Hallo ihr Lieben! :)

Heute möchte ich beginnen, euch eine Geschichte erzählen. Es ist eine Geschichte von überwältigendem Erfolg, Wahrheit, Lügen und einem tiefen Fall, der ein Leben in eine Richtung führte, die ich nur als fragwürdig bezeichnen kann. Es ist die Geschichte des Autors James Frey und seiner Firma Full Fathom Five. Es ist die Geschichte, die erklärt, warum ich die „Lorien Legacies“ nach vier Bänden plötzlich abbreche. Ich hoffe, dass ich euch durch diese Geschichte nachvollziehbar darlegen kann, wieso ich aus Prinzip nicht weiterlesen werde. Manchmal muss man einfach dem eigenen Gewissen folgen. Bevor wir loslegen, möchte ich euch ermuntern, euch die Verlinkungen anzusehen, weil ich mich bemüht habe, meine Quellen direkt einzuarbeiten. Da sind einige interessante Artikel und Seiten dabei, weshalb es schade wäre, wenn sie unbeachtet an euch vorbeigehen.
Nun lehnt euch zurück, entspannt euch und lauscht meiner Geschichte. Wie jede Geschichte beginnt sie mit „Es war einmal…“.

Es war einmal eine junge Frau, die einen Film sah, der auf einem Buch basierte. Da ihr der Film gut gefiel, wollte sie das Buch ebenfalls lesen…

Es hat ein Weilchen gedauert, bis ich geschnallt habe, dass Pittacus Lore, Autor der „Lorien Legacies“, ein Pseudonym ist. Tatsächlich bin ich nicht von selbst darauf gekommen, weil ich einfach nie näher über diesen abstrusen Namen nachgedacht habe. Ich habe ihn als gegeben hingenommen. Das war ein wenig begriffsstutzig, ich weiß. Als ich für die Rezension des ersten Bandes, „I am Number Four“, im Oktober 2015 zu recherchieren begann, war ich daher etwas überrascht, dass es bei Wikipedia hieß, das Buch sei das Ergebnis einer Zusammenarbeit der Autoren James Frey und Jobie Hughes. Heute wünschte ein Teil von mir, ich hätte es nie herausgefunden.

Natürlich wollte ich wissen, wer die beiden Männer sind, die die Vorlage für den Blockbuster „Ich bin Nummer Vier“ mit Alex Pettyfer in der Hauptrolle schrieben. Schließlich war der Film der Auslöser dafür, dass ich überhaupt begann, die Reihe zu lesen. Es ist der alphabetischen Aufzählung der Autoren geschuldet, dass ich meine Aufmerksamkeit zuerst auf James Frey richtete.

 

James Frey wurde am 12. September 1969 in Cleveland geboren. Mit Mitte 20 war er ein von Problemen geplagter junger Mann. Er war alkohol- und drogensüchtig und unterzog sich 1993 einer 2-monatigen Therapie (bzw. einem Entzug) in einer Rehabilitationsklinik in Minnesota. Seitdem ist er clean und wurde (angeblich) niemals rückfällig.
Seinen eigenen Aussagen nach kam es für Frey nie in Frage, Arzt, Pilot oder ähnliches zu werden. Lange Zeit wusste er nicht, was er mit seinem Leben anstellen sollte – bis er „Tropic of Cancer“ von Henry Miller las. Dieses Buch beeindruckte ihn nachhaltig, sodass er entschied, ebenfalls Autor werden zu wollen. Er wollte ein Buch schreiben, dass für andere Menschen ähnlich lebensverändernd sein würde, wie es „Tropic of Cancer“ für ihn war. 1997 begann er mit der Arbeit an „A Million Little Pieces“, welches seine Suchterkrankung, deren Folgen und die Zeit in der Rehabilitationsklinik verarbeiten sollte.
Frey ist kein geborener Schriftsteller. Er hatte keinerlei Führung oder Anleitung und bekam nach 40 Seiten Angst vor der eigenen Courage. Trotz dessen hielt er an seinem Traum fest und nahm letztendlich sogar eine zweite Hypothek auf sein Haus auf. Jahrelang versuchte er, sich selbst beizubringen, wie man ein Buch schreibt. Im Mai 2003 wurden seinen Mühen belohnt. „A Million Little Pieces“ erschien bei Doubleday, ein Verlagshaus, das zur Random House Gruppe gehört. Das als Autobiografie ausgeschriebene Buch wurde ein Bestseller. Viele Leser_innen waren von Freys schonungsloser, harter Schilderung seines Kampfes mit Sucht und Kriminalität tief bewegt, weil es ihnen Hoffnung bot. Wenn jemand, der so tief gefallen war wie James Frey, in der Lage war, sich aus seinem selbst geschaffenen Elend zu befreien und ein neues Leben zu beginnen, konnte es jede_r schaffen. Er säte Verständnis, ohne die schmerzhaften Wahrheiten seiner Suchtkrankheit zu beschönigen oder seine Leser_innen in Watte zu packen. Mit „A Million Little Pieces“ hatte er sein Ziel erreicht: er hatte ein lebensveränderndes Buch geschrieben. 2005 konnte er seinen Erfolg mit dem Nachfolger „My Friend Leonard“ fortsetzen. Er hatte es geschafft. Und dann kam Oprah.

 

Rückblickend betrachtet war die Aufmerksamkeit, die Oprah Winfrey „A Million Little Pieces“ schenkte, vermutlich der Anfang vom Ende. Im September 2005 wurde das Buch für Oprahs Buchclub ausgewählt und offiziell in ihrer TV-Show vorgestellt. Frey war seit drei Jahren der erste lebende Autor, dem diese Ehre zuteilwurde. Oprah selbst war begeistert, erzählte, das Buch habe sie nachts wachgehalten und sei unvergleichlich. Die Reaktion auf Oprahs überschwängliches Lob war – wie nicht anders zu erwarten – überwältigend. „A Million Little Pieces“ kletterte auf Platz 1 der New York Times Bestseller Liste und hielt sich dort 15 Wochen. Es wurde in 22 Sprachen übersetzt. Etablierte Autor_innen wie Bret Easton Ellis spendeten James Frey Beifall. Im Oktober 2005 lud Oprah James Frey in ihre Show ein, um den erfolgreichen Autor endlich persönlich zu treffen. Während des Interviews erklärte Frey, er sei ein schlechter Mensch gewesen und wusste, sollte sein Buch wahr und ehrlich sein, müsste er über sich selbst auf sehr negative Weise schreiben. Die Welt liebte ihn dafür. „A Million Little Pieces“ verkaufte sich über 4 Millionen Mal.

Die Wende in James Freys Erfolgsgeschichte kam unerwartet und überraschend. Im Januar 2006 veröffentlichte die investigative Website The Smoking Gun einen Artikel, der den Titel „A Million Little Lies: Exposing James Frey’s Fiction Addiction“ trug und auf ernsthafte Diskrepanzen zwischen Freys Schilderung seines drogengeprägten Lebens und den Fakten hinwies. Frey sprach in „A Million Little Pieces“ offen über eine Vergangenheit als Außenseiter und Krimineller, die es scheinbar nie gegeben hatte.

Ursprünglich hatten die Reporter von TSG bloß eines der angeblich zahlreichen Polizeifotos von Frey ausfindig machen wollen, um es der Sammlung auf ihrer Website hinzuzufügen, in der sich bereits Prominente wie Robert Downey Jr., Mick Jagger, Frank Sinatra oder Carmen Electra tummelten. Ihre Suche gestaltete sich schwieriger als gedacht. Es schien keine Aufzeichnungen über die kriminelle Vergangenheit des James Frey zu geben. TSG beschloss, die Mission auszuweiten und Freys Behauptungen zu überprüfen, soweit es möglich war. Dabei stellte sich heraus, dass Frey in seiner Jugendzeit weder ein unbeliebter Außenseiter, noch in späteren Jahren ein polizeibekannter Verbrecher war. Seine Darstellung des Ausmaßes seiner kriminellen Aktivitäten, für die er zur Rechenschaft gezogen wurde, ist hemmungslos übertrieben und ausgeschmückt. Die längste Zeit, die er sich in polizeilichem Gewahrsam aufhielt, waren etwa 5 Stunden, nachdem er 1992 in Ohio für Trunkenheit am Steuer, das Fahren ohne Führerschein und das Mitführen einer offenen Bierflasche in seinem Auto festgenommen wurde. Er zahlte eine Strafe in Höhe von $733 und durfte gehen. In „A Million Little Pieces“ muten die Ereignisse wesentlich dramatischer an, beinhalten das Anfahren eines Polizisten, Drogenbesitz, Widerstand gegen die Festnahme und führen zu einer 3-monatigen Haftstrafe – eine Schlüsselepisode des Buches. Obwohl keine Zweifel bestehen, dass James Frey tatsächlich alkohol- und drogenabhängig war, war er doch nie der Bad Boy, als der er sich in „A Million Little Pieces“ präsentierte.
Als TSG Frey mit ihren Funden konfrontierte, verhielt er sich unkooperativ, drohte mit einer Klage und verstrickte sich in weiteren Lügen. TSG ließ sich nicht einschüchtern und veröffentlichte.

Ein Aufschrei ging durch die USA. Vermutlich gerade weil „A Million Little Pieces“ von vielen Leser_innen als lebensverändernd empfunden wurde, konnten sie nicht hinnehmen, dass James Frey gelogen hatte. My Friend LeonardSie fühlten sich betrogen, als sei die Geschichte, die ihnen Hoffnung gegeben hatte, durch Freys Ausschmückungen nichts mehr wert.
Trotz der allgemeinen Entrüstung hielten sowohl Freys Verlag Doubleday (und Random House) als auch Oprah Winfrey weiterhin zu ihm. Oprah verteidigte das Buch öffentlich. Erst, als James Frey verkündete, er habe anfangs versucht, „A Million Little Pieces“ als Fiktion zu verkaufen, sei aber von Doubleday dazu gedrängt worden, es als Autobiografie einzuordnen, verlor er seinen Rückhalt. Er behauptete, der Verlag hätte stets gewusst, dass es sich um ein teilweise fiktives Werk handelte. Der Verlag stritt dies ab und so stand Aussage gegen Aussage. Was wirklich zwischen James Frey und Doubleday abgelaufen ist, kann heute wohl niemand mehr so recht nachvollziehen. Fakt ist, die Affäre nahm Fahrt auf und entwickelte sich in eine Richtung, die Oprah dazu brachte, Frey erneut in ihre Sendung einzuladen, um ihr (und Millionen von Zuschauer_innen) Rede und Antwort zu stehen. Es mag nicht ihre Absicht gewesen sein, doch Jahre später gab James Frey zu, dass sich dieses Interview für ihn wie eine öffentliche Steinigung anfühlte. Oprah machte ihn fertig.
In den folgenden Jahren konnte James Frey nie wieder auf dem gleichen Niveau an seinen Erfolg mit „A Million Little Pieces“ und „My Friend Leonard“ anknüpfen.

Erstaunlicherweise habe ich persönlich gar kein großes Problem damit, dass James Frey eine Autobiografie veröffentlichte, die nicht ganz so autobiografisch war, wie er behauptete, weil das meiner Meinung nach nichts an der Wirkung des Buches ändert. Dann hat er eben gelogen. Meine Güte, wer hat das bitte noch nicht getan? Es spielt doch keine Rolle, ob er wegen Trunkenheit am Steuer oder wegen eines Angriffs auf einen Polizisten verhaftet wurde. All das, was nicht echt war, verblasst gegenüber dem, was echt war: sein Sieg über die Sucht. Das ist alles, was zählt. Ob die Ereignisse, die dazu führten, nun mehr oder weniger dramatisch waren – who cares? Sicherlich wäre ich auch nicht begeistert gewesen, hätte ich zum ersten Mal gehört, dass mich der Autor einer Autobiografie, die mein Leben stark beeinflusst hat, angelogen hat. Anfangs wäre ich vermutlich ebenfalls wütend gewesen. Aber ich bin überzeugt, dass ich früher oder später eingesehen hätte, dass Freys Flunkereien das Buch nicht berühren. Ich denke, ich hätte einfach meinen Blickwinkel verändert, „A Million Little Pieces“ als überwältigende Fiktion abgehakt und das wäre es dann gewesen.

Außerdem hätte man es kommen sehen können, in diesem Punkt muss ich Stephen King zustimmen, der die ganze Affäre 2007 in einem Online-Artikel kommentierte. King, selbst trockener Alkoholiker, wies gelassen darauf hin, dass Süchtige lügen. Immer. Ihn hätten die Enthüllungen deshalb keineswegs überrascht. Er habe vieles, was James Frey in „A Million Little Pieces“ beschreibt, sowieso nicht geglaubt, weil einem ehemaligen Süchtigen eben einfach nicht zu trauen ist. Zu viele fallen in bekannte Muster zurück und da das Lügen zur Natur eines Abhängigen gehört, ist es schwer, diese Tendenz abzulegen, selbst wenn die Sucht unter Kontrolle ist. Er habe dies zur Genüge erlebt. King hat Recht. Hätte man James Freys Geschichte objektiv betrachtet, ohne sich emotional mitreißen zu lassen, hätte sich der Gedanke aufdrängen müssen, dass Frey als ehemaliger Süchtiger genau weiß, wie er Menschen manipulieren kann und dass er es unter Umständen auch in seinem Bestseller getan hat. Er schreibt es ja sogar selbst; er schreibt wortwörtlich, dass Lügen Teil seines Lebens wurde.

Frey hat eine falsche Entscheidung getroffen, das ist unbestritten. Er hätte niemals entscheiden dürfen, „A Million Little Pieces“ als Autobiografie zu veröffentlichen, ob diese Idee nun auf seinem eigenen Mist gewachsen ist oder nicht. Doch nachdem er 17 Mal abgelehnt wurde, kann ich nachvollziehen, dass ihn eine gewisse Verzweiflung überkam. Er sah seinen Traum zerplatzen, weil sein Manuskript nicht den aktuellen Bedürfnissen des Marktes entsprach. Wer würde da nicht ein bisschen panisch werden? Ich versuche nicht, seine Täuschungen zu rechtfertigen, denn diese waren skrupellos und nicht in Ordnung. Ich kann allerdings durchaus verstehen, wie es dazu kam. Zwar habe ich „A Million Little Pieces“ nicht gelesen, aber ich habe mich in Vorbereitung dieses Beitrags intensiv mit der Person James Frey beschäftigt und meiner Ansicht nach ist er ein Mann, der von verbissenem, obsessivem Ehrgeiz getrieben wird und keine halben Sachen macht. Scheitern kam für ihn nicht in Frage. Er möchte der Welt unbedingt seinen Stempel aufdrücken, etwas, das zeigt, dass er hier war und will dabei möglichst tiefe Spuren hinterlassen, sich ein Vermächtnis erschaffen. Er hat einen gewissen Geltungsdrang, möchte beachtet werden. Er konnte nicht akzeptieren, dass „A Million Little Pieces“ unbeachtet bleiben sollte, weil er davon überzeugt war, dass es dafür zu gut war. Die Verkaufszahlen geben ihm diesbezüglich definitiv recht. Ich glaube nicht, dass es Frey primär um Geld ging, es ging ihm um Anerkennung, doch man darf nicht vergessen, dass er sein Leben vollkommen auf seinen Traum ausgerichtet hatte. Er konnte nicht mehr zurück, es hätte seinen Ruin bedeutet. Er hat einen Fehler gemacht, aber es war ein Fehler, den ich vergeben kann. Seine Lügen sind nicht der Grund, warum ich mich von den später erschienenen „Lorien Legacies“ distanzieren werde. Der Grund ist der Mensch, den seine Lügen aus ihm gemacht haben.

To Be Continued…

Die Geschichte geht weiter – morgen!
Morgen erfahrt ihr, wie Full Fathom Five gegründet wurde, welche Vision James Frey damit verfolgte und wie der erste Band der „Lorien Legacies“, „I am Number Four“, dort hineinpasst. Wird sich der gestrauchelte Autor vom Skandal um „A Million Little Pieces“ erholen? Schaut vorbei!

Quellen:
James Frey bei Wikipedia DE
James Frey bei Wikipedia EN
„A Million Little Pieces“ bei Wikipedia EN
Jobie Hughes bei Wikipedia DE
Jobie Hughes Website
I am Number Four bei Wikipedia EN
Lorien Legacies bei Wikipedia EN
Full Fathom Five Website
A Million Little Lies: Exposing James Frey’s Fiction Addiction | The Smoking Gun (04.01.2006)
The Awful Untruth | Artikel von Sheelah Kolhatkar für den New York Observer (23.01.2006) – via WebArchive
How Oprahness Trumped Truthiness | Artikel von David Carr für die New York Times (30.01.2006)
James Frey Admits Memoir’s Alterations | Artikel von Hillel Italie für Breitbart.com (01.02.2006) – via WebArchive
Frey settles suits over ‘Million Little Pieces’ | Today (AP Meldung) (12.09.2006)
The man who rewrote his life | Interview mit James Frey von Laura Barton für The Guardian (15.09.2006)
Stephen King on James Frey’s ”Million Little Pieces” | Kommentar von Stephen King für Entertainment Weekly (01.02.2007)
Oprah vs. James Frey | Artikel von für das TIME Magazine (30.07.2007)
Book Deal for Writer Who Fabricated Parts of Memoir | Artikel von Motoko Rich für die New York Times (13.09.2007)
James Frey’s Fiction Factory | Artikel von Suzanne Mozes für das New York Magazine (12.11.2010)
Read the Brutal Contract from James Frey’s Fiction Factory | Daily Intelligencer (12.11.2010)
James Frey forced to defend literary ethics, four years after Oprah attack | Artikel von Ed Pilkington für The Guardian (21.11.2010)
James Frey’s Mug Shot | The Smoking Gun (vermutlich Juli 2011)
How James Frey’s “IP Factory” is Re-imagining Book Packaging | Artikel von Rachel Aydt für Publishing Perspectives (17.01.2013)
„US-Präsidenten verzeiht man Lügen eher als mir“ | Artikel von Iris Alanyali für DIE WELT (20.10.2014)

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