre, erwiderte Liebe bekam. Insofern tut er mir durchaus leid, aber das Verhalten, das daraus resultierte, finde ich kleingeistig und unmöglich.

Als Snape Harry das erste Mal traf, war unser Held 11 Jahre alt. Er war noch ein Kind. Ein einsames Kind, das ebenso wenig Liebe erfuhr wie Snape selbst in diesem Alter. Was fällt ihm ein, einem Kind die Last seiner Erinnerungen aufzubürden? Welcher Teufel reitet ihn, den Sohn für die Sünden des Vaters zu bestrafen? Sein Zorn, seine Trauer und sein Schmerz sind keine Rechtfertigung für all die Gemeinheiten, die er Harry spüren ließ. Meine Güte, er war erwachsen, er hätte erkennen müssen, dass Harry seinem Vater zwar ähnlich, aber eine komplett eigenständige Persönlichkeit ist. Er missverstand Harry absichtlich. Seine Erinnerungen, die Harry im Denkarium zu sehen bekommt, relativieren vieles, doch sie entschuldigen nichts. Ganz im Gegenteil, meiner Ansicht nach behandelte Snape Harry all die Jahre wie Abschaum, weil er sich für Lilys Tod verantwortlich fühlte und seine Schuldgefühle an ihm ausließ. Das kann ich ihm nicht verzeihen.

Nichtsdestotrotz stimme ich Harry zu, Snape ist vermutlich einer der mutigsten Männer, die je gelebt haben. Ich bewundere ihn für seine Fähigkeit, wahrhaft zu bereuen und Buße zu tun. Ich wünschte nur, seine Gründe dafür wären etwas weniger persönlicher Natur gewesen. In einem Kinder- bzw. Jugendbuch hat das selbstverständlich keinen Platz und geht zu weit, doch wir erfahren ja nie, ob Snape seine verblendeten Ansichten jemals ablegte oder ob seine einzige Motivation, gegen Voldemort zu intrigieren, bis zu seinem Ende Lilys Tod war. Hielt er Reinblüter weiterhin für das Nonplusultra oder erkannte er, dass das alles Quatsch ist? Tat er das Richtige vielleicht aus den falschen Gründen? Das wird wohl für immer sein Geheimnis bleiben.

Harry ist von Snapes Erinnerungen und der Erkenntnis, dass er sterben muss, um Voldemort endgültig zu besiegen, verständlicherweise geschockt. Er hat Angst. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass da auch ein Funken Erleichterung mitschwingt, nun endlich die Wahrheit zu kennen. Möglicherweise ist diese Erleichterung, kombiniert mit dem Bedürfnis, seine Freunde zu schützen, verantwortlich dafür, dass er überhaupt fähig ist, aufzustehen und sich dieser letzten, unendlich schweren Aufgabe zu stellen. Er ist tapfer in einem Maße, das kaum nachzuvollziehen ist, obwohl Joanne K. Rowling sehr plastisch beschreibt, was in ihm vorgeht. Ausgestattet mit Tarnumhang, Draco Malfoys Zauberstab, den er ihm bereits Wochen zuvor in Malfoy Manor abnahm und dem Stein der Auferstehung, der sich in dem alten Schnatz verbarg, den Dumbledore ihm vermachte, wagt sich Harry in den Verbotenen Wald.

Er dreht den Stein drei Mal in seiner Hand, um sich die einzige Unterstützung zu sichern, die in diesem furchtbaren Moment möglich ist und die vermutlich auch die einzige ist, die er möchte: Er ruft seine verstorbene Familie zu sich. James, Lily, Sirius und Lupin. Oh Gott, wäre ich nicht ohnehin schon den Tränen nahe gewesen, spätestens in diesem Augenblick wären alle Dämme gebrochen. Ich weinte und weinte. Alles geht sehr schnell. Harry erreicht die Lichtung, auf der Voldemort mit seinen Todessern auf ihn wartet und stellt sich seinem Erzfeind. Voldmort duldet keine Verzögerungen mehr. Er verliert keine Zeit und ermordet Harry mit Avada Kedavra.

Marina und ich wussten beide, dass Harry diese Szene überleben wird. Wir nahmen allerdings fälschlicherweise an, dass der Stein der Auferstehung ihn zurückholen würde. Es erschien uns naheliegend. Das war ein bisschen töricht, denn wenn man länger darüber nachdenkt, war der Stein für Harry nie eine Option. Über den Stein ist bekannt, dass er zwar die Toten wiedererweckt, diese dann aber nur noch Schatten ihrer selbst sind. Das hätte Rowling Harry niemals antun können und als Fan kann ich nur sagen, das hätte ich auch nicht gewollt. Der Stein hätte ihn um sein Happy End gebracht. Nein, wenn, dann bitte der richtige Harry, nicht irgendeine Zombie-Version.

Trotz dessen finde ich die Erklärung, dass Voldemort den Teil in Harry, der von ihm selbst stammte, tötete, während in Voldemort ein winziges Stück des Zaubers überlebte, der Harry als Baby rettete, recht kompliziert. Ihre Verbindung war viel komplexer, als es den Anschein hatte. Aufgrund der Spur des Zaubers seiner Mutter in Voldemort hat Harry nun die Wahl. Er kann entscheiden, ob er weiterleben oder sterben möchte. Ich liebe diese Szene mit Dumbledore in einer Traumvariante von King’s Cross. Nicht nur bietet sie zahllose, heiß ersehnte Antworten, sie strahlt auch eine Ruhe und Würde aus, die ich nach all der Aufregung und den vielen Tränen dringend nötig hatte. Diese Verschnaufpause ließ mich Kraft schöpfen für den letzten Akt des Dramas. Wieder beweist Harry außergewöhnlichen Mut. Er entscheidet sich gegen den leichten Weg und wählt das Leben, mit all seinem Kummer und Schmerz. Ein Held, durch und durch.

Zurück auf der Lichtung verlangt Lord Voldemort eine Bestätigung von Harrys Tod. Ist es Glück oder Schicksal, dass er dafür ausgerechnet Narzissa Malfoy auswählt? Narzissa, über die ich bereits schrieb, dass ihr all die Ziele ihres finsteren Meisters nichts mehr bedeuten. Narzissa, die nur noch eines ist: Eine liebende Mutter. Sie ist der Schlüssel zu Harrys Sieg über Voldemort. Hätte sie Voldmort nicht getäuscht, hätte sie seinen Tod nicht bestätigt, weil sie ihren Sohn retten wollte, wäre Harry an Ort und Stelle noch einmal gestorben. Doch sie tut es und Harry wird unter Triumphgeschrei zurück zum Schloss getragen. Von einem weinenden Hagrid. Ach Hagrid. Wann immer er weint, muss ich auch weinen.

Während Voldemorts Ansprache an die Überlebenden bricht Chaos aus, weil sich die Zentauren in die Schlacht einmischen – besser spät als nie. Neville schlägt Nagini mit dem Schwert von Godric Gryffindor den Kopf ab. Das war es mit den Horkruxen. Versteckt unter dem Tarnumhang verschwindet Harry im Tumult. Die Schlacht entflammt erneut und sogar die Hauselfen stürzen sich, angeführt von Kreacher, auf Voldemorts Gefolgschaft. Der dunkle Lord selbst beteiligt sich ausnahmsweise auch mal an den Kämpfen. Ein Teil von mir hätte ihn gern länger dabei beobachtet, weil er trotz all seiner Grausamkeit ein hervorragender Zauberer ist. Ich fand es faszinierend, ihn aktiv eingreifen zu sehen.

Molly Weasley befindet sich währenddessen in einem Duell mit Bellatrix Lestrange, ein Augenblick, in dem mir klar wurde, dass ich mich niemals mit Molly anlegen möchte. Sie mag eine gemütliche, herzliche, fröhliche Frau und Mutter sein, aber wehe, jemand bedroht ihre Familie. Sie wird zur Löwin und wischt Bellatrix endlich das verrückte Grinsen aus dem Gesicht. Es gibt niemanden, der es mehr verdiente. Im selben Moment entledigt sich Voldemort seiner Angreifer und hätte Molly vermutlich ohne zu zögern getötet, hätte Harry sie nicht in letzter Sekunde mit einem Schildzauber geschützt. Er zieht sich den Tarnumhang runter und offenbart sich. Jetzt gilt es. Jetzt heißt es „Er oder ich“. Voldemort gegen Harry. Das Schicksal der Welt entscheidet sich jetzt.

Die Szene hat definitiv High Noon – Charakter. Die Rollen haben sich vertauscht. Harry ist selbstsicher, sich seiner Überlegenheit bewusst, während sich Lord Voldemort vor Angst fast in die Hosen macht (Trägt er Hosen?). Oh, er versucht, es zu überspielen, aber seine mangelnde Selbstbeherrschung spricht Bände. Ich hatte den Eindruck, dass Harry sich daran ergötzt, Voldemort vorzuführen und ihn darüber aufzuklären, warum er verlieren wird. Wer könnte es ihm verübeln? Nach all den Jahren der Furcht hat er endlich, endlich etwas gegen ihn in der Hand. Genussvoll legt er seinem Erzfeind dar, welchem Denkfehler er erlegen ist.

Voldemort glaubte, Snape umbringen zu müssen, um Macht über den Elderstab zu erlangen. Er wusste nicht, dass Snape Dumbledore den Stab niemals gegen dessen Willen abnahm. Dumbledore wollte von Snape auf dem Astronomieturm getötet werden. Er hatte darum gebeten. Ursprünglich verfolgte er damit den Plan, den Fluch des Elderstabs für alle Zeiten zu brechen. Dieser Plan schlug fehl, weil ihm eine unerwartete Wendung einen Strich durch die Rechnung machte: Draco Malfoy entwaffnete Dumbledore. Draco war derjenige, der Dumbledore den Elderstab gegen seinen Willen entriss, nicht Snape. Deshalb arbeitete der Stab nicht für Voldemort. Deshalb arbeitet er auch jetzt nicht für ihn. Der Elderstab kennt seinen wahren Herren.

Im Haus der Malfoys jagte Harry Draco drei verschiedene Zauberstäbe ab, darunter Dracos eigener. Er stahl sie. Er nahm sie ohne Dracos Zustimmung. Gegen seinen Willen. Offenbar ist es dem Elderstab schnurzpiepegal, welcher Zauberstab seinem Meister entwendet wird. Er muss nicht selbst zum Diebesgut werden. Er muss nicht einmal anwesend sein. Der Stab weiß, wann sein aktueller Meister überwältigt wird und er einen neuen Herrn erhält. Und weil das so ist, gehört und gehorcht der Elderstab nur einem: Harry.

Ich gestehe, ich finde diese Entwicklung reichlich verwirrend. In „Die Heiligtümer des Todes“ veranstaltete Joanne K. Rowling meiner Meinung nach zu viel Trara um Zauberstäbe, sodass man leicht den Überblick verliert, wer jetzt welchen Stab besitzt, verlor und wer wen wann entwaffnete. Dadurch ist der Weg des Elderstabs eine recht anspruchsvolle Ereigniskette, die ich mir zugegebenermaßen schematisch aufzeichnen musste, um zu verstehen, wie der Stab erst in Dracos und dann in Harrys Besitz gelangte. Voraussetzung ist hierbei stets, dass der Elderstab eine Art Bewusstsein besitzt, das andere Zauberstäbe nicht aufweisen. Ich empfinde dieses erhöhte Bewusstsein als unheimlich interessant und spannend. Überhaupt ist Zauberstabkunde ein wahnsinnig faszinierendes Feld, das zu zahlreichen Spekulationen einlädt. Wäre ich ein Teil des Potter-Universums, ich könnte mir vorstellen, dass ich eine berufliche Laufbahn in diese Richtung angestrebt hätte. Das wäre mir auf jeden Fall tausend Mal lieber als eine Karriere im Zaubereiministerium.

Harry durchschaute den Weg des Elderstabs, weshalb er keine Angst davor hat, sich mit Voldemort zu duellieren. Er behält Recht. Der Stab weigert sich, seinem wahren Herrn zu schaden. Voldemorts Avada Kedavra prallt auf Harrys Expelliarmus und feuert gegen ihn zurück. So gelingt es Harry, den mächtigsten, gefährlichsten und gefürchtetsten schwarzen Zauberer aller Zeiten mit einem einfachen Entwaffnungszauber zu töten.
Mir gefällt es hervorragend, dass Harry nicht zum Mörder werden muss, um die Welt von Voldemort, der im Tode nur noch Tom Riddle ist, zu befreien.

Die philosophische Ebene von Voldemorts Schicksal ist beeindruckend. Er richtete sich selbst. Unabsichtlich, ungewollt und gänzlich unerwartet, doch nichtsdestoweniger wahr. Voldemorts Hochmut, seine Arroganz und Ignoranz brachten ihn zu Fall. Weil er sich weigerte, die Intelligenz anderer anzuerkennen. Weil er sich weigerte, aus vergangenen Fehlern zu lernen. Weil er sich weigerte, die Macht der Liebe zu begreifen. Severus Snape, Narzissa Malfoy, Lily Potter, Albus Dumbledore und Harry Potter – sie alle stellten sich aus Liebe gegen Lord Voldemort. Er hat nie verstanden, dass er sich durch seine immerwährende Grausamkeit und Herzlosigkeit seine Feinde selbst erschuf. Was er für Schwäche hielt, wurde zur stärksten Kraft hinter dem Widerstand. Das ist wahrhafte, karmische Gerechtigkeit.

Was wäre passiert, hätte sich Lord Voldemort in dieser verhängnisvollen Nacht vor 16 Jahren gegen Harry und für Neville als größte Bedrohung entschieden? Für die berüchtigte Prophezeiung kamen ja beide Jungen in Frage. Selbstverständlich ist diese Frage im Grunde müßig, weil es unmöglich ist, all die Konsequenzen und Implikationen dieses alternativen Verlaufs der Ereignisse zu überblicken. Trotzdem ließ sie Marina und mich nicht los. In der Geschichte der „Harry Potter“ – Romane gibt es so viele bedeutende Schlüsselmomente, dass ich mir nicht vorstellen kann, wie sich Neville in diesen Augenblicken verhalten hätte. Alles hätte vollkommen gleich, oder eben auch völlig anders sein können. Aber wisst ihr, interessanterweise glaube ich, dass es in Bezug auf das Ergebnis kaum einen Unterschied gemacht hätte.

Voldemort schaufelte sich sein eigenes Grab. Er motivierte seine Gegner zum Kampf. Er inspirierte Verrat in den eigenen Reihen. Vielleicht hätte es länger gedauert, vielleicht hätte Neville eine weniger wichtige Rolle gespielt als Harry, doch früher oder später hätte der Widerstand eine Möglichkeit gefunden, Voldemort zu besiegen, davon bin ich fest überzeugt. Eine Schreckensherrschaft ist immer nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Menschen wie Severus Snape gibt es immer. Voldemorts größte Schwachstelle war seine Auffassung, Loyalität über Furcht und Gier erzeugen zu müssen. Es gab nur wenige Anhänger_innen, die Voldemort um seiner selbst willen folgten (Bellatrix Lestrange). Die meisten hatten einfach Angst vor ihm oder glaubten, durch ihn einen persönlichen Vorteil erlangen zu können. Voldemort behauptete wiederholt, er sei großzügig, doch das ist nicht wahr. Er tat nur das minimal Nötigste, um seine Gefolgschaft bei Laune zu halten und interessierte sich sonst ausschließlich für sich selbst. Dieses Verhalten musste ihm zum Verhängnis werden, weil er seine Sympathisanten immer und immer wieder vor den Kopf stieß. Er war größenwahnsinnig und arrogant. Darum konnte seine Regentschaft auf Dauer nicht erfolgreich sein.

Dumbledore erkannte diese Schwäche in Lord Voldemort. Ich denke, Dumbledore zweifelte niemals daran, dass sein ehemaliger Schüler eines Tages besiegt werden würde, weil er wusste, dass Voldemorts Unfähigkeit, zu lieben und zu vertrauen, ihn angreifbar machte. Vielleicht wusste er von Beginn an, dass nicht er derjenige sein würde, der Voldemort das Handwerk legen würde. Und vielleicht, nur vielleicht, wusste er lange bevor er durch Vorlost Gaunts Ring verflucht wurde, dass er sein Ende nicht mehr erleben würde. Dumbledore war nicht perfekt, aber er war bereit, zu sterben, um die eine Person, die Voldemort besiegen konnte, auf den finalen Kampf vorzubereiten. Obwohl er in der Vergangenheit hin und wieder durchaus egoistisch handelte (denken wir an seine kleine Schwester Ariana), bewies er dadurch eine Selbstlosigkeit, die ihres gleichen sucht.

Im Erfahrungsbericht zu „Der Halbblutprinz“ schrieb ich, dass Dumbeldores Tod die Voraussetzung dafür war, dass Harry die Bereitschaft entwickelte, sich Voldemort entgegenzustellen. Was als Theorie begann, scheint mir nun Gewissheit zu sein. Marina und ich hatten beide recht. Harry musste erwachsen werden. Er durfte keinen mächtigen Berater an seiner Seite wissen, der ihm den Großteil des Risikos abnahm. Er musste Hogwarts verlassen. Er musste eine Quest erfüllen, um Voldemort herausfordern zu können. Mal davon abgesehen, dass die Horkruxe gefunden und zerstört werden mussten, brauchte Harry all die Herausforderungen, die die Suche nach ihnen mit sich brachte, um ein Entwicklungsniveau zu erreichen, das es ihm erlaubte, Voldemort zu konfrontieren und die Entscheidung zu treffen, sich von ihm töten zu lassen. Es ging nicht anders. Er musste leiden. Er musste trauern. Er musste Schmerz, Verlust und nackte Furcht erfahren. Es tut mir unendlich leid, dass er all das erleben musste und ich kann kaum ausdrücken, wie furchtbar ich es finde, dass Voldemort ihn indirekt zwang, all diese Erfahrungen zu machen, aber erst durch den Schmerz, die Angst, die Trauer wurde er zu dem Helden, der er heute ist.

Oh Harry. Wie sehr wünschte ich, die Welt hätte keinen Helden gebraucht. Wie sehr wünschte ich, ich hätte dir deine Last abnehmen können. Wie sehr wünschte ich, du hättest ein Kind sein dürfen wie jedes andere auch. Es war dir nicht vergönnt. Aber schau, was du erreicht hast. Ich bin so stolz auf dich. Du hast es geschafft. Wir haben es geschafft.

„Die Heiligtümer des Todes“ ist ein grandioser Abschluss der Reihe. Die Handlung ist so dicht wie nie zuvor und alles fügt sich nahtlos ineinander. Ich denke, für mich hat sich bezüglich meiner Wahrnehmung des letzten Bandes mit den Jahren nicht allzu viel verändert. Am besten gefielen mir die vielen Anspielungen auf die vorangegangenen Bände. Das ist sympathisch, weil ich dadurch das Gefühl hatte, dass nicht nur ich Wehmut und Abschiedsschmerz empfinde, sondern auch Joanne K. Rowling selbst. Meiner Ansicht nach hat sie eine außergewöhnlich starke Bindung an ihre Geschichte und ihre Charaktere. Wahrscheinlich kam sie deshalb nie wirklich vom Potter-Universum los und veröffentlicht weiter fleißig Geschichten, die in dieser Welt spielen. Wenn es nach mir geht: bitte hören Sie niemals damit auf.

Es ist vollbracht. Der Reread ist beendet. Alle sieben Bände haben Marina und ich innerhalb eines Jahres gelesen. Ich habe unheimlich viel über mich gelernt und habe zahllose Erkenntnisse über die Geschichte der „Harry Potter“ – Reihe gewonnen. Es sind hervorragende Bücher, die sich zu Recht millionenfach verkauften und bis heute überschwänglich gehypt werden. Die Liebe, die ich für die Welt, die Figuren und die Geschichte empfinde, ist unübertroffen. So etwas habe ich seitdem nie wieder erlebt. Es gibt so viele gute, herausragende Bücher da draußen, aber kein einziges inspirierte in mir die gleichen tiefen, überwältigenden Empfindungen. Ich bin so dankbar, dass ich mit dieser Reihe und Seite an Seite mit Harry aufwachsen durfte. Er wird immer ein Teil meines Lebens sein. Ich werde immer zu ihm zurückkehren. Ich schäme mich nicht, es zu bekennen und schreie es laut und stolz heraus: ich bin ein Potterhead. Mit Leib und Seele. Mein Leben lang.

Danke, liebe Marina. Danke, dass du diese wundervolle Reise gemeinsam mit mir unternommen hast. Ohne dich wäre all das nicht möglich gewesen. Ohne dich wäre der Reread einsam gewesen. Ohne dich wären mir viele Erkenntnisse verwehrt geblieben. Meine Schwester im Geiste und in Ravenclaw.
Danke auch an meine Eltern, die mir nicht nur alle Bände der „Harry Potter“ – Reihe schenkten und meine Liebe zu ihr stets unterstützen, sondern auch geduldig all meinen Gedanken während des Rereads lauschten. Ihr seid die Besten.

Meine Lieben, zum Abschluss bleibt mir nur noch eines zu sagen: tut es. Ich weiß, dass viele von euch mit dem Gedanken spielen, die „Harry Potter“ – Romane ebenfalls noch einmal zu lesen. Schluss mit dem Zögern. Nehmt euch ein Beispiel an Marina und mir. Vollkommen egal, wie viele Bücher auf eurem SuB versauern und wie laut diese „HIER!“ brüllen. Harry ist es wert, sie warten zu lassen. Die Erfahrung des Rereads war für mich im letzten Jahr das Emotionalste und Schönste, was ich (literarisch) erleben durfte. Ihr solltet euch das nicht verwehren, nur weil euch Neuerscheinungen schöne Augen machen. Lernt Harry noch einmal ganz neu kennen. Ihr seid es ihm schuldig. Ihr seid es euch selbst schuldig.
Nun los. Was sitzt ihr da noch rum? Steht auf, geht zu eurem Bücherregal und pustet den Staub von „Harry Potter und Der Stein der Weisen“.

Alles Liebe,
Elli  ❤

Weitere Erfahrungsberichte vom „Harry Potter“-Reread

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